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Existenzsicherung vor Selbstbestimmung

29. März 2012

Werner Eichhorst über Arbeit, Qualifikation und Autonomie - Thema 04/12 Glück

choices: Herr Eichhorst, was verbindet Menschen mit ihrem Arbeitsplatz?
Werner Eichhorst:
Drei wesentliche Punkte: die Existenzsicherung, also die Stabilität des Einkommens und die damit verbundene Absicherung. Dann soziale Beziehungen, die sehr oft über die Erwerbsarbeit entstehen. Schließlich spielt auch der Wunsch nach Selbstverwirklichung eine Rolle.

Was verstehen die Beschäftigten unter Selbstverwirklichung?

Das hängt von der jeweiligen biografischen Situation und Qualifikation ab, also der Stellung auf dem Arbeitsmarkt. Generell steigt der Wunsch nach Autonomie und Selbstbestimmung am Arbeitsplatz mit der Qualifikation. Aber es gibt natürlich auch Zwänge im Arbeitsleben, die der Selbstverwirklichung entgegenstehen.

Minder Qualifizierte geben sich schneller mit weniger Selbstbestimmung zufrieden?

Dr. Werner Eichhorst
Foto: privat
Dr. Werner Eichhorst ist Stellvertretender Direktor Arbeitsmarktpolitik des IZA-Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit in Bonn. Zuvor war er am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg tätig. www.iza.org

Ob man das so hart formulieren kann, weiß ich nicht. Qualifikation und Bildung bringen aber ein gewisses Autonomiestreben mit sich. Höher qualifizierte Berufe sichern in der Regel die materielle Existenz besser, so dass man sich um andere Bedürfnisse kümmern kann. In bestimmten Kreativberufen ist man sogar bereit, auf der materiellen Ebene zu Gunsten seiner Autonomie Kompromisse einzugehen, weil Routinetätigkeiten und strikte Anweisungen nicht befriedigen.

Ein paar Beispiele, bitte.
Der Künstler ist der eine Extremfall, der Bandarbeiter bei Ford der andere. Der Künstler wünscht ein hohes Maß an Autonomie und Chancen, der Mann am Band hat eine hohe Routine, dazu eine relativ hohe Bezahlung und einen stabilen Arbeitsplatz – ebenso ein Beamter auf dem Finanzamt. Andererseits kann man ein stärkeres Streben nach Autonomie bei allen Berufen beobachten, die viel mit Menschen oder der Schaffung immaterieller Dinge befasst sind. Das fängt beim Journalismus an, geht über Wissenschaftler und Architekten bis hin zu beratenden, psychologischen Berufen. Hier besteht auch die Bereitschaft, mehrere Tätigkeiten zu kombinieren oder für unterschiedliche Kunden zu arbeiten, sich nicht einem Arbeit- oder Auftraggeber auszuliefern. Aber hier gilt ebenfalls: Wenn es um die Existenz geht, tritt der Wunsch nach Selbstbestimmung am Arbeitsplatz zurück.

Sind zufriedene Mitarbeiter glücklich(er)?
Zunächst einmal sind Arbeitende grundsätzlich glücklicher sind als Menschen ohne Erwerbsarbeit. Viele verbringen den Großteil ihrer wachen Zeit ja am Arbeitsplatz und ziehen daraus und den damit verbundenen Kontakten ihre Identität. Mögliche Gestaltungsräume steigern da die Zufriedenheit und damit das Glücklichsein.

Interview: Wolfang Hippe

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