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Foto: Irma Flesch

Ein soziales und lebenswertes Leitbild

13. September 2010

Andreas Kossiki (DGB) über kommunale Finanznöte, Systemrelevanz und wilde Verteilungskämpfe - Thema 09/10 Jeder Euro zählt

choices: Herr Kossiski, die finanzielle Situation in den Kommunen der Region Köln-Bonn ist dramatisch. Woran liegt das?
Andreas Kossiski: Aus meiner Sicht gibt es dafür vier Gründe. Zum Ersten hat die Finanz- und Wirtschaftskrise zu einem Rückgang der Steuereinnahmen und zu Mehrausgaben bei den Sozial- und Transferleistungen geführt. Zum Zweiten haben Bund und Land in den vergangenen Jahren immer mehr Aufgaben auf die Kommunen übertragen, ohne für einen ausreichenden finanziellen Ausgleich zu sorgen. Zum Dritten hat die schwarz-gelbe Bundesregierung mit ihrer bisherigen Steuerpolitik die Einnahmebasis der Kommunen verschlechtert, beispielsweise mit der Mehrwertsteuersenkung für Hotelübernachtungen. Und schließlich: Ein Teil der kommunalen Finanzprobleme ist auch hausgemacht. Das World Congress Center Bonn (WCCB) sei nur als Beispiel genannt.

Wir nennen die KölnMesse und Oppenheim-Esch. Fordert der DGB auch deshalb eine Neuordnung der kommunalen Finanzen?
Die Finanzkrise hat die ohnehin schwierige Finanzsituation der Kommunen nur beschleunigt. Wesentliche Ursache für die desolaten kommunalen Haushalte ist vielmehr, dass die Kommunen zu wenige Steuereinnahmen erhalten. Zudem haben Bund und Länder den Kommunen Aufgaben übertragen, ohne hierfür ausreichend Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Hier muss gelten: „Wer bestellt, muss zahlen“.

Das haben wir schon öfter gehört.
Deshalb brauchen wir eine grundlegende Reform der öffentlichen Finanzen auf allen Ebenen, die zu mehr Transparenz und Gerechtigkeit beiträgt.

Sie behaupten auch: „Kommunen sind systemrelevant“. Das heißt?
Als die Banken am Abgrund standen, hat die Bundesregierung sofort Milliarden Euro zu ihrer Rettung bereitgestellt, weil die Banken systemrelevant seien. Das mag stimmen. Für den DGB sind aber auch Kommunen systemrelevant. Kommunen erbringen pflichtige und freiwillige Aufgaben. Dabei ist längst klar, dass gerade die sogenannten freiwilligen Aufgaben den Kern einer lebenswerten Kommune ausmachen: Kultur, Bildung, Sport, die Förderung von Bürgerengagement und Umweltschutz, Beratungsangebote, öffentlicher Personennahverkehr und noch viel mehr. Mit der kommunalen Finanzkrise besteht die reale Gefahr, dass bei den freiwilligen Ausgaben massiv gekürzt wird. Und wenn das nicht reicht, dann ist das Tafelsilber dran. Das darf gerade mit Blick auf die öffentliche Daseinsvorsorge nicht passieren. Wenn „Heuschrecken“ die Krankenhäuser besitzen, werden sich die Arbeitsbedingungen der dort beschäftigten Menschen zu Gunsten der Gewinne der Kapitaleigner verschlechtern. Wenn „Heuschrecken“ den öffentlichen Personennahverkehr übernehmen, werden unrentable Strecken einfach geschlossen. Wenn „Heuschrecken“ kommunale Wohnungen kaufen, erfolgen entweder Luxussanierungen, so dass sich die Mieter die Wohnungen nicht mehr leisten können, oder in die Wohnungen wird überhaupt kein Geld mehr gesteckt, und sie verrotten.

In vielen Kommunen haben sich Bündnisse gegen die drohenden Kürzungen gebildet.
Allein in Köln gibt es mehrere Bündnisse. Die Wohlfahrtsverbände protestieren gegen Kürzungen im sozialen Bereich. Kulturschaffende gegen Kürzungen im Kulturbereich. Jugendverbände gegen Kürzungen im Jugendbereich. Alle Akteure kämpfen aus ihrer jeweiligen Sichtweise und Betroffenheit für eine lebenswerte Stadt.
Allerdings dürfen die Haushaltsberatungen nicht davon beeinflusst werden, wer mehr Protest auf die Straße bringt. Die unterschiedlichen Interessen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wir müssen weg von der ausschließlichen Sicht auf Partikularinteressen, weil dann die Gefahr besteht, dass die Bereiche, die keine starke Lobby haben, zu den Verlierern gehören. Wir brauchen das Leitbild der sozialen und lebenswerten Stadt.

Auch in einer sozialen und lebenswerten Stadt gibt es unterschiedliche Interessen und Lobbys.
Das ist richtig. Aber der Konsens ist notwendig, damit die Stadt nicht auseinanderfällt. Wir dürfen nicht in wilde Verteilungskämpfe um die knappen Ressourcen fallen. Damit ist niemandem geholfen.

Da hilft nur mehr Geld.
Der DGB hat schon Vorschläge für eine Verbesserung der kommunalen Einnahmen unterbreitet: Transaktionssteuer, Reichensteuer, Erbschaftssteuer und die Neuaufteilung der Finanzmittel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu Gunsten der Gemeinden. Aber auch die Kommunen haben Möglichkeiten, ihre Einnahmen kurzfristig zu verbessern. Wir unterstützen beispielsweise die Idee der Kulturabgabe, um die Mindereinnahmen durch die Steuergeschenke an die Hoteliers auszugleichen. Zudem liegen in den nordrhein-westfälischen Kellern noch unglaubliche Schätze. Beispielhaft möchte ich hier titulierte Forderungen von geschiedenen Elternteilen anführen, die ihren Unterhaltsverpflichtungen nicht nachgekommen sind. Kommunen in Rheinland-Pfalz schon bestehen hier auf der Zahlung dieser berechtigten Forderungen. In NRW schlafen die Kommunen noch.

Andreas Kossiski
Foto: DGB Köln
Andreas Kossiski ist Vorsitzender der DGB-Region Köln-Bonn. Sie umfasst die Städte Köln, Bonn und Leverkusen sowie den Rhein-Sieg-Kreis, den Rhein-Erft-Kreis, den Rheinisch-Bergischen Kreis und den Oberbergischen Kreis. Mehr unter koeln-bonn.dgb.de.



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