Die Freiwillige Selbstkontrolle oder kurz F.S.K. Ist eine beispiellose deutsche Band, die sich seit 1980 in ihrem ganz eigenen Kosmos ständig wandelt. Die CD-Box „Mode & Verzweiflung“ liefert einen umfassenden Überblick über das Werk, von der frühen NDW-Zeit über eine Velvet Underground-Hommage, die Entdeckung transkontinentaler Effekte zwischen Bayern und den amerikanischen Südstaaten bis zu der Transponierung von schwarzer, elektronischer Tanzmusik in einen diskursiven Bandkontext. Die großartige, limitierte Dreifachbox kommt mit dickem Booklet (disko B). Die Mühlheimer Band Bohren und Der Club of Gore spielt seit 20 Jahren einen in Zeitlupe zerdehnten, instrumentalen Doom-Jazz. Auf ihrer neuen Platte erreichen sie mit nur drei Stücken fast Albumlänge. Auf „Beileid“ hört man den ersten Gesang seit Bandgründung, und das auch noch von Mike Patton. Das Titelstück ist in Bezug auf Tempo und Doom-Stimmung kaum zu toppen (Pias). Das innovative französische Elektronik-Duo Nôze weitet seine musikalische Bandbreite auf dem dritten Album „Dring“ aus und klingt mitunter kaum noch elektronisch: Balkan-Sounds, Swing, Doo-Wop oder Reggae mischen sich zwischen die Beats (Get Physical). Mit seinem Projekt Prefuse 73 hat Scott Herren zunächst den Hip Hop dekonstruiert und dann erweitert. Inzwischen kann man die vertrackten Beatgerüste und erhabenen Melodieloops kaum mehr mit Hip Hop assoziieren. Auf dem neuen Album „The only She Chapters“ klingt er durch die Hinzunahme von diversen Gastsängerinnen – u.a. Trish Keenan von Broadcast – außerdem ätherisch, wie in seinem psychedelischen Latin-Pop-Projekt Savath y Savalas (Warp).
Der Kölner Rhythmusforscher Burnt Friedman und die Kölner Schlagzeuglegende Jaki Liebezeit (Can) gehen in die vierte Runde: „Secret Rhythms 4“ ist mit sechs überlangen Tracks eine ausladende Exkursion in magische Rhythmen aus aller Welt, ohne einerseits Ethnokitsch, andererseits Authentizitätswahn zu bedienen. Die oft zehnminütigen Stücke gleiten in ihrem ganz eigenen Raum-Zeit-Kontinuum (Nonplace). Ende März erscheint mit „Cotonou Club“ das erste neue Album seit 20 Jahren des Orchestre Poly-Rythmo aus Benin. Mit Originalmitgliedern aus den 60ern bleibt man sich treu und entgeht peinlichen Modernisierungsversuchen. Guter Afro-Beat wie eh und je (Strut). Nach Ebo Taylors erster internationaler Veröffentlichung, dem Studioalbum „Love and Death“, wird nun eine umfassende Compilation hinterher geschickt. „Life Stories – Highlife & Afrobeat Classics 1973 – 1980“ versammelt auf zwei CDs 16 Stücke verschiedener Formationen, in denen Taylor seinen geschmeidigen Afro-Funk ausgebreitet hat (Strut).
Das Tied + Tickled Trio um die vor allem von The Notwist bekannten Acher-Brüder war immer eine experimentell-jazzige Spielwiese. Für ihr sechstes Studioalbum „La Place Demon“ haben sie sich als Gast den Schlagzeuger Billy Hart geschnappt. Der 70jährige hat schon mit allen Größen des Jazz gespielt und verfeinert nun den wundervoll zwischen melodischem und freiem Jazz wandelnden, dubig-elektronischen Sound des TT3 (Morr Music). Der Avantgarde-Künstler Felix Kubin veröffentlicht nach fünfjähriger Recherche einen assoziativen, subjektivistischen Blick auf „Historische Aufnahmen“. Vom pygmäischen Jagdritual über alte Fernmeldesounds, von elektro-akustischer Avantgarde eines David Tudor und irgendwelchen Maschinenaufnahmen findet man hier reichlich Obskures. Und wenn das alles ein weiteres Konzeptalbum von Felix Kubin wäre? Ähnlich sähe es ihm ja.
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