Eindrucksvoll sind die stillen Momente, dann wenn man sich möglichst alleine in dem transparenten weißen Raum im Gasometer in Oberhausen aufhält. Wenn man sich der Höhe so richtig bewusst wird und an den Unregelmäßigen der Taue feststellt, dass die Stoffe von Menschenhand zusammengeschnürt wurden, und dass man sich überhaupt in einer Hülle, also in einem prekären und vorübergehenden Gebilde befindet. „Big Air Package“, die ortsbezogene Installation, die Christo im Gasometer in Oberhausen konzipiert hat, besteht aus 20.000 qm lichtdurchlässigem Gewebe, das, zusammengehalten von 4.500 m Seil, auf eine Höhe von 90 m aufgerichtet ist. Zwei Gebläse erzeugen einen konstanten Luftdruck und bewirken, dass das Volumen erhalten bleibt. Man läuft auf einem weißen Boden, der Teil der Form ist. In der Hülle ist die diffuse Helligkeit an dem Tageslicht orientiert, das von oben, unterstützt durch etliche Strahler, einfällt. Natürlich sollte man, bevor man eintritt, die rundum laufende Wandung des Gasometers registrieren, in welche das „Big Air Package“ gesetzt wurde. Die Aufnahmen von Christos Hausfotografen Wolfgang Volz leisten ganze Arbeit, um sich der Hülle in der Hülle und der Dimensionen klarzuwerden. Schließlich ist der Gasometer, der 1929 in Betrieb genommen, 1988 stillgelegt wurde und seit 1994 für Ausstellungen genutzt wird, der größte Scheibenglasbehälter Europas. Als ehemaliger Gasspeicher der Gutehoffnungshütte ist er eines der wichtigen Industrie-Denkmäler des Ruhrgebiets.
Aber – reicht das, ist der leere Raum nicht etwas wenig für einen Weltkünstler wie Christo? Wahrscheinlich ist die Oberhausener Installation erst aus seinem gesamten Werk heraus verständlich. Sie verfügt über wesentliche Eigenschaften der großen, im Außenraum verwirklichten Werke, und sie kehrt das zentrale Prinzip von Christos Arbeit um: Christo umfängt nicht den Gasometer, sondern er fügt in ihn ein. Aber indem er der Binnenform des zylindrischen Behälters folgt, arbeitet er auch hier seine Beschaffenheit heraus. Er verwendet textilen Stoff, wie er in so vielen seiner Projekte eine wesentliche Rolle spielt: als Material mit spezifischen Eigenschaften, aber auch als symbolträchtiges Ereignis. Stoff ist im Werk von Christo und seiner Frau Jeanne-Claude Haut, Hülle, Verhüllung, transparenter Schleier, berührbar, aber wie aus einer anderen Welt. Da ist der Faltenwurf, der direkt auf die Kunstgeschichte weist, und da ist die Verschnürung, als Ritual, um das wir aus der japanischen Fotografie wissen. Eine Ahnung davon schwingt im „Big Air Package“ mit, das als Körper ein- und zusammengeschnürt ist und dabei uns umfängt. Und auch diesmal, in Oberhausen, verbindet Christo den Aspekt der Schönheit mit einem ökologischen Gedanken: Er verweist auf die Luft, die erst die Erdatmosphäre und alles Leben ermöglicht.
Mythische Orte
Im weiteren Sinne lässt sich Christo den Land Art-Künstlern zurechnen, auch wenn er stets nur für kurze Zeit in die Landschaft und die Natur eingreift. Aber seine Kunst ist dann in ihrer gigantischen Größe aus weiter Ferne zu bestaunen. Da ist der „Valley Curtain“, bei dem ein orangefarbener Vorhang zwischen Felsen auf fast 400 m in ein Tal gespannt wurde (1972). Bei den „Surrounded Island“ haben Christo & Jeanne-Claude um elf Inseln in der Biscayne Bay in Florida ein rosarotes Gewebe gesetzt (1983). Und bei „The Umbrellas“ wurden zeitgleich in Kalifornien und nahe bei Tokio insgesamt 3.000 sechs Meter hohe Schirme aufgespannt: gelbe Schirme im kargen Landstrich in Kalifornien, blaue Schirme auf den üppigen japanischen Feldern (1991). Die theatralische Choreographie ist Teil dieser Projekte. Konsequenterweise führt Christo sie an auratischen Orten auf. Dies gilt auch für die Verhüllung des Reichstages in Berlin, die Christo & Jeanne-Claude im Sommer 1995 vornahmen. Vor allem damit wurden die beiden in New York ansässigen Künstler bei uns populär.
Christo wurde 1935 in Bulgarien geboren, am gleichen Tag wie seine Frau Jeanne-Claude, die aus Casablanca stammte und bis zu ihrem Tod 2009 als Mitautorin aller Projekte auftrat. 1958 zog Christo nach Paris, wo er mit ersten kleineren Objekten und Installationen in Erscheinung trat – zum Weltstar wurde er aber mit seinen riesigen, aufwändigen Projekten und durch das Missionarische und seine charismatische Präsenz, die jetzt auch beim Pressegespräch in Oberhausen zum Ausdruck kam. Zu seinem Engagement gehört auch, dass er die großen Projekte selbst durch den Verkauf der vorbereitenden Zeichnungen und Collagen finanziert.
Aber während Christo bei anderen Projekten oft jahrelang für den Ort und gegen Vorbehalte von Verwaltungen gekämpft, sich um die Finanzierung gekümmert und an das Mögliche der vermeintlich unmöglichen Realisierung geglaubt hat, hatte er nun in Oberhausen leichtes Spiel: Man kannte sich, Christo hat hier bereits 1999 die Arbeit „The Wall“ mit 19.000 Ölfässern verwirklicht. Auch ist das „Air Package“ für Christo nicht etwas wirklich Neues: Zwischen 1966 und 1968, auf der documenta in Kassel, hat er mehrere leere Räume mittels der Umhüllung des Luftvolumens ausgestellt. Indes sind die technischen Möglichkeiten vorangeschritten, und die Oberhausener Version ist die größte aus dieser Werkgruppe. – Aber ob ein Berggipfel oder die Mitte eines leeren Stadions nicht ebenso Gefühle des Erhabenen vermitteln? Natürlich liegt der Vergleich mit einer Kathedrale nahe. Also warum nicht gleich in eine solche gehen? Und doch: Die Installation im Gasometer lässt den Aufwand vergessen, ja, wirkt fast selbstverständlich und macht uns direkt zu Teilhabern. Unterstrichen noch durch die sehr gute, teils filmische Dokumentation der bisherigen Projekte, die im Eingangsbereich zu sehen ist, erschließt sich eindrucksvoll, was die Bedeutung von Christos Gesamtwerk ausmacht. Vielleicht ist es einfach eine Frage der rechten Zeit, der angemessenen Witterung und Lichtverhältnisse und eben der Leere des Raumes, wenn man das „Big Air Package“ betritt.
„Christo – Big Air Package“ I bis 30. Dezember I Gasometer Oberhausen I www.gasometer.de
Parallel dazu sind sieben Entwurfszeichnungen im Kabinett der Ludwiggalerie im Schloss Oberhausen ausgestellt: www.ludwiggalerie.de
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