choices: Herr Klocke, der Bau der Leverkusener Brücke wurde Ende April vorerst gestoppt, der Vertrag mit dem zuständigen Bauunternehmen gekündigt, die Fertigstellung verzögert sich um Jahre. Was hat diese drastische Entscheidung nötig gemacht?
Arndt Klocke: Die ursprüngliche Planung war, dass 2020 der erste Bauabschnitt fertig sein sollte – gebaut wird ja in zwei Abschnitten. Jetzt geht man von 2023 aus, also von drei Jahren Verzögerung. Der Hintergrund ist der, dass die Stahlteile, die in der Brücke verbaut werden sollten, bei einem chinesischen Stahlbauer in Auftrag gegeben wurden. Bei einer Prüfung vor der Verbauung wurde festgestellt, dass der Stahl bauliche Mängel aufweist und nicht den Standard aufweist, der bei verbautem Stahl hierzulande gefordert ist. Der österreichische Hersteller hat nicht gewährleisten können, dass der Stahl den deutschen und europäischen Qualitätskriterien entspricht. Die Mängel sind so gravierend, dass der Stahl nicht verbaut werden kann, also dass eben auch keine Möglichkeit besteht, die mangelhaften Teile zu ersetzen oder in der erforderlichen Zeit zu liefern. Das hat dazu geführt, dass der Baufirma gekündigt wurde beziehungsweise, dass man sich anderweitig nicht hat verständigen können.
Welche Konsequenzen hätte die Verwendung der schadhaften Teile gehabt, wäre deren mangelhafte Qualität unentdeckt geblieben?
Es geht um die Standsicherheit der Brücke – die jetzige stammt aus den 60er Jahren und weist mittlerweile schwere bauliche Mängel auf, durch Risse im Stahlbeton und die notwendige verkehrliche Ablastung. Und wenn man so ein Bauwerk neu baut und es von vornherein schon Mängel im Material gibt, ist natürlich die Gefahr groß, dass es bei der Standsicherheit später erhebliche Probleme gibt, so dass man ein permanentes Monitoring durchführen muss – also genau wie bei der alten, das wäre natürlich nicht zu rechtfertigen. Vor allem, weil die Belastung der Brücke nicht ab-, sondern viel eher noch zunehmen wird, aufgrund der Zunahme des Güterverkehrs. Also ist es auch, was den finanziellen Aufwand angeht, nicht zu rechtfertigen, deswegen halte ich die Kündigung für richtig.
Welche Konsequenzen hat die neue Situation für die Gesamtkosten des Projekts und die Entwicklung des Verkehrs in NRW?
Unter Verkehrsplanern fungiert die Brücke unter dem Schlagwort „Das Nadelöhr des Westens“. Sie ist die meistbefahrene Autobahnbrücke bundesweit und durch das Verbot von Lkw über 3,5 Tonnen müssen diese erhebliche Umwege fahren, was mit erheblicher zusätzlicher Umweltbelastung verbunden ist. Hinzu kommt die finanzielle Belastung für die Unternehmer. Von unserer Warte aus ist es doppelt ärgerlich: Geplant worden war das Projekt noch von der rotgrünen Vorgängerregierung, der Spatenstich und der Baubeginn fielen dann in die Amtszeit des neuen Verkehrsministers Hendrik Wüst. Wir als Grüne hatten uns damals entschlossen mitzutragen, aus Gründen der Zeitersparnis, Klagemöglichkeiten aus dem Planungsprozess herauszunehmen, so dass Einwände nur noch vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig möglich waren – durchaus schweren Herzens, weil es ja auch erhebliche Einwände gegen den Bau gab, von Anwohnern und Umweltschützern. Dem war bereits ein langer Prozess vorangegangen: 2012 wurden die Mängel an der Brücke erstmals entdeckt, dann gab es erst einmal eine Ablastung. Dann wurde die Brücke wieder frei gegeben, aber dann wurden doch wieder so erhebliche Mängel festgestellt, dass ab 2017 das Lkw-Verbot durchgesetzt wurde. Darum haben wir damals schon die beschleunigte Planungsphase mitgetragen. Dass man das, was man dadurch an Jahren gewonnen hatte, durch diese Mängel am Stahl nun wieder komplett verliert, ist natürlich ärgerlich und nicht zu rechtfertigen. Die Konsequenz ist, dass es deutlich teurer werden wird: Straßen.NRW rechnet nun mit etwa 600 Millionen Euro, es waren mal etwa 350, 360 Millionen Euro angepeilt – also fast eine Verdoppelung, Stand jetzt. Dazu kommt eben die dreijährige Bauverzögerung: Die Stausituation wird sich nicht ändern und die Pendler und die Zulieferer, die zu den Fordwerken in Niehl wollen, sind eben auch gekniffen.
Die Stahlproduktion in China wurde sowohl von Straßen.NRW als auch vom TÜV Rheinland vor Ort geprüft. Beide kamen zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen, so dass ein dritter Gutachter beauftragt wurde. Warum war allein der Prüfungsprozess so kompliziert?
Eine gute Frage. Es ist eben so, dass chinesische Anbieter generell eine schlechtere Stahlqualität produzieren und liefern – ich meine, dass die österreichische Baufirma den chinesischen Hersteller stärker in die Pflicht hätte nehmen müssen und die Herstellung strenger hätte kontrollieren sollen. Vermutlich ist das aus Kostengründen nicht erfolgt, so dass man da eine Nachlässigkeit hatte. Bei der Neuausschreibung wird von den Bauunternehmern ja gefordert, dass die Herstellung und die Montage der tragenden Stahlteile von der Bietergemeinschaft selbst ausgeführt werden darf und eben nicht vom Anbieter, eine deutliche Veränderung. Sie hat dadurch ein direktes Vertragsverhältnis mit dem Stahlbauer, damit kann Straßen.NRW von vornherein stärker kontrollieren. Das halte ich auch für absolut richtig, das war beim vertraglichen Verhältnis vorher nicht der Fall.
Das Bauunternehmen Porr erhielt den Zuschlag, weil es das kostengünstigste Angebot machte – eine gesetzliche Vorgabe bei kommunalen Projekten. Ist der Fall der Brücke ein Indiz für die Kontraproduktivität dieser Vorgabe?
Als alleiniges Kriterium halte ich es in der Tat für falsch. Natürlich ist der preisliche Aspekt ein relevanter, aber die Frage von Qualität und preislicher Leistbarkeit ist genauso von Bedeutung. Wenn der angebotene Preis das Hauptkriterium für die Erteilung eines Zuschlags ist, dann ist es natürlich mit Risiken behaftet und wirkt sich dann logischerweise auf die Qualität aus. Eine Frage ist die Qualität der einzelnen Baustoffe, eine andere Frage ist die der Zeitabläufe und so weiter. Alles, was man da möglicherweise an erster Stelle einspart, stellt sich im Nachhinein häufig als Risikofaktor heraus, so dass man bei späteren Sanierungen in die Röhre guckt und doppelt und dreifach investieren muss. Manchmal ist es ja auch so, dass bei späteren Sanierungen die haftende Baufirma gar nicht mehr existiert, das gibt es ja auch. Das würde für mich heißen, dass man über die Kriterien sprechen muss.
Andererseits: Wäre ein „qualitätsorientierter“ Ansatz dem Steuerzahler nicht deutlich schwieriger zu vermitteln?
Klar, es gibt Organisationen wie den Bund der Steuerzahler, die bei vermeintlicher Verschwendung versuchen einzuschreiten. Ich glaube aber, es ist die logische Argumentation zu sagen, dass der Preis nicht die einzige entscheidende Frage ist: Die Qualität der Materialien, der Firma selbst oder auch der tariflichen Ausgestaltung sind ebenfalls relevante Fragen, was das Vergaberecht angeht. Für die Öffentlichkeit sind das meiner Meinung nach alles relevante Kriterien, wobei ich mir vorstellen kann, dass der Bund der Steuerzahler das anders sehen könnte. Ich glaube aber, der Öffentlichkeit ist das vermittelbar, das ist eine Debatte, die wir in anderen Bereichen auch haben – bei den Lebensmittelpreisen oder Preisen für Kleidung etwa. Klar, auch da gibt es die Meinung: Geiz ist geil und Hauptsache billig – aber es gibt eben auch Menschen, die sagen: Wir wollen was Anständiges auf dem Teller haben, das von Menschen produziert wurde, die ordentlich bezahlt wurden. So ähnlich würde ich es einordnen wollen, ohne ein Schnitzel mit einer Brücke vergleichen zu wollen.
Die beteiligten Akteure schieben sich gegenseitig Verantwortung zu: die NRW-Landesregierung, Straßen.NRW, das Bauunternehmen, der chinesische Hersteller der Bauteile, der TÜV Rheinland etc. Ist diese Frage angesichts der Vielzahl der Beteiligten überhaupt zu klären?
Da würde ich unterscheiden wollen zwischen politischer und juristischer Verantwortung. Was die juristische angeht, könnte man sicherlich klären, wenn man da ein Klageverfahren anstrebt, was in der Verantwortung des Bauunternehmers und was in der des chinesischen Stahlhersteller liegt. Es gab ja mehrere Kontrollbesuche, die nicht hereingelassen wurden – das Ganze ist ja auch ein Fall, der einen spannenden Wirtschaftskrimi hergeben würde. Das ist für mich als Politiker ehrlich gesagt aber weniger relevant, für mich geht es in der Bewertung eher darum, wer in der politischen Verantwortung ist – und das ist aus meiner Sicht ganz klar die Landesregierung, das Verkehrsministerium und eben auch Straßen.NRW. Das Projekt stand so sehr im Fokus der Öffentlichkeit, die Brücke war 2012 in den Medien ja sozusagen das Mahnmal der bröckelnden Infrastruktur Deutschlands. Wir reden nicht über eine Bahnbrücke im Kölner Süden oder irgendeine Autobahnbrücke bei Düren, sondern das Problem kannte damals, als die Debatte lief, quasi jeder in Deutschland. Und da wundere ich mich schon, dass die Qualitätskontrolle da nicht gegriffen, dass der Minister das nicht zur Chefsache gemacht hat. Wir haben bis zu den ersten Pressemeldungen im Verkehrsausschuss nichts von den Problemen gehört – das erste Mal, dass wir uns im Ausschuss damit befasst haben, war vor einem Monat, also Mitte Mai. Die öffentliche Debatte begann ja schon Mitte April, das heißt, das Ministerium, auch der Minister, hatte uns bis dahin nicht informiert und musste erst zu einer aktuellen Stunde in den Landtag zitiert werden. Ansonsten informiert das Ministerium über jedes Kinkerlitzchen, aber bei einem so zentralen Infrastrukturprojekt ist das über Monate versäumt worden. Es ist ja seit über einem Jahr klar, dass es dort eine schwierige Situation gibt. Angeblich hat die Hausspitze von Straßen.NRW im Januar schon zur Vertragskündigung aufgerufen, von daher fühle ich mich als Abgeordneter zu spät informiert und das ist eine politische Verantwortung.
Die IHK Köln und andere Handelskammern schlagen einen “Runden Tisch zur kommunikativen Unterstützung” vor, fordern ein Kontrollgremium bzw. einen Beirat für Straßen.NRW. Halten Sie dies für eine sinnvolle Maßnahme? Warum hat Straßen.NRW bisher noch keinen entsprechenden Beirat?
Da bin ich ehrlich gesagt ein bisschen skeptisch. Ich bin in so vielen Kuratorien und Beiräten, da ist viel Schwätzerei dabei. In diesen Beiräten trifft man sich zweimal im Jahr und bekommt ein paar Tage vorher 430 Seiten Unterlagen, die noch durchzuarbeiten sind. Ich bin nicht grundsätzlich dagegen, aber die entscheidende Frage ist aus meiner Sicht eher die Informationspolitik des Hauses. Wenn die funktionieren würde, bräuchte man keinen Beirat.
An welchen Schrauben müsste gedreht werden, um Verantwortlichkeiten klarer zuordnen zu können? Sollte bereits beim Vergabeverfahren angesetzt werden? Braucht es auch härtere Konsequenzen?
Ich meine, beim Vergabeverfahren mit der europaweiten Ausschreibung muss nachjustiert werden, was die Qualität angeht. Es müsste am Kriterienkatalog geschraubt werden, und die Frage bei der Kostenkalkulation ist ja, wie vorhin angesprochen, ob es spätere Nachforderungen gibt durch Mängel, die später bemerkt werden. Die Frage ist also, gibt man dem niedrigsten Angebot oder dem wirtschaftlichsten Angebot den Vorzug – und das wirtschaftlichste ist nicht das, bei dem Nachforderungen wahrscheinlich sind. Wir hatten im Fall der Brücke das niedrigste, aber nachweislich nicht das wirtschaftlichste Angebot – im Nachhinein zahlt ja der Steuerzahler drauf. Und neben der monetären Frage ist da die Frage der Umweltbelastung in der Region, die der Einnahmeausfälle und Kosten für die Unternehmer. All das kommt ja da oben drauf, und darum müssen wir eigentlich an das Vergaberecht ran und die qualitativen Gesichtspunkte überarbeiten. Das muss eine Aufgabe für die Politik sein, den Kriterienkatalog zu überarbeiten und das Hauptaugenmerk von dem niedrigsten Angebot hin zum wirtschaftlichsten Angebot zu lenken.
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