Für das Herbstprogramm suchte die Lesereihe im Theater der Wohngemeinschaft im Juni nach neuen Stimmen. „Hallo junge/r, unbekannte/r Kölner Schriftsteller/in!“, begann der an junge Schreiber bis 30 gerichtete Aufruf. Vier wurden ausgewählt, drei Herren, eine Dame, die der Kölner Schriftsteller und Literaturklub-Moderator Adrian Kasnitz („Wodka und Oliven“) am Montag, den 8.12. in dem langen und schmalen Theater den neugierigen Besuchern vorstellte: Freilich handle es sich nicht um komplett unbekannte Gesichter, es seien doch einige schon ans Licht der Öffentlichkeit getreten.
Hakan Tezkan (*1989), der nach Leipzig derzeit in Wuppertal studiert, aber in Köln lebt, machte den Anfang, indem er auf der Bühne zunächst Kasnitz’ kurze Fragen beantwortete. Als Redaktionsmitglied des Still-Magazins (Berlin) sei er für den literarischen Teil desselben zuständig, während andere sich um den fotografischen Teil kümmerten; privat arbeite er an einem „längeren Text, der vielleicht einmal ein Roman werden wird“. Dessen möglicher Beginn wurde dann verlesen. Man hörte einen vorbereiteten, gleichmäßigen Leser, der mit verdichteter, beschreibender Prosa die familiären Beobachtungen des Protagonisten „M.“ teilte. Die Familie muss mit Krankheit und Alter umgehen, niemand scheint mehr zu etwas fähig, die Luft ist raus. Es bleiben unerwiderte Gesten, die man einander schuldig bleibt. Ein etwas niederdrückender, voll Beobachtungen steckender Textabschnitt, der auf eine befreiende Auflösung wartet.
Annika Münster (*1986), die als Nachhilfelehrerin in Bonn arbeitet und Politik, Anglistik und Philosophie studiert hat, folgte mit zwei Romankapiteln, die an der Familie der Protagonistin mehr die stützende und Rückhalt bietende Seite beschrieben. Die 30-jährige, liberal unterrichtende Lehrerin Dornbach wird entlassen, nachdem sie mit einer Klassendiskussion über Marihuana zum wiederholten Male bei der Schul-Obrigkeit aneckt. Am letzten Tag fühlt sie sich wie eine Geächtete, die sich am liebsten einfach in Luft auflösen würde, statt noch eine Sekunde länger den enttäuschend oberflächlichen Kollegen ausgesetzt zu sein. Mit Selbstzweifeln belastet und im Unklaren über ihren Platz in der Welt, entsinnt sie sich ihrer Familie und Freunde. Die emotionalen Gedankengänge, die zur Außenwelt im Widerspruch stehen, las die an Auftritte noch nicht gewöhnte Frau Münster recht zügig. Im Einleitungsgespräch mit Adrian Kasnitz erzählte Münster, während einer Zeit in Italien viel Hesse gelesen und so den Hang zu ernster Literatur entwickelt zu haben. Sie schriebe neben deutsch auch auf Englisch, dann fühle sie sich freier und könne sich an andere Themen herantrauen.
Sascha Klein (*1988) ist ein Großstadt-Poet, der sich seine Lesungen textspezifisch mit gedämpft pulsierender Elektronikmusik unterlegt, wie sie auf regennassen Straßen nach Mitternacht in nachtaktiven Stadtvierteln leise durch die Gegend schallen, wenn alle, die Job und Familie haben, längst schlafen. Aktivitäts-Knotenpunkte wie der Zülpicher Platz und der Wiener Platz werden teilnehmend beobachtet und aufgesogen, Bewegungen eingefangen, Geräusche wahrgenommen; die von Klein ästhetisch verwerteten Außen- und Innenräume können nicht lügen und geben Anstoß zu sich steigernden Reimen. Dabei übergeht Klein im strengen Rhythmus das gegen Ende jedes Gedichts seiner Raffinesse und Unaufhaltsamkeit geltenden Gelächters. Er endet mit ebenso starken „jüngeren“ Gedichten über Fernseh-Literatursendungen und Fastfood. Längere Werke hat er noch nicht veröffentlichen können („Material ist da“), jedoch würden u.a. Theater-Einakter aufgeführt. Wie Münster schreibt er wegen der unterschiedlichen Möglichkeiten mitunter auf Englisch und gemischt, während er im Fachbereich Amerikanische Literatur promoviert.
Tilman Strasser (*1984) stammt aus München und hat dort 2009 das Literaturstipendium gewonnen, das ihm half, nach einigen Erzählungen während des Literaturstudiums den Roman „Hasenmeister“ zu vollenden. Der fand dann keinen Verlag, bis kürzlich doch noch jemand zugriff und das Debüt Anfang 2015 herausbringen will. Strasser nutzte den Abend, um sich mit dem Buch wieder vertrauter zu machen. Es geht um den in einer Musikerfamilie aufwachsenden Violinstudenten Felix Hasenmeister, der in beeindruckender Sprache vom Musikstudium und vom wilden Orchesteralltag seiner Eltern erzählt. In spannungsvoll und sicher aufgebauten Sätzen, die Neugierde auf den nächsten machen, mischt sich das Glaubhafte mit dem Skurrilen, im Menschlichen wurzelnde Situationen kulminieren aberwitzig in kleinen Desastern. Die verzwickte Lage des Studenten werde laut Strasser im Laufe des Romans über die miterzählte Vergangenheit verständlich. Sehr wichtig sei ihm die Sprache, die er für seine Arbeiten gefunden habe. Er arbeitet auch als Journalist und benutzt Pseudonyme.
Dem Abend nach zu urteilen, fehlt es in und um Köln derzeit nicht an jungen Talenten, die auf unterschiedlichem Wege zur Literatur gekommen sind. Freilich fiel auf, dass die englische Sprache sich langsam auch den Weg in die deutsche Literatur erobert. Sascha Klein nannte als Grund den „Perspektivwechsel“, den die andere Sprache ermögliche, und die Möglichkeiten des Englischen etwa beim dialogischen Erzählen. Wie weit dieser Weg gegangen werden kann und wie sich der Schriftsteller-Nachwuchs auf dem schwierigen Markt zu platzieren vermag, das kann nur die Zukunft zeigen. Der Literaturklub wird hoffentlich weiterhin nach neuen Stimmen horchen.
Der nächste Literaturklub findet am 12.1. um 20 Uhr mit einem Programm von Roberto Di Bella zu Rolf Dieter Brinkmann statt.
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