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Probenbesuch bei „Ich wünsch mir eins“
Foto: Laura Schleder

„Beide fühlen eine Leere in sich“

27. November 2014

Sandra Reitmayer inszeniert am Theater der Keller Azar Mortazavis „Ich wünsch mir eins“ – Premiere 12/14

George ist ein alter Sack. Versoffen, gewalttätig, geil, heruntergekommen. Eigentlich ein Arschloch, in das sich ausgerechnet die junge Leila verliebt. Sie hängt sich wie eine Klette an George, sucht seine Nähe mit verstörender Penetranz, schläft mit ihm, will ein Kind von ihm – auch als er sie immer wieder rauswirft und sogar verprügelt. Ist das Liebe? Verzweiflung? Die Migrantin Leila ist eine Heimatlose, ihr Vater Sahid hat die Familie verlassen, als sie ein Kind war. Seitdem wartet sie auf ihn. Ihre Nachbarin Sibylle hat einen kleinen Sohn, mit dem sie nichts anfangen kann und zu dem sich Leila hingezogen fühlt. Wie sich herausstellt, ist Sahid dessen Vater. Was die junge Autorin Azar Mortazavi (Jahrgang 1984) in „Ich wünsch mir eins“ in knappen und poetischen Dialogen beschreibt, ist eine Entfremdung, die letztlich die ganze Gesellschaft ergreift. Regisseurin Sandra Reitmayer, die letztes Jahr mit dem Kölner Theaterpreis ausgezeichnet wurde, inszeniert am Theater der Keller, die Ausstattung besorgt Silvie Naunheim.

choices: Wie schwer ist es, als junge Regisseurin Fuß zu fassen?
Sandra Reitmayer:
Das hat damit zu tun, wie einfach oder schwierig man es sich macht. Was will man? Ich war im Studium zuversichtlich, nach meinem Abschluss Ende 2012 kam dann das erste Loch. Das hat mir geholfen, mich mit der Realität zu konfrontieren. Ich inszeniere jetzt zum zweiten Mal am Theater der Keller. Außerdem habe ich mit einer palästinensischen Schauspielerin und meinem früheren Professor Brian Michaels die Compagnie „Lysha Productions“ gegründet. Das hätte ich nie gedacht.

Warum haben Sie sich für Azar Mortazavis Stück „Ich wünsch mir eins“ entschieden?

Sandra Reitmayer
Foto: Laura Schleder
Sandra Reitmayer wurde 1985 geboren und wuchs nahe Erlangen auf. Erste Theatererfahrungen machte sie im Schultheater und im Jugendclub des Stadttheaters. Nach einem Jahr in Berlin ging sie als Regieassistentin ans Theater an der Ruhr in Mülheim. Anschließend studierte sie an der Folkwang Universität der Künste Schauspiel und Regie. Seit 2012 arbeitet sie als freiberufliche Regisseurin.

Da war mir vieles ganz nah, ich hatte sofort zu vielem einen Bezug. Ich mag die beiden Hauptfiguren Leila und George sehr gerne. Ich mag das Bild des kleinen Jungen, dessen Schritte Leila hört und auch die Sehnsucht und das Fernweh. Ich hatte allerdings von Beginn an Zweifel an der Figur der Sibylle und auch daran, wie und wann der Vater als Figur im Stück auftaucht. Ich habe deshalb den Text auf zwei Schauspieler und einen Kontrabassisten, der musikalisch für Leilas Vater steht, zusammengestrichen. Es geht um Leila und George.

Wieso verbindet sich das Stück für Sie mit Musik?

Das hat mit der Sprache Azar Mortazavi zu tun, die einem oft sehr vertraut erscheint, dann aber eine ungeheure Poesie entwickelt. Für diese Poesie und auch diese flirrende Sehnsucht habe ich ein Äquivalent gesucht. Unser Kontrabassist Stefan Schnönegg kommt aus dem Jazz, ist also gewohnt zu improvisieren, arbeitet auch in Richtung neue Musik und holt ungewöhnlich Klänge aus seinem Instrument hervor. Es wird also keine illustrierende Musik, sondern in der Musik entsteht eine eigenständige Figur.

Wieso hängt Leila ihre Existenz plötzlich an diesen alten versoffenen George?

Man ist von Beginn an auf Leilas Seite und möchte ihr sagen, sie soll diesen Mann sein versoffenes Leben führen lassen und sich von ihm fernhalten. Dann hat man Mitleid mit ihm, weil sie ihn nicht in Ruhe lässt, obwohl er von vornherein sagt, dass er das nicht möchte. Sie ignoriert seine Abwehr. Natürlich spielt für Leilas Hinwendung zu George ihr Vaterkomplex eine Rolle, sie sucht sich einen passenden Ersatz, der ihr vertraut ist. Dieser George macht ihr selbst in seiner Brutalität und seinem Alkoholismus keine Angst. Das ist erstaunlich und daraus rührt eine große Stärke.

Hat Leilas Fremdheit etwas mit ihrer Herkunft als Migrantin zu tun?

Nein, dieses sich Fremdfühlen ist für mich viel wichtiger als die Migrantenthematik – auch wenn wir Pia-Leokadia Bucindika für die Rolle engagiert haben, der man klar ansieht, dass sie nicht von hier kommt.

Eigentlich fühlt sich doch keine der Figuren in der Gesellschaft zuhause.

Leila und George fühlen beide eine Leere in sich. George, den Arno Kempf spielt, hat sich bisher damit eingerichtet. Er füllt seine Leere mit Bier und ist zufrieden, wenn ihn niemand darauf anspricht, dass er abgestorben ist. Bei Leila ist es umgekehrt, sie stellt das aus, definiert sich über diese Leere und Sehnsucht. Das verbindet die beiden. Ob man das Liebe nennen möchte, bleibt dahingestellt. Nachdem er nicht zulässt, dass sie sich ihm nähern darf, ist das zum Scheitern verurteilt.

Das Warten spielt in Azar Mortazavis Stück eine große Rolle. Was hindert die Figuren daran, ihr Leben in die Hand zu nehmen.

Ihnen fehlt die Zuversicht, ein Ziel und auch der Glaube, dass sie ihr Leben in die Hand nehmen können. Das Warten hat aber auch etwas Aktives. Leila hat das Warten gelernt, das macht sie ihr Leben lang und sagt zwei Seiten später, sie sei nicht gut darin. In der Reflexion und der Auseinandersetzung liegt ein aktives Moment. George wiederum muss viel Kraft aufwenden, um von dieser Frau in Ruhe gelassen zu werden, um warten zu können. Er ist dann aber auch derjenige, der sagt, sie soll zu ihm kommen. Er holt sich selbst aus diesem Zustand des Wartens heraus.

George ist nicht nur Alkoholiker, er ist gewalttätig, will nur Sex – was macht den Mann als Theaterfigur interessant?

Eine kaputte männliche Figur reizt mich immer. Er hat eine unglaubliche Verletzlichkeit und zugleich diese Abwehr, die ihm hilft, nicht an dieser Frau zugrunde zu gehen. Leila würde ihn überrollen. Er ist für mich viel unsicherer als sie, weil er aufgegeben hat. Er liegt am Boden, schafft es aber, alles abzuwehren. Außerdem ist er zerrissen zwischen der Abwehr und dem Begehren.

Am Ende verlässt Leila George. Wo geht sie hin?

Der andere Ort, der bei Azar Mortazavi mit dem Begriff Arabien umschrieben wird, ist ein Ort, wo für Leila alles gut werden kann, wo ihr Vater ist. Jedes Mädchen um die zwanzig würde in das Land ihres Vaters reisen, um sich das mal anzugucken. Sie würde wahrscheinlich enttäuscht werden, aber immerhin. Leila erhält diese Lebenslüge von ihrem Vater aufrecht. Sie möchte das so genau gar nicht wissen. Nimmt man also das Wort Arabien, das man so auf keiner Landkarte findet, raus, ist es ein Ort nicht auf dieser Welt. Das Jenseits, wo ihr Vater vielleicht jetzt schon ist. Für mich geht Leila am Ende in den Tod.

„Ich wünsch mir eins“ | R:Sandra Reitmayer|28.11.(P), 3.12., 11.12., 19.12., 28.12. 20 Uhr | Theater der Keller | 0221 27 22 09 90

INTERVIEW: HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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