Ein kugeliges Objekt aus goldglänzenden Glöckchen; eine Installation aus Kabeln und Licht; ein Wald aus Neonröhren oder ein Arrangement aus altehrwürdigen Sesseln in einem leeren Raum – es fehlt das Genre, mit dem es möglich wäre, die Kunst Haegue Yangs in ihrer Gänze zu umfassen. Genauso fehlen die Worte, um jenen ersten Moment der Verblüffung zu beschreiben, der allzu gerne von Yangs Kunstwerken ausgelöst wird. Was jedoch nicht fehlt, ist die Gelegenheit, sich in eben jene Situation zu begeben.
Mit der Ausstellung „ETA 1994 – 2018“ holt das Museum Ludwig die Künstlerin ab April an den Rhein. Als diesjährige Preisträgerin des Wolfgang-Hahn-Preises der Gesellschaft für Moderne Kunst des Kölner Museums wird Yang für ihr bisheriges Werk geehrt. Somit kann sich die 1971 in Seoul geborene Künstlerin in die lange Liste von Ausnahmekünstlern wie Cindy Sherman oder Isa Genzken einreihen, die den mit 100.000 Euro dotierten Preis seit seiner ersten Verleihung 1994 unter anderem erhielten. Selbst umgeben von Hochkarätern der Kunstwelt sticht Yang mit ihren Arbeiten hervor, hat sie sich doch nie einer Gattung ganz verschrieben und stattdessen geradezu unbekümmert das ihr naheliegende verfolgt.
Als weltweit erste Retrospektive zeigt die Ausstellung „ETA“ – kurz für „estimated time of arrial“ – neben Installationen, Objekten und Skulpturen daher auch Videoarbeiten, Lackbilder und Fotografien, die allesamt aus unterschiedlichen Schaffensphasen Yangs stammen und in ihrer Komposition zu einem Best Of verschmelzen, das seinesgleichen sucht – und zwar vergeblich. Was auf den ersten Blick wie eine rastlose Werkschau von wild durchmischten Kunstrichtungen und Stilen erscheint, entpuppt sich auf den zweiten Blick als eine sehr persönliche, sehr abstrahierte Erzählung der vergangenen fünfundzwanzig Jahre. 1994 als Meisterschülerin von Georg Herold an der Städelschule ausgezeichnet, lebt Haegue Yang seitdem ein Leben, das sie von internationalen Ausstellungen in Los Angeles, New York, Paris, Kassel und Peking nach Seoul oder Berlin führt, jene zwei Städte, in denen sie auch arbeitet und mit einem eigenen Atelier künstlerisch verortet ist. Der Einfluss sowie der Charakterzug der immer weiter fließenden Zeit finden sich genauso in ihren Werken wieder wie die Suche nach Vertrautheit und Geborgenheit.
Geradezu kontrapunktierend zur Rastlosigkeit ihres eigenen Daseins lässt Yang dabei dem sinnlichen Erleben der Welt eine besondere Rolle zukommen; während manche ihrer Arbeiten von Düften, Licht, Wärme und Wind begleitet werden, spielen andere mit transitorischen Elementen und verändern sich zunehmend, ohne jemals wieder zu ihrem ursprünglichen Ausgangspunkt zurückzukehren. Einer unsichtbaren Ordnung folgend, sind vor allem ihre Installationen aus Alltagsobjekten unaufgeregt und faszinierend zugleich. Alles ist hier an seinem Platz, alles ist genau dort, wo es hingehört – und gleichzeitig nicht: Jalousien hängen herrenlos in einem zwölf Meter hohen Raum und scheinen dabei aus lauter Ratlosigkeit die Luft zu zerschneiden. Fern jeglicher Nutzung wurden sie von Yang ihrer Funktion beraubt und strahlen in der Konsequenz eine seltsame Magie aus, strukturieren sie den Raum doch neu.
Ob überdimensionale Skulpturen aus Kleiderständern und Perücken, ob Fotografie oder Video – Yang gelingt es, ihren Kunstwerken eine Tiefe einzuverleiben, die auch den Betrachter weder räumlich noch emotional ausschließt. Mit einer regelrecht kindlichen Vorstellungskraft fügt sie Gegenstände zu einem neuen, noch nie zuvor dagewesenen Ganzen, dessen Ästhetik machtvoll und dessen Funktion gleichermaßen sinnlos ist. Dabei entsteht die Wirkung von Haegue Yangs Kunst erst in der Begegnung, in der Neugierde sowie in der Entfremdung. „ETA 1994 – 2018“ ist daher beides: Eine Ausstellung mit Werken einer international gefeierten Künstlerin sowie eine Reise in ein sinnliches Wunderland, dessen Ausmaße einzig individuell erfahrbar sind und dessen Kraft erst im Detail zu wirken beginnt.
Haegue Yang: ETA 1994 – 2018 | 18.4.-12.8. | Museum Ludwig Köln | 0221 22 12 34 91
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