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Foto: © Jens Schippl

„Wir haben eine Riesenkapazität, die ungenutzt bleibt“

27. Juli 2017

Technologie-Forscher Jens Schippl über Carsharing – Thema 08/17 Verkehrt wohin?

choices: Herr Schippl, welche Alternativen gibt es zum PKW?
Jens Schippl: Alternativen zum Auto gibt’s natürlich eine ganze Menge: Fahrrad, öffentlichen Verkehr, die ganzen anderen Angebote. Dann gibt’s die Möglichkeit, kein eigenes Auto zu besitzen beziehungsweise das eigene Auto Anderen zur Verfügung zu stellen. Es ist eins der Güter, das wir für teures Geld anschaffen, und das im Schnitt 23 Stunden am Tag einfach nur herumsteht. Wir haben da eine Riesenkapazität, besonders in den Städten, die ungenutzt bleibt.

Welche Gründe sehen Sie dafür?
Pragmatisch gesehen gibt es zunächst zwei Gründe, warum für viele das eigene Auto wichtig ist. Das Eine ist die Verfügbarkeit: „Ich könnte, wenn ich denn wollte, jederzeit das Auto nutzen.“ An vielen Wohnorten in Deutschland kann Carsharing ebenfalls eine recht hohe Verfügbarkeit bieten. Der andere Grund ist das Aufbewahren von persönlichen Gegenständen in Fahrzeugen. Das ist etwas, das Carsharing nicht bieten kann. Da kann man aber auch die Frage stellen, inwieweit das denn erforderlich ist. Wenn man jetzt mal Familien mit Kindern und Kindersitzen et cetera außen vor lässt. Das sind ja sonst oft Dinge wie Musik oder Streckenkarten, die heute eigentlich auch alle in digitaler Form vorrätig sind. Weiter dient das Auto doch Vielen als Statussymbol – auch diese Funktion kann Carsharing nicht ohne Weiteres ersetzen.

Gibt es eine Tendenz, sich kein eigenes Auto mehr anzuschaffen?
Diese Tendenz wird viel diskutiert. Die Gruppe der jungen Erwachsenen, die sich weniger für ein Auto interessieren, ist im Vergleich zu den vergangenen zehn, 20 Jahren größer geworden. Da, denke ich, ist etwas dran. Das muss auch nicht mit Umweltschutzgründen korrelieren. Es kann ganz unterschiedliche Gründe haben und heißt auch nicht, dass sie nie Auto fahren werden. Dazu kommt, dass die Anzahl der jungen Erwachsenen, die einen Führerschein machen, stagniert beziehungsweise leicht zurückgeht. Die Interpretation dieser Daten ist allerdings ein bisschen umstritten.

Welche Motive gibt es, Carsharing zu nutzen?
Am Anfang wurde Carsharing aus einer starken Umweltmotivation heraus organisiert. Weniger, um damit Geld zu machen, sondern eher, um etwas Sinnvolles zu tun, um die Umwelt zu entlasten. Dazu gehörten Leute, die bereits in den 90er Jahren genervt waren vom Autobesitz und den Dingen, die damit verbunden sind: in die Werkstatt gehen, die ganzen laufenden Kosten, neue Wischblätter besorgen für die Scheibenwischer, Parkplatz suchen und so weiter. So ist das kontinuierlich gewachsen, weil die Anzahl derer, die das interessant fanden, größer geworden ist. Inzwischen hat sich da auch das Publikum verschoben, das konnte man insbesondere mit der Digitalisierung feststellen. In den 90er Jahren musste man bei einer Nutzung noch Zettel ausfüllen, zum Teil mit kalten Fingern und schlecht schreibenden Kugelschreibern an frostigen Winternächten. Das war hochgradig unbequem und eine hohe Schwelle, die man überwinden musste. Jetzt in den 2000er Jahren hat ein Mainstreaming stattgefunden und man kann mit schicker Karte oder per App Zugang zu den Autos bekommen. Da sprechen wir auch von einer anderen Nutzergruppe.

Gibt es im Carsharing-Bereich einen Trend? Wie sehen die aktuellen Zahlen aus?
Wir haben im Moment etwa 16.000 Carsharing-Fahrzeuge in Deutschland. Im Vergleich zur Über-40-Millionen-Flotte an Privatbesitzern ist das natürlich noch sehr, sehr wenig. Was man sagen kann, ist: Die Nutzung wächst. Im Carsharing muss man zwei verschiedene Formen unterscheiden. Das Eine ist das traditionelle, stationsbasierte Carsharing, bei dem ich Mitglied in einem Verein oder einer anderen Organisationsform werde, der mir die Autos vorhält. Die Vorteile sind, dass ich ganz genau weiß: Ich kann das Auto ein, zwei Tage vorher buchen. Das Fahrzeug ist verfügbar. Es steht an diesem Ort. So kann ich samstags einen Einkauf einplanen und ich habe auch sicher ein Fahrzeug. Vielleicht auch genau das Auto, das ich will. Ich kann mir auch ein Fahrzeug für den Umzug reservieren. Viele fahren auch mit Carsharing-Autos in den Urlaub. Zunehmend gibt es auch Elektrofahrzeuge in den Carsharing-Flotten. Das ist auch eine Möglichkeit, das auszuprobieren. Bei stationsbasiertem Carsharing habe ich also eine große Auswahl an Fahrzeugen und kann für jeden Zweck das richtige Fahrzeug wählen. Das System gibt’s seit den 90er Jahren mit kontinuierlichen Wachstumszahlen von zehn bis 20 Prozent. Ein richtiger Boom hat durch die neu dazugekommene Form des Carsharing eingesetzt, das sogenannte Free-Floating, gepusht durch Automobilhersteller wie Daimler oder BMW. Im Gegensatz zum stationsgebundenen Carsharing bin ich hier nur in Bezug auf Nutzungszeiten und zurückgelegte Strecke flexibler. Eine Autoauswahl nach meinen Bedürfnissen ist dabei kaum verfügbar. In einem abgegrenzten Bezirk gibt es eine gewisse Menge an Fahrzeugen, die dort verteilt stehen. Das bedeutet, ich kann das Fahrzeug einfach ohne Buchung spontan nehmen, wenn eins verfügbar ist. Nachdem ich mich über eine App identifiziert habe, kann ich das Fahrzeug nutzen, muss es aber nicht an den Ausgangsstandort wieder zurück bringen. In der Regel muss es aber innerhalb des Bezirks, in dem das System gültig ist, wieder abgestellt werden. Bei dieser Form des Carsharing konnten wir in den letzten drei bis fünf Jahren einen riesigen Boom erkennen. Dieses System hat zwar eine sehr hohe Sichtbarkeit in deutschen Städten. Tatsächlich finden sich aber nur in maximal 12 von etwa 600 Orten reine Free-Floating-Anbieter. Allerdings gehen in letzter Zeit traditionelle Anbieter dazu über, zusätzlich eine Free-Floating-Variante anzubieten. Welche Carsharing-Variante ich wähle, hängt also stark davon ab, was ich will.

400.000 Menschen sterben in Europa jährlich frühzeitig an den Folgen von Feinstaub. Auf zahlreiche deutsche Städte kommen Fahrverbote für Diesel-PKW zu, unter anderem auch auf Gelsenkirchen oder Essen. Welche Auswirkungen hat Carsharing auf den Verkehr?
Wenn die Carsharing-Fahrzeuge Diesel-Fahrzeuge sind, dann bringt es natürlich relativ wenig in puncto Emissionen, denn dann werden sie vermutlich genauso verboten. Die Anbieter haben jetzt natürlich noch die Möglichkeit, die Flotten umzustellen. Die stationsbasierten Anbieter achten bereits darauf, umweltfreundliche Fahrzeuge zu kaufen und werden entsprechend bei der Neuanschaffung die neuen Diesel-Messergebnisse berücksichtigen. Beim Free-Floating-Carsharing sind bereits ungefähr zehn Prozent der Flotte in Deutschland elektrisch. Die sind vor Ort natürlich völlig emissionsfrei und tragen dementsprechend nicht zur Belastung und Gesundheitsgefährdung in Städten bei.

Wie sieht das Stadtkonzept der Zukunft aus?
Wir haben geografisch sehr starke Differenzen in der Verfügbarkeit von Carsharing. Für Städte wie Berlin, Hamburg und München sollte es eigentlich sehr gut möglich sein, eine  Multimodalität anzubieten, ohne die Mobilität der Bevölkerung einzuschränken. Bessere Vernetzung und Integration von Carsharing, ÖPNV et cetera sind hier wichtige Entwicklungen, da bieten sich über Apps und Plattformen sicherlich große Potenziale. In einem Ort mit 10.000 oder 20.000 Einwohnern – und auch hier spricht man oft von Städten – da habe ich natürlich viel weniger Variabilität. Da wird es viel schwieriger, Alternativen zum Fahrzeug bereit zu stellen. Zunehmend gibt es die sogenannten Ride-Sharing-Angebote, die sich für längere Strecken etabliert haben, wie BlaBlaCar etwa. Im Prinzip funktioniert das so wie eine Mitfahrzentrale. Darüber hinaus finden wir des Öfteren das sogenannte Peer-to-Peer-Carsharing. Dabei stellen Sie mir Ihr Auto zur Verfügung. Das wird über eine Plattform organisiert wie zum Beispiel Gateaway. In der neuen, moderneren Version kriegen Sie eine kleine Box ins Auto und ich kann dann über eine App am Handy das Auto öffnen. Sie können aber auch darüber bestimmen, wer das Auto nutzen darf und auch Leute ausschließen. Dieses Peer-to-Peer-Carsharing könnte auch für ländliche Räume interessant sein, wo eben ein hoher Anteil an Zweitwägen vorhanden ist.

Werden mit dem E-Auto alle Umweltbedenken hinfällig?
Mit dem E-Auto werden die Emissionen vor Ort reduziert. Die Luftqualität in der Stadt verbessert sich drastisch. Es sind natürlich trotzdem noch ein paar Belastungen vorhanden, zum Beispiel durch Reifenabrieb, denn dabei entsteht auch Feinstaub. Trotzdem wäre es eine ganz starke Verbesserung. Der Flächenverbrauch ist ebenfalls ein Thema. Würden wir jetzt alle Fahrzeuge, die wir haben, diese über 40 Millionen, einfach elektrifizieren, dann haben wir von der Umweltseite her schon viel gewonnen, auch im Hinblick auf Lebensqualität und Gesundheit. Aber das ist noch keine Verkehrswende. Natürlich hängt die Umweltqualität des E-Autos auch davon ab, wo der Strom herkommt. Da muss ich aber sagen: „Hier nehme ich die Ziele der Energiewende ganz einfach ernst.“ In den nächsten Jahrzehnten erreichen wir bei den erneuerbare Energien die 80 und irgendwann 100 Prozent. Dann sind Elektrofahrzeuge wirklich eine sehr umweltfreundliche Alternative.

Wie sieht das Autofahren der Zukunft aus?
Wenn ich davon ausgehe, dass die Autos der Zukunft immer noch einen Fahrer brauchen, der vielleicht unterstützt wird durch sehr fortschrittliche Assistenzsysteme, dann gehe ich davon aus, dass sich das Potenzial im Carsharing noch weiter entwickeln wird. Schon alleine, weil im Fahrzeugbereich eine Überkapazität vorhanden ist. Wir haben jetzt erst seit etwa fünf bis zehn Jahren diese extrem fortschreitende Digitalisierung durch die viel zitierten Apps und Smartphones. Das ist einfach ein entscheidender Treiber. Dadurch haben wir erst die Möglichkeit, diese riesigen Kapazitäten ein bisschen effizienter zu nutzen. Was das Carsharing angeht: Ich denke, der Trend wird zu übergreifenden Apps gehen – erste Ansetze gibt es schon. Sodass ich als Powernutzer Zugriff auf die verschiedenen Möglichkeiten habe und mir, je nach Situation, das Ideale herausgreife, idealerweise ist der ÖPNV als Option integriert. Großer Nachteil beim Free-Floating ist bislang allerdings noch, dass man nur in einem bestimmten Bereich fahren kann, der nicht verlassen werden darf.

Kommen unsere Autos demnächst von Google statt von VW? Wie wird das selbst fahrende Auto die Gesellschaft verändern?
Wenn man sich die Medien anschaut, sind die Erwartungen an fahrerlose Fahrzeuge schon extrem hoch. Firmen wie Uber akquirieren Unmengen Risikokapital, unter anderem mit der Vision fahrerloser Taxis. Aber die technischen Hürden sind ebenfalls noch riesig. Ich glaube nicht, dass sich das in den nächsten zehn bis 15 Jahren vollständig durchsetzt. Sagen wir mal in kleinen abgrenzbaren Bereichen wie auf einem Betriebsgelände, vielleicht auch noch auf einer bestimmten festgelegten Buslinie, da könnte ich mir so etwas wie völlig fahrerlose Fahrzeuge auch in naher Zukunft vorstellen.


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