Die Wagner-Kenner im übervollen Saal 3 des Staatenhauses dürften bei der Premiere der Walküre eine leichte Bestürzung ergriffen haben: Der Walkürenritt gleich zu Anfang der auf kindgerechte Belange und Dauer zugeschnittenen großen Oper? Was haben sich der Dirigent Rainer Mühlbach und Brigitta Gillessen, Chefin der Kinderoper, nur dabei gedacht? Nun, keine Sorge, der Ohrwurm ist weiterhin an gewohnter Stelle zu goutieren; er wird hier zusammen mit einem bildgewaltigen echten Pfeilschuss der Amazonen lediglich als kleiner „Gruß aus der Küche“ vorweg gereicht, sozusagen zum Wagner-Vorglühen. Ähnliches war in Bonn 2012 bei der „Asterix-und-Obelix-Norma“ zu erleben, als ein hinzuerfundener – und vom Publikum heftig ausgebuhter – Regisseur die Titelheldin in elegantem Kreise vorab ein wenig „Casta Diva“ singen ließ, um die Verantwortlichen im Rathaus für die Schönheit der Oper gebührend wach zu rütteln.
Nun, in Köln wurde keineswegs gebuht; der zweite Teil der Trilogie über Macht und Weltherrschaft wurde äußerst lange bejubelt – und das völlig zu Recht. Die Intendantin Dr. Birgit Meyer berichtete bei der Premierenfeier vom ungewöhnlich großen Aufwand für diesen „Ring für Kinder“; immerhin habe man mit dem einmaligen Projekt in die Zukunft investiert. Es war sicherlich nicht einfach, knappe 5 Stunden Oper auf eine gute Stunde einzudampfen, zumal auch der kritische Inhalt von Inzest und Ehebruch nicht wegretuschiert werden kann. Im hervorragenden Abendprogramm von der Dramaturgin Tanja Fasching werden diese Dinge klar angesprochen: „Geschwister dürfen sich nicht auf diese Art lieben.“
Mühlbach und Gillessen haben die Kürzungs-Schere sehr geschickt und subtil eingesetzt. Zum einen in Richtung Singspiel, wo der Fortgang der Geschichte immer wieder gut verständlich erzählt wird. Aber die wesentlichen Teile des Musikdramas wie das Herausziehen des berühmten Schwertes aus der Weltesche, das berühmte Liebesduett Siegmund/Sieglinde, der Kampf Hunding/Siegmund und die Verbannung und der Abschied von Brunhilde bleiben weitgehend original. So gut, dass der Rezensent mal wieder ein paar Tränchen nicht unterdrücken konnte. Auch die gut sichtbar projizierten Texte, wenngleich Richard Wagners Sprache alles andere als kindgerecht ist. Es ist zu hoffen, dass vor allem für die zahlreichen Schulaufführungen am Vormittag der Opernstoff genügend vorbereitet wird – das angegebene Alter „ab 8 Jahre“ erscheint schon arg niedrig zu sein. Aber selbst wenn die Geschichte von den Kids nicht unbedingt nacherzählt werden kann, so dürfte über die unter die Haut gehende Gewalt des Zusammenspiels von Gesang und Musik doch ein bleibender Eindruck und eine gewisse Ehrfurcht bei den jungen Zuschauern entstehen. Nicht umsonst suchten in der Premiere manche Kinder immer wieder Zuflucht bei den weiter hinten sitzenden Eltern.
Großen Eindruck machte aber auch die Musik trotz des deutlich abgespeckten Gürzenich-Orchesters, geschickt arrangiert von Stefan Behrisch. Es war erstaunlich, welch intensives Wagner-Feeling trotz raumbedingt dünnem Bassfundament zu goutieren war, mit blühenden Orchesterfarben, wunderbaren Bläsern und einem zusätzlichen Perkussionisten, der einen riesigen Apparat an Schlagbarem bediente. Rainer Mühlbach hielt mit energischem und subtilem Dirigat seine Musiker und die jungen Sänger wie immer wunderbar auf Trab, dass es eine Freude war.
Die Bühne von Christoph Cremer, verantwortlich auch für die fantasievollen Kostüme, ist mit großen weißen Steinquadern an Rheingold angelehnt, die Esche am alten Platz, im oberen Bereich gibt es eine Art Guckkasten, wodurch eine weite kleine, scherenschnittartige Handlungsebene zur Verfügung stand. Als Fels für die schlafende Brünnhilde fährt eine Säule ein Stück hoch, umzüngelt von echt aussehenden Flammen. Die vielen am Boden liegenden gefallenen Helden fallen allerdings nur wenig auf – da kann man vielleicht noch etwas nachjustieren. Trotz langer Arien bietet die Inszenierung genügend optisch reizvolle Abwechslung auch durch lebendige Personenführung, durch Schwertkampf und Bogenschießen.
Und natürlich durch die Sänger, deren musikalisches, stimmtechnisches Niveau in höchstem Maße zu loben ist. Eine Entdeckung ist der junge Koreaner Young Woo Kim, ein Spross des Kölner Internationalen Opernstudios, als Sigmund mit strahlendem sicherem Tenor, gut auf dem Wege zum Heldentenor. Claudia Rohrbach ist perfekt als Siglinde, der junge Yunus Schahinger, im zweiten Jahr im Opernstudio, hat als Hunding seinen kernigen Bass wunderbar voluminös weiterentwickelt. Insik Choi gibt selbstbewusst kernig und volltönend den Göttervater Wotan und erzählt die komplizierte Geschichte, Regina Richter, ehemaliges Ensemblemitglied, erfreut als Fricka (und als eine der Walküren, die von Veronika Lee und Kathrin Zukowski, aktuell im Opernstudio, gesungen werden). Jessica Stavros als Brünnhilde hat eine beeindruckende Stimme, volltönend und markig für diese Rolle.
Der Kölner Kinderoper ist hier ein weiterer hervorragender Baustein für „Wagner´s Ring für Kinder“ gelungen – zum Heranführen unserer Jugend an anspruchsvolle Oper, an Erwachsene zur Wiederholung der komplizierten Handlung, an alte Menschen zur Abwechslung in ihrem Leben und natürlich für jedermann, um mal wieder ein wenig beglückenden Nektar vom „Ring des Nibelungen“ zu tanken.
„Die Walküre für Kinder“ | R: Brigitta Gillessen | 27.10., 3., 9.11. je 18 Uhr, 31.10, 2., 4., 14., 15., 16., 22., 23.11. je 11.30 Uhr, 24.11. 15 u. 18.30 Uhr | Oper Köln, Staatenhaus | 0221 221 284 00
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