Mittwoch, 22. November: In den vergangenen 20 Jahren seit seinem Erstling „Kurz und schmerzlos“ hat sich Fatih Akin („Gegen die Wand“) zu einem der bekanntesten Regisseure Deutschlands entwickelt – nicht zuletzt, weil er mit seinen inzwischen zwölf Filmen deutlich aus der hiesigen Filmlandschaft heraussticht. So gehörte er zum einen zu den ersten Filmemachern, die eine migrantische Perspektive in den deutschen Film brachten, zeigte auf der andere Seite aber auch nie Berührungsängste, diese mit astreinen Genre-Stoffen zu verbinden. Auch „Aus dem Nichts“ fällt in diese Kategorie: Darin spielt Diane Kruger eine mit einem Deutschtürken verheiratete Deutsche, deren Mann und der gemeinsame Sohn einem Nagelbombenattentat zum Opfer fallen. Der zwischen Gerichtsdrama und Rachthriller oszillierende Film weist völlig beabsichtigt Parallelen zu den Morden des NSU und dem zurzeit noch laufenden Prozess gegen Beate Tzschäpe und die übrigen Beschuldigten auf, bleibt jedoch entschieden im fiktionalen Bereich. Die Premiere in Nordrhein-Westfalen fand nun im Kölner Cineplex-Filmpalast statt, an der auch Akin und der männliche Hauptdarsteller Denis Moschitto teilnahmen.
Moschitto, der im Film die Rolle des Anwalts und bestem Freund von Krugers Figur übernimmt, hat ebenfalls einen migrantischen Hintergrund und fühlte sich ebenso wie der Regisseur von der Thematik des Films persönlich angesprochen. Er erinnerte sich etwa an den Sprengstoffanschlag auf ein persisches Lebensmittelgeschäft 2001 in der Kölner Probsteigasse, der als einer der ersten des NSU gilt. „Ich habe damals nur ein paar Straßenecken entfernt gewohnt, die Explosion habe ich direkt mitbekommen“, sagt er. Obwohl die deutsche Justiz im Film nicht im besten Licht erscheint, glaubt er nicht, dass dieser eine Kritik am Rechtssystem darstellen soll. „Der Film stellt nur eine Sache klar, nämlich, dass es in der Justiz nicht um Gerechtigkeit per se geht, sondern mehr um eine Art Verwaltung von Gerechtigkeit.“ Er selbst habe jedoch vollstes Vertrauen in die deutsche Justiz und auch, „dass im NSU-Prozess das richtige Urteil gesprochen werden wird.“
Für ihn war es das erste Mal, dass er mit Diane Kruger zusammenarbeiten konnte. Die Besetzung der Hauptrolle mit der schon seit Jahren in Hollywood etablierten Schauspielerin, die hier zum ersten Mal in einem deutschsprachigen Film zu sehen ist, hatte „Aus dem Nichts“ schon im Vorfeld viel Presse beschert. Star-Allüren seien ihr jedoch fremd gewesen, so Moschitto, die Zusammenarbeit sei so angenehm und normal gewesen, wie mit jeder anderen Kollegin auch. „Diane hat sehr für die Rolle gekämpft, denn ihr war klar, wie wichtige diese sein würde.“
Den Gedanken, einen Film über einen Anschlag mit rechtsextremistischem Hintergrund zu machen, trägt Fatih Akin schon seit 1993 mit sich herum, dem Jahr der Anschläge in Solingen und Mölln. „Ich habe schon vor fast 20 Jahren, als ich gerade an meinem ersten Spielfilm ‚Kurz und Schmerzlos‘ arbeitete, parallel an einem Drehbuch über das Thema geschrieben.” Aus der damaligen Idee wurde nichts, „aber das Thema hat mich nie los gelassen.“
Ganz bewusst habe er bei seinem Film die Perspektive der Opfer eingenommen, so Akin. „Wann immer etwas passiert, stehen die Täter im Zentrum der Aufmerksamkeit – sowohl in den Nachrichten, als auch im Spielfilm. Das wollte ich aufbrechen.“ Nicht nur, um die Opfer zu würdigen, sondern auch um zu zeigen, dass Opfer sehr aktive und interessante Filmfiguren sein können.
Während des Schreibens habe er den NSU-Prozess sehr genau verfolgt, nicht mehr jedoch, als es an die eigentliche Produktion ging. „Sobald wir mit dem Drehen anfingen, blieb das Ganze völlig außen vor. Es ist kein Film über den NSU oder den Prozess, wir erzählen eine fiktive Geschichte“, stellt er noch einmal klar. „An der Realität haben wir uns eher wie an einem Gemischtwarenladen bedient.“
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