Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
23 24 25 26 27 28 29
30 31 1 2 3 4 5

12.582 Beiträge zu
3.812 Filmen im Forum

Maurice Höfgen
Foto: Maurice Höfgen

„Um den Armen zu geben, braucht man nicht das Geld der Reichen“

28. Dezember 2022

Ökonom Maurice Höfgen über Staatsfinanzierung und Wohlstand – Teil 1: Interview

choices: Maurice, als Student hast Du einmal einen offenen Brief an den Dekan geschrieben. Worum ging es?

Maurice Höfgen: Ich war als Student unzufrieden damit, wie die Uni den Studierenden vermittelt, wie Geld entsteht und Banken funktionieren. Da habe ich Lehrbücher, die an der Uni eingesetzt werden, zitiert und dagegen Zitate von den großen Zentralbanken gestellt. Die passten nicht zusammen: Die Zentralbanken in der Praxis sagen etwas anderes als die Unis vermitteln.

Wie lautet deine Kritik am Studium der Volkswirtschaft?

Die Kritik am Studium ist, dass es auf eine bestimmte Denkrichtung festgefahren ist – Neoklassik ist der Überbegriff dafür. Die Grundannahmen neoklassischer Modelle, zum Beispiel, dass Geld knapp ist, oder dass Banken nur Geld verleihen, sind falsch. Wenn die Modelle, nach denen sich auch Politik richtet, falsch sind, ist das ein Problem.

Wenn ich einen Kredit aufnehme, erhalte ich kein Geld, das jemand anders eingezahlt hat?

Nein, das ist neues Geld – auf Knopfdruck erzeugt. Man kann sich das so vorstellen: Wenn man Monopoly spielt, dann bekommt am Anfang des Spiels jeder Spieler ein Startgeld. Wo kommt das her? Aus der Monopoly-Bank. Hat die da vorher jemand eingezahlt? Nein. So entsteht Geld: wenn Banken einen Kredit vergeben oder wenn Staaten Geld ausgeben. Über Steuern wird Geld wieder aus der Wirtschaft gezogen – es kann also geschöpft und vernichtet werden.

Es heißt oft, die Europäische Zentralbank (EZB) betreibe monetäre Staatsfinanzierung. Was bedeutet das?

Ursprünglich ist gemeint, dass die Europäische Zentralbank einem Staat wie Deutschland seine Staatsanleihen direkt abkauft. Das darf sie aber nicht. Nach unseren Regeln darf sie Anleihen erst kaufen, nachdem Christian Lindner sie an private Banken verkauft hat. Die EZB hat das viel gemacht, sie hat in Billionenhöhe europäische Staatsanleihen aufgekauft. Daher gibt es Ökonomen, die das mit monetärer Staatsfinanzierung gleichsetzen. Sie haben recht: Die EZB stellt sicher, dass die europäischen Finanzminister an Geld kommen. Das geht auch nicht anders, weil das Geld, das ein Staat ausgibt, nur von seiner Zentralbank kommen kann.

Führt eine höhere Geldmenge denn nicht zu Inflation?

Das ist heute nur eine kleine Gruppe von Ökonomen, die das noch immer für richtig hält. Mehr Geld heißt nicht automatisch mehr Inflation. Es kann das bedeuten, aber es muss es nicht. Wenn die Wirtschaft boomt, dann können die Preise steigen. Dann ist aber nicht die Geldmenge das Problem, sondern zu viel Nachfrage. Momentan laufen wir beispielsweise auf eine Krise zu, haben aber trotzdem eine hohe Inflationsrate. Wieso? Wir haben einen klassischen Angebotsschock: Energie ist teuer geworden und damit alles, wo Energie drin ist – zum Beispiel Lebensmittel. Deswegen sind energieintensive Produkte teuer, andere weniger. Lässt sich das mit der Geldmenge erklären? Nein.

Die EZB hat den Leitzins erhöht, um die Inflation zu bekämpfen. Eine gute Idee?

Nein. Es ist ein Fehler, die Zentralbank gegen den Angebotsschock in den Ring zu schicken. Dagegen hat sie keine Mittel. In Frankfurt, wo ihr pompöser Büro-Tower steht, gibt es meines Wissens keine Quellen, wo sie Gas oder Öl besorgen könnte. Nur das hilft aber gegen die Knappheit, die Energie teuer macht – vor allem durch den Krieg. Die EZB kann nur die Zinsen anheben. Das sorgt dafür, dass Kredite teuer werden, Firmen nicht investieren, dieWirtschaft schlechter läuft und die Nachfrage sinkt. Und die Preise? Nun, sie hofft, dass mit der Nachfrage auch die Preise sinken. Das hat schmerzhafte Nebenwirkungen und ist nicht erfolgsversprechend. Eigentlich bräuchten wir das Gegenteil: Investitionen, die uns von fossiler Energie wegbringen. Indem man Geld teuer macht, reizt man keine Investitionen an.

Nächstes Jahr geht es zurück zur Schuldenbremse. Wieso?

Wir haben einen Finanzminister, der glaubt, dass ein Staat sparsam sein sollte. Selbst Christian Lindner muss momentan die Schuldenbremse mit mehreren hundert Milliarden über Sondervermögen und Nebenhaushalten umgehen. Macht er das nicht, würde die Wirtschaft abschmieren. Es ist schräg, dass man sich so an die Schuldenbremse klammert, sie aber trotzdem hintergeht. Er ist der Überzeugung, Geld sei knapp, und der Staat habe nur das Geld seiner Steuerzahler. Schulden seien böse, und die Enkel müssten irgendwann dafür bezahlen – was falsch ist.

Staatsschulden sind also kein Problem?

Staatsschulden sind per se kein Problem. Sie werden zum Problem, wenn der Staat zu viel Geld ausgibt und die Wirtschaft überhitzt. Dann würde theoretisch Inflation erzeugen. Davon sind wir aber in der Eurozone meilenweit entfernt. Wir haben jahrelang viel zu wenig in unsere Infrastruktur investiert, zu wenig Lehrer und Pfleger eingestellt, zu schlechte Arbeitsbedingungen gehabt. In Deutschland sind nicht Schulden das Problem, sondern wie wir mit unserer Wirtschaft und Infrastruktur umgegangen sind. Eine Ausnahme gibt es: wenn die Zinsen steigen, muss der Staat unter Umständen woanders kürzen, um die Schuldenbremse einzuhalten. Aber das liegt an der politischen Regel, die wir uns gegeben haben, und nicht daran, dass wir es uns nicht „leisten“ können.

Du hast mal gesagt, du seist im Team „lift the poor“ statt „tax the rich“. Kannst du das erläutern?

Linke Politiker wollen häufig erst den Reichen etwas nehmen, um den Armen etwas zu geben. Ich finde die Reihenfolge falsch. Man sollte erst den Armen geben, und dafür braucht man nicht das Geld der Reichen, denn der Staat hat sein eigenes Geld. Geld wächst nicht auf reichen Menschen. Zunächst soll jeder über die Runden kommen in diesem reichen Land. Danach geht es darum, Auswüchse großen Reichtums nach oben einzuschränken, denn ökonomische Macht heißt am Ende auch politische Macht. Damit retten wir die Demokratie. Aber das Geld der Reichen braucht ein Staat nicht.


ARMUT LEICHT GEMACHT - Aktiv im Thema

plurale-oekonomik.de | Zusammenschluss von Studenten und jungen Ökonomen, die sich für ein vielfältigere Wirtschaftstheorie einsetzen.
wandelwerk.koeln | Das „Zentrum für den sozial-ökologischen Wandel in Köln“ fördert auch ein neues Verständnis von Unternehmerum und Wertschöpfung.
fairstaerken.de | Der Kölner Verein setzt sich für die Bildung und soziale Teilhabe von Kindern und Jugendlichen ein.

Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de

Interview: Leo Thomann

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Mufasa: Der König der Löwen

Lesen Sie dazu auch:

Gerechtes neues Jahr
Intro – Armut leicht gemacht

Angst und Unwissen
Ökonomische Bildung darf nicht mehr Mangelware sein – Teil 1: Leitartikel

„Eindeutig ein Defizit bei der Demokratiebildung“
GEW-Vorsitzende Maike Finnern über gerechte Schulbildung – Teil 1: Interview

Wirtschaft für alle
Die Gruppe Gemeinwohl-Ökonomie Köln-Bonn – Teil 1: Lokale Initiativen

Nachrichten als Krise
Medienfrust und der Vertrauensverlust des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – Teil 2: Leitartikel

„Berichterstattung beeinflusst politische Entscheidungen“
Journalismusprofessor Kim Otto über den Wandel im Wirtschaftsjournalismus – Teil 2: Interview

Gegen die soziale Kälte
Duisburger Initiative „Unsere Armut kotzt uns an“ – Teil 2: Lokale Initiativen

Perspektiven gegen Armut
Das Herner Sozialforum – Teil 2: Lokale Initiativen

Klassenkampf von oben
Reiche und ihre politischen Vertreter gönnen den Armen nicht das Schwarze unter den Fingernägeln – Teil 3: Leitartikel

„Die Crux liegt in der Lohnstruktur“
Ökonomin Friederike Spiecker über Ursachen und Bekämpfung von Armut – Teil 3: Interview

Für eine Kindheit ohne Armut
Die Diakonie Wuppertal – Teil 3: Lokale Initiativen

Bis zur nächsten Abstimmung
Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen – Europa-Vorbild Schweiz

Interview

HINWEIS