Es ist schön, das Gefühl zu haben, dass ausnahmsweise mal die Richtigen Erfolg haben: diejenigen, die morgens beim Rasieren ohne Selbstekel in den Spiegel schauen, obwohl sie sich wegen ihrer Hipster-Bartpracht gar nicht mehr rasieren. Zu dieser Sorte gehören die Organisatoren des „Denovali Swingfests“, das auch dieses Jahr wieder das Wochenende um den letzlich unschönen Nationalfeiertag zu etwas Schönem machen wird. Denn trotz der Ableger in London und Berlin hat man die alte Homebase Essen nicht aufgegeben und bespielt die Weststadthalle wieder mit einem ebenso stilsicheren wie ziemlich einmaligen Line-up. Alte Bekannte treten auf: der Pingpong-Ball-Klaviermanipulator Hauschka etwa oder auch Bohren und der Club of Gore, die für die Wuchtigkeit ihres Doomrocks keine Verstärkertürme benötigen. Selbstverständlich sind auch die Künstler des Denovali-Labels selbst wieder dabei.
Aber das Interessanteste sind doch die Überschneidungen an Szenen, die einander früher „spinnefeind“ waren, aber heute problemlos miteinander können. Ähnlich wie das „Incubate“-Festival, das Mitte September im niederländischen Tilburg stattfindet, oder das „Unsound“ Mitte Oktober in Krakau konzentriert sich das Swingfest mittlerweile auf eine Schnittmenge aus Post-Metal und dem, was man früher einmal „experimentelle elektronische Musik“ genannt hat. Experimentiert wird hier in der Regel zwar mit ähnlichen Versuchsaufbauten, aber an dieser Stelle kommt es auf das Resultat an: den Sound. Und da ist es mittlerweile kein Problem mehr, wenn der Berliner Tüftler Markus Popp (Oval) seine in metikulöser Kleinstarbeit zusammengecutteten Samplecollagen aufführt, während später am Abend The Haxan Cloak doomgeschwängerte Synth-Kaskaden aufführt. Auch der eigentlich kitschige Neoklassik-Sound von Greg Haines findet ebenso seinen Platz wie Demdike Stare, die mit Samples aus Italo-Western und anderen Seltenheiten aus den bestsortiertesten Plattenkisten der Welt eine reduzierte, fast schon apokalyptische Form des Dub produzieren.
Am überraschendsten ist jedoch der Auftritt von James Holden. Der britische Producer ist in einigen Spielarten von Dancemusik zu Hause. Sein Label Border Community war Mitte der Nullerjahre die erste Anlaufstelle für Lo-Fi Kinderzimmer-Techno, bei dem Rauschen der PC-Soundkarten ein konstitutives Merkmal sei. Auf seiner DJ-Kicks-Compilation von 2010 changierte er zwischen Prankster-Elektro-Akustik und den eigenen Remixen von Post-Rock-Bands. Umso schöner ist es, wenn er auf dem Swingfest anstatt hinter den CD-DJs hinter seinem Live-Setup steht. Sein letztes Album „The Inheritors“ war eine verspielte Hommage an Electronica und Shoegaze, ohne in einem der beiden Genres wirklich aufzugehen. Am nächsten Tag wird auf die subkutanen Gitarrendrones von Ben Frost dann das Folk-Kollektiv A Silver Mt. Zion folgen. Die Band aus Montréal spürt der Brüchigkeit von Folkmusik nach, die selbst dann noch zum Vorschein kommt, wenn sie mit einem Dutzend Musikern auf der Bühne sind. Einen schöneren Abschluss kann man sich nur schwer vorstellen.
Achso, selbstverständlich findet das Festival erst im Oktober statt – aber wer nicht rechtzeitig bucht, den bestraft der Schwarzmarkt.
Denovali Swingfest | 3.10.-5.10. | Weststadthalle Essen | denovali.com/swingfest
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