Ich sitze am Strand und genieße der Sonne bräunende Strahlen und lausche dem Rauschen der Wellen. Zwar ist „Rauschen der Wellen“ eine ziemlich abgedroschene Formulierung, hinreichend verwendet in Liebes- und anderen Groschenromanen, aber unter einem tiefblauen, mit weißen Wolkenäderchen durchzogenen Himmel und bei erfrischendem Windwehen bleibt mir nichts anderes übrig, als eben dem Rauschen der Wellen zuzuhören. Zwar sind sie heute etwas stärker als von den letzten Tagen gewohnt, aber noch weit entfernt von irgendwelchem Brausen, Tosen oder gar Wüten.
Ich liege hier – mittlerweile habe ich mich hingelegt, um die Sonne auch in Körperregionen vordringen zu lassen, an denen sie sonst nur selten scheint – an einem unbewachten „wilden“ Strand, fernab der lärmenden menschlichen Massen inklusive schreiendem, mit Sand schmeißendem Nachwuchs, obszönen Jugendlichen und würdelosen Tangaträgerinnen, weit weg von grellen Strandbars, störenden Beachvolleyballfeldern und sonstigen dekadenten Freizeitangeboten. Es ist herrlich ruhig.
Unerträgliches Idyll
Natürlich hat diese Lage auch einen Nachteil: Man ist fernab der lebendigen Urlaubskultur inklusive süßer Kinder, sympathischer Jugendlicher und atemberaubender Strandschönheiten, weit weg von Erfrischung bietenden Strandbars, Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung und spaßigen Freizeitangeboten. Es ist unerträglich ruhig.
Und es gibt hier auch keinen Bademeister. Es gilt also: Wer hier ersäuft, ist selbst schuld.
Die einzige Strandnixe in meiner Sichtweite packt gerade ihre Sachen. Langsam frage ich mich, wieso ich diesen Strand dem anderen vorgezogen habe, da tritt das Meeresrauschen wieder in mein Bewusstsein und vereinnahmt mich vollständig.
Die Wellen klingen angenehm und beruhigen auch visuell. Ich beschließe, mir den ultimativen Entspannungskick zu holen und will das Meer mit allen Sinnen genießen. Ich setze mich ans Ufer und lasse wohltuend meine Füße und mein Gesäß vom hin- und herfließenden Wasser umspielen.
Alle Sinne
Ich spüre das Meer.
Es ist warm genug, um nicht zu kalt zu sein, und kühl genug, um zu erfrischen. Ich spüre, wie mich das Wasser langsam, aber stetig in den Sand gräbt.
Ich höre das Meer.
Wenn ich die Augen schließe, nehmen die an- und abschwellenden Geräusche zu. Ich höre, wie die Wasser sich auftürmen … nein, das höre ich, ehrlich gesagt, nicht. Ich höre, wie die unhörbar aufgetürmten Wellen sich überschlagen und an den Strand rollen. Ich höre Sand und kleine Steinchen auf- und abwirbeln … nein, auch das höre ich nicht … aber ich werde es mir gleich ansehen.
Ich rieche das Meer.
Die Nase ist frei. Die Luft sauber und klar. Ich atme tief aus, um umso tiefer durch die Nase einatmen zu können. Luft und Duft strömen in meine Nase. Ich erkenne den Duft. Ich rieche: Sonnenmilch. Wie profan. Von nun an atme ich flacher und bilde mir ein, wie ich den Duft des Meeres atme. Salz, Fisch und Algen, aber alles mit einer alles überdeckenden Spur von Curry, weil ich Curry so gern mag, Fisch und Algen hingegen nicht so.
Ich sehe das Meer.
Ich öffne die Augen und sehe, da sich mein Kopf in einer von Orthopäden empfohlenen, gesunden, geraden Haltung befindet, den Horizont. Das Ende der Welt. Ein Panorama, in dessen Mitte die Trennlinie zwischen Hell- und Dunkelblau verläuft, mit klitzekleinen Fransen, wie die Ränder dieser alten Photographien, nur etwas feiner. Von dort streben unerschöpflich, unermüdlich Tausende und Abertausende von Wellen auf der gesamten zu überblickenden Weite des Strandes und darüber hinaus auf den Strand zu. Wie Lemminge, nur in die andere Richtung.
Sand zufrieden
Auf der dunkelblauen Fläche unter dem Horizont blitzen weiße Flecken in der Ferne auf. Lichtreflexe, oder Möwen womöglich. Oder viel lieber sind mir Schaumkronen, die zwar ganz plötzlich erscheinen, aber nicht beunruhigend wirken, sondern vielmehr eine Bereicherung sind für die ruhige Dynamik und natürliche Schönheit dieses Ortes.
Stattdessen ist das, was da aus dem Wasser aufsteigt, eine Möwe. Mein Blick folgt ihrem Flug, der erstaunlich langsam erscheint. Ich meine, schneller laufen zu können. Wieso fliegt die denn überhaupt, wenn nicht, um schneller voranzukommen als zu Fuß? Das ist genauso sinnlos wie Fahrrad fahren im Schritttempo. Doch … wozu eilen? Die Möwe hat Recht. Komm, gefiederte Freundin, setz dich zu mir und lass uns gemeinsam sinnenbaden im Meer!
Doch das blöde Vieh fliegt davon, über mich hinweg, an einen wohl kaum besseren Ort. So schaue ich nun des Sandes und der Steinchen sanftes Spiel zu Seiten meiner selbst. Sie sind Marionetten in den Händen der Wasser. Kraft- und willenlos tanzen sie umher, bewahren dabei eigene Eleganz und scheinen alles andere als unglücklich, bis sie sich erschöpft, aber zufrieden auf meinen Füßen niederlassen.
Die Wellen treiben ihr Spiel mit allem, was auf, in und unter ihnen ist. Fische, Algen, Badegäste. Die sanfte Kraft Poseidons schleudert verspielt Wasserbälle hinfort, schubst schelmisch Omas von ihren Luftmatratzen und wer keine Schwimmflügel hat übernimmt schnell die Rolle eines Sandkorns in einem Spiel, dessen Regeln das Meer allein bestimmt.
Meer sein
Ich bemerke: Irgendetwas stimmt hier nicht. Die Ruhe ist passé, genauso wie die meisten Menschen. Die Wellen schlagen mir bis an den Hals. Ich glaube, es ist besser, ich verzieh mich, ich verzieh mich wohl besser. Doch Sand begräbt meine Beine komplett unter sich und unterbindet zusammen mit dem Wasser meine Versuche, aufzustehen. Da sehe ich eine Welle auf mich zurasen, aus der sich eine ganze LKW-Ladung Venusse erheben könnte! Nun ist Flucht angesagt! Nun ist Fortbewegung aber ein wesentlicher Bestandteil der Flucht, der aber, wie ich vorhin bemerkte und nun abermals feststellen muss, schier unmöglich ist ob der Sand- und Wassermassen auf meinem Leibe.
Ich schmecke das Meer.
Gurgel. Blubb.
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