Mittwoch, 8. Mai: Kennengelernt haben sich der Regisseur Tom Fröhlich und der Kameramann Christoph Bockisch durch das gemeinsame Studium an der Hochschule Darmstadt, die mittlerweile auch den Fachbereich Media anbietet. Bei der Preview ihres gemeinsamen Kinolangfilms „Ink of Yam“ in der Kölner Filmpalette erzählte Bockisch, dass Fröhlich bei der Sichtung von Filmmaterial auf zwei Tätowierer gestoßen sei, die den Osterpilgern in Jerusalem, darunter auch älteren Frauen, Oster-Tattoos gestochen hätten. Fasziniert von diesen beiden ungewöhnlichen Menschen, die gar nicht in die Umgebung zu passen schienen, wollte er unbedingt eine Dokumentation über Poko Chaim und Daniel Bulitchev realisieren. Auch Christoph Bockisch war direkt Feuer und Flamme, und nachdem die Hessische Filmförderung die Unterstützung der Abschlussarbeit zugesichert hatte, nahmen die beiden Filmemacher Kontakt mit den aus Russland stammenden Tätowierern auf, die gemeinsam in Jerusalem den ältesten Tattoo-Shop außerhalb der alten Stadtmauern betreiben. Ein ungewöhnlicher Platz für ein solches Studio, da Tätowierungen eigentlich sowohl von der christlichen, als auch von der jüdischen und der muslimischen Religion abgelehnt werden. Dennoch oder gerade deswegen ist das Bizzart Studio zu einem Schmelztiegel der unterschiedlichsten Menschen geworden.
Zunächst planten die Filmemacher eine Dokumentation über die beiden Tätowierer, erkannten dann aber bei ihrem einmonatigen Aufenthalt in Israel, dass es hier noch viel spannendere Geschichten zu erzählen gab. „Wir haben knapp vierzig Tattoo-Sessions gefilmt, von denen ungefähr ein Viertel im Film zu sehen sind. Am Ende haben wir uns dabei auf Leute beschränkt, die in Jerusalem leben und uns mit ihren Geschichten ihre Lebensrealität näherbrachten“, so Kameramann Christoph Bockisch. Auffällig ist, dass alle im Film zu sehenden Kunden männlich sind. Das war keineswegs so beabsichtigt, aber während des einmonatigen Aufenthalts erkannten Fröhlich und Bockisch, dass das Studio eine überwiegend männliche Kundschaft hat. Außerdem mussten die Protagonisten den Mut aufbringen, sich bei so etwas Intimem wie dem Stechen eines Tattoos filmen zu lassen. Eine US-Soldatin sei schließlich dem Endschnitt zum Opfer gefallen, weil sie nicht dauerhaft in Jerusalem lebte, was dem Konzept von „Ink of Yam“ zuletzt widersprach. Leider ist im fertigen Film auch kein Muslim unter den Kunden, weil im eng abgesteckten Zeitrahmen einfach keiner seinen Weg ins Studio fand. „Wir hätten uns das schon sehr gewünscht, waren am Ende aber froh, dass wir zumindest arabische Christen im Film zeigen konnten“, führte Bockisch in Köln weiter aus.
Der Dreh vor Ort sei generell nicht einfach gewesen, weil das Studio viel zu eng für ein großes Filmteam gewesen sei. Selbst Regisseur Tom Fröhlich fand darin keinen Platz mehr und musste seine Fragen teilweise durch die Tür von außen hineinrufen. Bockisch, der sein liebstes und bestes Kameraequipment mit nach Israel genommen hatte, musste auf seine Fotokamera umschwenken, damit er vor Ort flexibler war und intimere Aufnahmen einfangen konnte. Der fertige Film sei bei allen Beteiligten am Ende sehr gut angekommen und mittlerweile auch auf einem Filmfestival in Jerusalem in einer Reihe zur Religionsverständigung gezeigt worden, worauf auch Christoph Bockisch sehr stolz ist. „Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass es dieses Studio dort gibt“, erklärte der Kameramann. Obwohl immer wieder Ultraorthodoxe dort aufkreuzten und die Tätowierer beispielsweise am Sabbat heftig beschimpften, hätten Poko und Daniel die Ruhe weg und würden sehr entspannt mit dieser Tatsache umgehen. Sie und ihr Studio seien offen für alle und würden den gegenseitigen Respekt aktiv in ihrem Leben umsetzen. Regisseur Tom Fröhlich habe sich von den beiden Tätowierern mittlerweile jeweils eine Linie stechen lassen, die sich gegenseitig aber nicht berühren. Christoph Bockisch ist derzeit noch ohne ein Tattoo, überlegt aber noch, was er sich bei einem der künftigen Besuche im Bizzart Studio noch stechen lassen kann – denn aus dem Aufenthalt während der Dreharbeiten hat sich eine intensive Freundschaft entwickelt, die mit regelmäßigen Besuchen aufrechterhalten wird. „Ink of Yam“ ist ab heute regulär im Kino zu sehen.
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