Das Ensemble des NN Theaters Köln meistert im vollbesetzten Friedenspark den dreifachen Peer mit Bravour. Über mehr als 90 Minuten zieht der Protagonist aus Henrik Ibsens Dichterfeder die Wahrheit in wundersame Weiten. Im Ambiente der Freilichtbühne feiert das Publikum völlig zu Recht zu den Lügengeschichten Peer Gynts, bis das Licht ausgeht. In der multiplen Rolle jenes Schwärmers mit unglücklicher Kindheit und Sehnsucht nach Anerkennung glänzen Christine Peer, Irine Schwarz und Christina Wiesemann mit Spielfreude, Gestenreichtum und Charisma, während Musikdirektor Bernd Kaftan für den Live-Soundtrack inklusive der Leitung des rund 30-köpigen Chores verantwortlich zeichnet. Mal Tragödie, mal Komödie, dann beinahe Operette mit Anleihen zur Revue – Regisseur Rüdiger Pape und sein Team bringen ein breites Spektrum an Stilen auf die Bühne. Dort streckt sich die Welt als endloses Klettergerüst in den Raum. Die variable Konstruktion dient sowohl als Haus, Höhle, gar Palast wie auch als Berg und Schiff, wird steil bestiegen, mit wehenden Tüchern lockend verhangen und als Stätte des eingekerkerten Ichs enttarnt. Natürlich ist alles möglich. Und selbstverständlich ist das eine weitere Illusion im Ein-, Drei- oder Fünftakter namens „Sein“.
Basierend auf einem mehr als 150 Jahre alten Poem des norwegischen Autors Ibsen offenbart die Premiere die Zeitlosigkeit des Stoffes, in dem sich ein verarmter Bauernsohn das Leben zurecht träumt. Ob ihm sein Talent zur Lüge bekannt ist, bleibt umstritten. Unvermeidlich zieht der junge Mann sein Umfeld in die eigene Leidensgeschichte, entführt und verführt eine Braut, verstößt sie, lässt sich schließlich von der Idee des Reichtums blenden und zieht in eine (fantasierte) Welt, greift nach der Königskrone von Trollen, mutiert zum Sklavenhändler, landet dennoch – oder gerade deswegen – an allen Bewusstseinsformen zweifelnd in einer Nervenheilanstalt und kehrt nach vielen Irrungen zurück in seine Heimat. Stets im Geiste begleitet von seiner moralisierenden Mutter Aase sowie der heimlichen Liebe zu Solvejg, die ihm mehr Schatten als fassbarer Körper bleibt. Zuletzt muss Peer gar um seine Seele, dem vermeintlich einzig Echten und Aufrechten in seiner Vorstellungskraft, bangen. Den Abgesandten des Todes leistet er verzweifelt Abbitte. Ob es Peer ernst damit ist, sei dahingestellt. Ebenso bleibt rätselhaft, ob die moderne Variante des Dramenklassikers bewusst Vergleiche zum nicht minder populären „Uhrwerk Orange“ von Anthony Burgess aus dem Jahr 1962 provozieren soll. Peers Habitus als melonentragende, dystopische Dreifaltigkeit erinnert mitunter an Alex und seine Bande desillusionierter Jugendlicher – den Droogs. Wie Gynt flüchten sie aus der Realität in den Egozentrismus, um zu überleben. Mit weiteren Verweisen etwa zum Blockbuster „Titanic“, dessen überheblicher Einzeiler „Ich bin der König der Welt“ zuvor bereits von Box-Legende Muhamed Ali angestrengt wurde, wird das Bild eines selbstverliebten und daher tragischen Protagonisten unterstrichen. Ein herrlich menschliches Spektakel.
Peer Gynt | Fr 6.9. 19.30 Uhr | Waldbad Dünnwald | 0176 20 72 78 57 (NN Theater Köln)
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