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Patrick Vollrath
Foto: Presse

„Nicht alles erklären“

19. Dezember 2019

Patrick Vollrath über „7500“ – Gespräch zum Film 01/20

In seinem drastischen Debütfilm „7500“ mit Joseph Gordon-Levitt zeigt Patrick Vollrath (34) aus der Perspektive eines Piloten, wie Islamisten versuchen, ein Flugzeug zu entführen. Vollraths Kurzfilm „Alles wird gut“ war 2016 für den Oscar nominiert.

choices: Patrick, du hast an der Filmakademie Wien studiert, welchen Bezug hat dein Film jetzt noch dazu? Sind Kommilitonen dabei gewesen?

Patrick Vollrath: Mein Kameramann Sebastian Thaler, wir waren gemeinsam an der Filmakademie aufgenommen worden und haben dort fast alle Filme gemeinsam gemacht.

War er dann deine größte Stütze bei dem Projekt?

Ja, und Senad Halilbasic, der am Drehbuch mitgearbeitet hat und der auch am Set quasi meine rechte Hand war.

Hast du das erste Mal mit ihm gearbeitet?

Bei „Alles wird gut“, meinem Kurzfilm vorher, hat er die dramaturgische Beratung gemacht und bei „7500“ jetzt auch und das nächste Projekt, an dem wir jetzt gerade arbeiten, schreiben wir gemeinsam. Er war am Set permanent dabei wie ein Co-Trainer beim Fußball, mit dem ich alles besprochen habe.


Joseph Gordon-Levitt in „7500“

Joseph Gordon-Levitt in der Hauptrolle ist für einen deutschen Film ein echter Casting-Coup.

Das ist auf jeden Fall was Besonderes und Spezielles.

Wie hast du ihn bekommen?

Mein Kurzfilm war für den Oscar nominiert und ich habe dann dieses Drehbuch geschrieben mit einer Rolle, wo er ziemlich gut passen würde. Eine Oscar-Nominierung öffnet einem so ein bisschen die Türen, dass Leute einem ein bisschen zuhören und ernster nehmen. Ich habe seitdem in den USA auch ein gut vernetztes Management, das Connections herstellen kann, und dann ging das praktisch so: Hallo, da gibt’s einen Film, der ist schon finanziert, die suchen noch einen Hauptdarsteller, hier ist das Drehbuch, hier ein Kurzfilm, den der Regisseur vorher gemacht hat. Und in dem Moment hat er’s gelesen und fand das alles sehr gut und hat melden lassen, dass er mich gerne mal treffen und alles im Detail durchsprechen würde. Dann bin ich nach Los Angeles geflogen und wir haben drei Stunden gesprochen. Ich habe ihm meine Vision erklärt und wir haben über das Drehbuch geredet, über die Idee, die Themen, seine Rolle und über die emotionale Reise, die er durchmacht und wie ich das drehen möchte. Das hat ihm alles dann auch zugesagt. Das war für ihn auch irgendwie was anderes, weil wir ja mit viel Improvisation drehen und die Schauspieler sehr viel Freiheit haben, und er meinte, so in der Form habe er das zum ersten Mal gemacht.

Und wahrscheinlich auch das erste Mal in Deutschland.

Also zum Beispiel „Snowden“ haben sie teilweise in München gedreht. Aber ich war jedenfalls der erste Regisseur, der jünger war als er!

Wie war denn deine Vision, oder wie hast du sie ihm beschrieben, wenn man fragen darf?

Ich habe ihm hauptsächlich erklärt, wie ich mit Schauspielern arbeite.

Das ist ja auch ein wichtiger Punkt bei dir.

Und auch für Schauspieler ein wichtiger Punkt. Erstmal haben wir natürlich über den Film allgemein geredet, und dann, wie ich auch bei „Alles wird gut“ schon gearbeitet habe, dass ich keine Texte ausgebe, sondern dass ich nur so eine Art Beat-Listen ausgebe, wo draufsteht, wie der emotionale Ablauf der Szene ist und dann drehen wir Takes, wo wir das ausprobieren und Schauspieler das spielen. Manch ein Take dauert bis zu 40 Minuten. Und dann machen wir es nochmal aus einer anderen Perspektive und noch und nochmal. Aber für die Schauspieler bedeutet das, du musst nicht nur für den Moment spielen, sondern du hast 30, 40 Minuten, dich da hinzuspielen.

Die längste Sequenz war dann…

45 Minuten ungefähr. Und es ist natürlich auch viel, wo es ein bisschen langsam ist, wo man sagt, ok das kann raus raus raus – au, jetzt geht’s wieder zur Sache.

Also geschnitten sind das dann so 20 Minuten?

Kommt immer drauf an, kann auch mehr, aber auch weniger sein.

Das hätte ich jetzt nicht gedacht, dass das so entstanden ist.

Joe [Gordon-Levitt] hat auch gesagt: „Wow, ich habe noch nie so einen langen Take gedreht!“

Wer arbeitet noch so, wo hast du das her?

Ach, es gibt schon mehrere Leute, die in die Richtung gehen.

Andreas Dresen („Gundermann“) wäre wohl zu nennen.

Andreas Dresen hat bei uns an der Filmakademie ein drei- oder viertägiges Seminar gegeben, wo er erklärt hat, wie er arbeitet. Und so was prägt einen natürlich während der Schulzeit. Und Michael Haneke arbeitet auch mit langen Plansequenzen, das kommt dann aber bei ihm alles in den Film rein. Es hat aber denselben Effekt, dass die Schauspieler – es muss zwar sehr präzise sein – in die Rolle und die Emotion richtig tief reintauchen können. Nur bei uns heißt es immer: Du musst das jetzt nicht perfekt machen, wir können dies und jenes rausschneiden – wir nehmen quasi die besten Momente.

Das ist dein Debütfilm, wie unabhängig ist man da schon vom Milieu der Filmschulen?

Die Filmakademie in Wien hat da den großen Vorteil, dass man seine Professoren hat, mit denen man intensiv und persönlich sich austauscht, aber die akzeptieren, dass das Filmstudium immer auch eine Findungsphase, wo man sich ausprobieren kann und doch ein Sicherheitsnetz hat. Es muss den Übungsfilm ja keiner sehen am Ende. Beim ersten Spielfilm ist es was anderes, da kannst du nicht sagen: Ok, den tu ich jetzt in die Schublade. Aber ich hatte das Glück, dass ich mit der Oscar-Nominierung mir auch ein bisschen die Produzenten aussuchen konnte – es gab ein paar Leute, die interessiert waren, mit mir das nächste Projekt zu entwickeln. Und dann habe ich mit der augenschein filmproduktion, mir Produzenten gesucht, die respektieren: Ok, der möchte den Film so und so machen und wir versuchen ihn dabei zu unterstützen und sagen nur: Ok, das wird jetzt zu teuer, das geht leider nicht.

Wie teuer war „7500“?

Wir hatten ein Budget von glaube ich 3,6 oder 3,8 Millionen Euro.

Technisch ist so eine Reise im Cockpit nicht ohne.

Sagen wir mal, wir hatten ein ganz gutes Budget, gerade für einen Debütfilm waren wir in einer Luxusposition, dass wir nicht immer an allen Ecken sparen mussten. Sondern ich konnte das so umsetzen wie ich es mir vorgestellt hatte. Z.B. sind fast 30 Minuten VFX im Film. Das ist schon viel und nicht billig. Wir haben unter anderem Hubschrauberflüge gemacht, damit die Landung am Flughafen so glaubwürdig wie möglich aussieht und auf echtem Material basiert.

Wie viele Drehtage hattet ihr?

Wir hatten 21 Drehtage im Cockpit. Und dann hatten wir noch ein paar Drehtage, wo wir Plates für die VFXen gedreht haben, oder Überwachungskamera-Bilder.

So wenig Zeit, habt ihr denn vorher geprobt?

Ich probe nicht, ich caste dafür umso länger und genauer. Die einzigen Proben, die Joe hatte, war Pilotentraining. Carlo, der den Kapitän Michael spielt, hat 25 Jahre selbst als Pilot gearbeitet, bevor er Schauspieler geworden ist. Er war auch unser Berater und Joe’s Coach. Er ist mit ihm das ganze Cockpit-Zeug einfach durchgegangen, hat ihm diese ganzen Vorgänge erklärt, damit es einfach glaubwürdig ist. Denn das Schwierigste ist meistens, Routine zu spielen. Michael Haneke sagt immer, wenn ich eine Kassiererin im Supermarkt brauche, nehme ich eine echte Kassiererin, weil die weiß, wie das geht. Diese Routine brauchte ich aber auch mit Joe als Pilot.

Gab es für die Geschichte ein Modell? Du hast bestimmt recherchiert zu Flugzeugentführungen.

Ich wollte zunächst einmal in einem Raum einen Film drehen, und was ist der interessanteste Raum – ein Flugzeug. Und die Grundlage war die Geschichte von diesem radikalisierten Jungen, der sich in der Tat de-radikalisiert und aufwacht. Das fand ich am Spannendsten. Ich wurde oft gefragt, warum drehst du denn keine Flashbacks, damit man die Figuren noch mehr versteht? Wir lesen jeden Tag so viel über diese Hintergrundgeschichten und es gibt einfach keine einfachen Erklärungen. Ich wollte, dass man das einfach diese Situation spürt und einmal die Gewalt sieht und was man damit anrichtet. Das ist oft so abstrakt. Hier ist es sehr konkret. Aber ich wollte nicht alles erklären und vieles kann man auch nicht erklären. Gerade den Jungen, Vedat, wollte ich lediglich in Bruchstücken beschreiben mit viel Graubereich.

Wie hast du das den Schauspielern erklärt, habt ihr da Hintergründe gefunden?

Klar, gerade für die Rolle, die Omid spielt, findet man viele echte Geschichten und Biografien als Grundlage. Ich habe dann viel mit Omid über seine Rolle, die Psychologie von Vedat und seine Motivation gesprochen. Aber auch über die Widersprüche, die diese Figur in sich trägt. Er selber kennt auch Fälle aus München, wo er herkommt, womit er sich auseinandergesetzt hat.

In der „Variety“-Kritik stand: „not an awful lot to say“. Diese psychologische Herangehensweise wird nicht unbedingt goutiert.

Von vielen schon. Von der Variety halt nicht. Damit muss man leben. Die, die das sehen, finden das wahnsinnig positiv und sagen auch, das ist genau die richtige Sache. Ich habe mit dem Michael Haneke auch viel über so was geredet. In gewisser Weise stimmt es ja auch, wir sagen ja nicht viel, an der Oberfläche, aber ich finde, es liegt so wahnsinnig viel darunter, womit man sich beschäftigen muss oder kann. Es ist schon durchgedacht und es geht auch um große Sachen, und manchmal müsste man das – was ich nicht wollte – mit dem Holzhammer machen, damit es jeder sieht und jeder versteht. Es gibt die eine Szene, wo der Extremist Kenan seine Durchsage an die Passagiere von einem Zettel abliest und der dem Text sehr ähnlich ist, den sie im Bataclan [in Paris] geschrien haben. Und dann sagt jemand, das ist ja eine ziemlich einfache Lösung. Ja, aber wir leben in einer Welt, in der das erstmal als Text geschrien wird, warum soll ich jetzt noch zig andere Sachen erfinden, der Text ist jetzt erstmal die Grundlage. Aber das ist ja nicht die Erklärung für diese Leute, sondern das ist das, was passiert. Der Film zeigt erstmal nur einen Ablauf, wie es passieren könnte. Ich würde mich freuen, wenn man dann über die tieferen Hintergründe selbst nachdenkt.

Da ist ja auch mutig, die Zuschauer allein zu lassen mit den Geschehnissen, das so realistisch durchzuerzählen.

Genau. Das muss man sich vorher genau überlegen, da muss man ja dann auch sehr fein arbeiten und über Sympathien und Empathien nachdenken. Und der Film war letztendlich schon so gedacht, dass wir das so ausprobieren und den Mut dazu haben, es so zu reduzieren.

Haben Andreas Dresen und Michael Haneke den Film gesehen?

Dresen nicht – ich glaube auch nicht, dass der mich jetzt noch groß kennt, ich meine, ich war Teilnehmer eines Workshops, den er gehalten hat über seine Arbeit. Haneke hat ihn in Schnittphase gesehen und fand ihn sehr spannend. Er hat mir noch drei vier fünf Sachen gesagt, alles sehr hilfreich, auf manches sind wir auch eingegangen. Haneke kennt sich zwar im Weltkino sehr gut aus, aber Joe hat er nicht auf dem Schirm gehabt – der hat ihn sehr überzeugt. Was ich als Feedback natürlich gut fand. Es bestätigt nochmal, dass ich mit Joe den Richtigen gesucht und auch mit ihm vernünftig gearbeitet habe. Die finale Endfassung mit all den Effekten, mit Grading und Sounddesign, was dem Ganzen gerade im Kino noch eine neue Dimension gibt, hat Herr Haneke noch nicht gesehen. Wir haben in Wien-Premiere am 8.1., dann wird er also wohl dabei sein.

Am 8.1.!?

In Deutschland startet er schon am 26.12., in Österreich aber erst am 10.1.2020, denn wir wollten in Österreich eine eigene Premiere veranstalten. Aber am 26.12. kommen nicht so viele, am 1.1. kommen auch nicht…

Ist auch kein typischer Weihnachtsfilm, oder? (lacht)

Ja, das stimmt. Aber ist so ein bisschen das Gegenprogramm zu den großen Hollywood-Filmen und Blockbustern, die im Winter starten.

Vielleicht am Beispiel des Take-Offs, wie gehst du mit Echtzeit um?

Also wenn wir nicht mit Echtzeit arbeiten, habe ich schon versucht, das deutlich zu machen mit Jump-Cuts und Ähnlichem. Und da wir schon sehr echtzeitig sind – es gibt ganz wenige Momente, wo wir’s nicht sind. Aber zum Beispiel des Starts, da wir waren vorher in der Recherche, Sebastian, der Kameramann, und ich, sind wirklich mal von Frankfurt nach Tunesien vorne im Cockpit mitgeflogen und haben auf Grundlage dessen diesen Start sehr real nachgebaut. Von den Abläufen sowieso, weil Carlo, unser Berater, uns das genau gesagt hat, aber auch vom Zeitlichen, wie lang das braucht.

Du schilderst auch einen Kreislauf der Gewalt.

Das finde ich auch wichtig, den Circle of Violence und diese „Anti-Rache“, sich dagegen zu entscheiden, diese Spirale nicht weiterzutragen – das ist für mich sicherlich eine Kernaussage. Denn das finde ich das Schwierigste, sich nicht diesem Wunsch nach Vergeltung hinzugeben. Man muss nicht unbedingt vergeben, aber nicht rauszugehen und nicht das Gleiche zu tun, das ist es, was wirklich zu Veränderung, zum Durchbrechen der sich ewig weiterdrehenden Gewaltspirale führen kann. Aber das ist schwierig. Das bedeutet, den Schmerz und die Trauer zu akzeptieren. Aber nur so kommen wir da raus. Und das ist auch die Reise von Tobias, der Hauptfigur im Film. Und ich wollte einen Moment im Film haben, der nicht groß ist an sich, aber in seiner Tat eine wahre Größe hat.

Interview: Jan Schliecker

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