Der 1959 in Starnberg geborene Oskar Roehler gehört zu den streitbarsten deutschen Filmemachern. International gefeiert wurde er für das stilisierte Porträt seiner Mutter, der Schriftstellerin Gisela Elsner, in „Die Unberührbare“. Auch mit der Bestsellerverfilmung „Elementarteilchen“ oder dem autobiografischen Epos „Quellen des Lebens“ sorgte er für Furore. Sein um Rainer Werner Fassbinder kreisender Film „Enfant Terrible“, der am 1. Oktober in den Kinos anläuft, war in die „sélection officielle“ des Filmfestivals von Cannes 2020 eingeladen, das Corona-bedingt entfallen musste.
choices: Herr Roehler, bereits in Ihren Filmen „Agnes und seine Brüder“ und „Lulu und Jimi“ gibt es Fassbinder-Referenzen. War er schon immer ein Vorbild für Sie als Filmemacher?
Oskar Roehler: Ich bin in einem grässlichen Sportinternat Cineast geworden, in dem sich ansonsten niemand für Kultur interessiert hat – außer einem kleinen Haufen langhaariger, Haschisch rauchender Intellektueller aus der 12. und 13. Klasse. Die hatten über einer der Turnhallen ein Heimkino installiert. Und das waren die glorreichen Kinojahre, in denen man von Fassbinder-Filmen überschwemmt wurde. Nachdem man dann einen ganz tollen gesehen hatte, wie bei mir „Händler der vier Jahreszeiten“, kam zwei Monate später schon der nächste, und dann wieder der nächste. Er hat ja in einem Jahr bis zu sieben Filme gedreht, und so bin ich quasi von Fassbinder cinematografisch indoktriniert worden. Mein juveniles Gehirn war damals restlos begeistert, weil es aus deutschen Landen mal was Neues zu sehen bekam.
„Ich bin von Fassbinder cinematografisch indoktriniert worden“
Was hat Sie an seinen Arbeiten besonders begeistert?
Mich hat immer so beeindruckt, dass er von den Keimzellen der Gesellschaft ausging, von der Familie oder von einer Liebesbeziehung, und darin dann die gesellschaftlichen Umstände gespiegelt hat. Beispielsweise, dass man als Schwuler in München total schnell spießig werden musste und dass das nicht gutgeht. Oder dass man in der Ehe von kleinbürgerlichen Ressentiments erdrückt wird. Es geht bei Fassbinder immer um Machtstrukturen und Abhängigkeiten. Anders als andere deutsche Autorenfilmer hat er das im Nukleus behandelt. Seine Figuren waren viel echter und lebensnaher als die vieler anderer Filmemacher.
Wie ist nun die Idee entstanden, über den Menschen Fassbinder mal einen Film zu machen?
Die Idee gab es schon lange, eigentlich bereits seit Kurt Raabs autobiografischer Beichte „Die Sehnsucht des Rainer Werner Fassbinder“. Wenn ich an meinen Sets dann mit Menschen wie Volker Spengler, Udo Kier oder Margit Carstensen gearbeitet habe, bin ich immer wieder in das Fassbinder-Universum abgetaucht, weil ich von denen natürlich alles darüber wissen wollte. Die wahnwitzigsten Anekdoten hat immer Udo Kier zum Besten gegeben, von ihm weiß ich viel über Fassbinders Bestrafungssystem, das dieser aufgebaut hatte, wenn seine Leute nicht so funktionierten, wie er wollte. Das erinnert mich in seiner präpubertären Art ein bisschen an das Internat, in dem die Älteren die Jüngeren gequält haben. Dieses Bestrafungssystem, dem sich alle unterworfen haben, war eine Mischung aus Spaß und Ernst. Man konnte auch darüber lachen, und wer ein bisschen masochistisch veranlagt war, dem hat es vielleicht sogar gefallen. Aber es konnte am Ende auch gefährlich werden, wie der Rausschmiss von Kurt Raab gezeigt hat, der plötzlich süchtig und wohnungslos war, weil er sich komplett von Fassbinder abhängig gemacht hatte.
„Bloß nicht bei dem Roehler-Film mitmachen“
Die Figuren Martha und Gudrun haben im Film nicht ihre richtigen Namen. Kam es zu rechtlichen Problemen, wie eng haben Sie denn hier mit den einstigen Fassbinder-Schauspielern zusammengearbeitet?
Eva Mattes und Isolde Barth haben mitgespielt, beide waren ganz wunderbar. Sie waren diejenigen, die ausgebrochen sind aus dem „Fassbinder Foundation Verdikt“, das besagte, dass sie bloß nicht bei dem Roehler-Film mitmachen sollen. Die Irm Hermann war schon sehr krank, als man sie damit konfrontiert hat. Sie hatte vorher schon mit mir gesprochen und hatte eigentlich auch die Bereitschaft gezeigt mitzumachen. Ich habe den Verdacht, dass aufgrund dieses Verdikts schließlich einige nicht mitgemacht haben bei meinem Film.
Der Schwerpunkt von „Enfant terrible“ liegt auf dem privaten Fassbinder. Glauben Sie, dass dessen zügelloses Leben so etwas wie der Schlüssel zu seiner Kunst war?
Ja, klar! Er hat sich ja im Grunde allem ausgeliefert. Er sagt im Film auch einmal: „Irgendwer muss ja die Drecksarbeit machen.“ Er hat sich auch als Liebhaber einigen sadomasochistischen Beziehungen ausgeliefert, u.a. auch mit Günther Kaufmann, den er über alle Maßen vergöttert hat, und der ihn im Grunde immer an der Nase herumgeführt hat. Das schlug sich ja später haargenau in „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ nieder. Darin finden sich einige wörtliche Zitate von Fassbinder und Kaufmann. Denn es gibt das Gerücht, dass er nach Streitereien mit Kaufmann teilweise in Tränen aufgelöst in die Küche gegangen ist zu Kurt Raab und diesem befohlen hat mitzuschreiben, was er aus dem Gedächtnis noch von dem Streit wusste, weil er damals schon überlegte, daraus vielleicht einmal ein Stück zu machen. Bei Fassbinder war es oftmals eine Vermischung aus Selbsterfahrungen und der Auswertung dieser Selbsterfahrungen. Das findet sich dann auch immer in seinen Filmen wieder.
„Nicht viele Prominente, die man schon hundertmal im Tatort gesehen hat“
Das Casting des Films ist ausgesprochen gut, insbesondere Masucci und Prinz sind kongenial besetzt. War das ein sehr langwieriger Prozess, oder hatten Sie schon früh bestimmte Darsteller für die Figuren im Kopf?
Ja, es war ein langwieriger Prozess. Ich musste die Zügel beim Casting stark in die Hand nehmen, um Oliver Masucci durchzusetzen, weil er für die Rolle ja eigentlich viel zu alt ist. Aber ich habe dann argumentiert, dass die Zuschauer bei einem Schauspieler wie Masucci, der eine echte Granate ist, schon nach fünf Minuten das Alter vergessen, weil sein Schauspiel das alles überstrahlt. Die anderen, die mit Ausnahme von Katja Riemann ja weniger bekannt sind, wurden sehr lange durch Castings gesucht, bis wir dann das Ensemble zusammenhatten, das ich für eines meiner besten überhaupt halte. Gerade auch, weil nicht so viele Prominente vorkommen, die man schon hundertmal im „Tatort“ gesehen hat.
„Enfant Terrible“ war seit Jahren einer der ersten deutschen Beiträge, der in die „sélection officielle“ von Cannes eingeladen war – und dann hat Corona dem einen Strich durch die Rechnung gemacht. Hat Sie das schwer getroffen?
Es war nicht unbedingt so, dass wir uns Hoffnung auf einen großen Preis gemacht hätten. Aber wir haben uns wahnsinnig gefreut, zumal die Briefe und Mails der Festivalleiter sehr persönlich waren. Sie brachten zum Ausdruck, dass sie den Film sehr mochten, und dass er ihnen sehr ans Herz gegangen ist. Sie haben mich herzlich eingeladen und mir gesagt, ich sei von jetzt an „member of the gang“. Das war schon eine große Freude, und dass wir dann nicht dabei sein konnten, war schon sehr schade, zumal das Ganze dann medial doch sehr untergegangen ist. Das war Pech im Glück, und im Nachhinein betrachtet schon ein schwerer Schlag.
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