In der ganzen eng besiedelten Region zwischen Köln und Dortmund klagen (Sub-)Kulturschaffende dasselbe Leid: Es gibt keine Orte für angemessene kulturelle Entfaltung, zumindest nicht solche, die genügend Leute fassen, und in denen man auch mal etwas lauter werden kann. Seit langer Zeit verfahren gerade freie Initiativen gleich und flüchten in die Halblegalität, an Orte, an denen zumindest irgendwas erlaubt ist, das halbwegs mit dem zu tun hat, was sie selbst veranstalten wollen. Dass die Halbwertzeit solcher Orte gering ist, ist dabei den Initiatoren genauso klar wie den meisten Besuchern. Man nimmt es eben schicksalsergeben in Kauf – was soll man auch anderes tun?
Eigentlich war jedem klar, dass auch das Odonien im Nordwesten der Kölner Innenstadt genau so ein Ort ist und bleiben würde. Auf dem Gelände des Ateliers Odo Rumpf finden seit ein paar Sommern Partys statt, zumeist unter freiem Himmel, manchmal auch Konzerte oder Ausstellungen. Für Köln, dessen Elektroszene seit Jahren von Club zu Club tingelt und dessen Freiluftlocations in der Regel nur wenige Veranstaltungen überdauerten, kam das fast schon einer Konstante gleich. Im vergangenen Mai kam auch hier das eigentlich Unvermeidliche, nämlich das Ordnungsamt auf den Plan und setzte die Auflagen (Fluchtwege, Feuerwehrzufahrt) wie von ihm gewohnt so hoch an, dass für das Odonien das Aus gekommen schien. Auch deshalb, weil die Protestaufrufe der Odonien-Fans über die bekannten Sozialen Netzwerke alles andere als glücklich formuliert waren.
Dennoch – oder gerade deswegen – war die Resonanz in der Kölner „Szene“ so überwältigend, dass manche Akteure schon anmahnten, dass sie es schade fänden, nicht so viele Leute bei ähnlich gelagerten Anlässen wie etwa den Pro Köln-Protesten zu sehen. Denn auf dem Rudolfplatz in der Kölner Innenstadt versammelten sich am 27. Mai knapp 1.000 Demonstranten und ließen ihre ganze Kreativität in den Protest fließen. Eindruck hat dieser Protest in jedem Fall gemacht – die Verhandlungen um die Zukunft des Odonien gehen weiter. Der Ausgang ist, Stand Redaktionsschluss, allerdings ungewiss.
Andere, deutlich kooperativere Wege geht eine neue Initiative aus dem Umfeld der Essener Zeche Carl, die den Namen „Netzwerk x“ trägt. Das Netzwerk setzt auf Strategien, die denen der „runden Tische“ ähneln. Öffentliche und freie Veranstalter und Kulturaktivisten wollen mit Ämtern und Behörden in diesem Rahmen Probleme erörtern und Potenziale abklopfen. Ende Mai stellte sich das Netzwerk mit Performances öffentlichkeitswirksam vor, ab dem 22. Juni soll es mit der Konferenz „Recht auf Stadt“ im gebeutelten Duisburg in die Vollen gehen. Noch ist das Netzwerk zu jung, um eine Bilanz zu ziehen, außerdem sind alle Beteiligten unter dem andauernden Eindruck der Loveparade-Katastrophe noch sehr um Vorsicht und Einvernehmlichkeit bemüht. Doch wenn das Netzwerk in einer Region mit einem solchen Nachholbedarf, gerade in Sphären der Soziokultur, Erfolge vorweisen kann, wird dieses Modell sicher auch Schule machen. Und vielleicht bekommt dann sogar Köln die permanente Freiluftlocation, die sich die Partygänger der Stadt schon so lange wünschen.
www.netzwerk-x.org I www.odonien.de
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