Wer einmal einen aufstrebenden jungen Dirigenten erleben wollte, der während seiner beidhändigen Arbeit gleichzeitig auf einem Blasinstrument spielte, der hätte in das Neujahrskonzert 2019 des Gürzenichorchesters gehen müssen. Die Rede ist hier von dem Franzosen Alexandre Bloch, Chef des Orchesters in Lille und Erster Gastdirigent unserer Freunde in Düsseldorf, den dortigen Symphonikern. Man kann es vielleicht erraten: Es handelt sich um eine kleine Kindertröte (Mirliton), die man nur mit dem Mund halten kann; das demonstrieren auch sechs gestandene Mitglieder unseres Orchesters zum großen Spaß des Publikums im restlos ausverkauften Konzert. Nun hat man so etwas nicht alle Tage; Anlass ist der 200. Geburtstag von Jacques Offenbach, einem Sohn der Stadt Köln.
Geboren am großen Griechenmarkt als Sohn des Synagogenkantors und Musiklehrers Isaac erlernt er früh das Cellospiel, geht mit 15 Jahren als „Jaques“ nach Paris an das Konservatorium und macht in Frankreich Karriere als Cellist und Komponist. Dort heiratet er, wird Katholik und flüchtet anlässlich der Februarrevolution nach Köln. Zurück in Paris komponierte er sehr fleißig und wird berühmt, erlebt als Begründer oder Leiter mehrerer Theater aber immer wieder Schiffbruch, obwohl er als Ritter der Ehrenlegion und inzwischen französischer Staatsbürger bekannt ist und seine Musik auch im Ausland gespielt wird. Große gesundheitliche Probleme mit Rheuma und Gicht führten ihn regelmäßig nach Bad Ems an der Lahn zum Kuren. Seine letzte großes Komposition „Hoffmanns Erzählungen“, eines von über 600 Werken, lässt er unfertig zurück, als er mit 61 Jahren stirbt.
Aus der Mitte der Kölner kulturbeflissenen Bürgerschaft entstand der Wunsch, Offenbach in diesem Jahr besonders zu ehren. Nur wie? Getreu dem Motto „Wenn sonst niemand etwas weiß, dann gründe einen Arbeitskreis“ wurde flugs eine Offenbachgesellschaft gegründet, alle Kölner Kulturschaffenden steuerten Ideen bei mit 120 Veranstaltungen, und die hochprofessionelle und sehr rührige Claudia Hessel hielt alle Fäden in der Hand für das Kölner Offenbachjahr 2019. Start war das traditionelle Neujahrskonzert des Gürzenichorchesters, dazu am Abend die Wiederaufnahme der hochgelobten Produktion in der Kinderoper von „Hoffmanns Erzählungen“ mit dem neuen Team des Kölner Internationalen Opernstudios.
Natürlich tummelte sich allerlei Prominenz im Saal, die Oberbürgermeisterin Henriette Reker lud in ihrer charmanten Begrüßung zu einer Offenbach-Entdeckungsreise und zu einer Intensivierung der deutsch-französischen Beziehungen ein. Sie dankte dem anwesenden Schirmherrn Ministerpräsident Armin Laschet, der erklärte, Frankreich sei „für uns wichtig im Moment“, ein halbes Jahr vor der Europawahl und mit Blick auf die bevorstehende Unterzeichnung eines neuen Elysée-Vertrags am 22. Januar. Zudem ging er auf kurz darauf ein, dass Offenbach im Krieg 70/71 von den Franzosen als Verräter und Spion gebrandmarkt, in Köln aber gefeiert worden sei: „Das hätte man sich auch denken können.“ Und: Das Gürzenich-Orchester müsse mit Offenbachs Musik im Sinne des deutsch-französischen Verhältnisses „auch nach Berlin gebracht werden“.
Dem blendend aufgelegten Publikum wurden vom ebenso gut aufgelegten Orchester einige Highlights aus dem breiten Oeuvre von Offenbach präsentiert, der Dirigent hatte mit großflächigen Bewegungen wenig Mühe, die Musiker zu Höchstleistungen zu motivieren in Sachen Klangschönheit, Schwung und Opernseligkeit. In den „Rheinnixen“ hat Offenbach sich mit der „Barcarole“ selbst beklaut (das hat er wohl dem Rossini abgeschaut), mit dem Walzer aus „Barkouf“ kam nochmal richtig Schwung auf, ebenso nach der Konzertouvertüre aus „Die schöne Helena“. Die wunderbaren Bläser des Orchesters konnten hier zeigen, was sie alles drauf haben. Zitat eines älteren Herrn der Pause: „Ich wusste gar nicht, dass das Orchester so etwas so gut spielen kann.“ Klar, können sie. Absolutes Highlight war dann die „Grande scène espagnole“ mit dem spanischen Starcellisten Pablo Ferrández und seinem fast sprechenden Stradivari-Instrument. Danach spielte er als eine sehr ausgefallene Zugabe im Duett mit Bonian Tian, dem Solocellisten des Orchesters – die beiden hatten früher zusammen studiert.
Nach der Pause dann eine echte Rarität, die rekonstruierte „Oyayaya oder Die Königin der Inseln“, eine „Quatschgeschichte“ eines Kontrabassisten, der wegen Schnarchens aus dem Orchester gefeuert wird und auf einer fernen Südseeinsel mit Menschenfressern landet. Hier soll er die Königin unterhalten, als Alternative droht der Kochtopf. Das gelingt ausgezeichnet, den Kontrabass mimt und singt köstlich in der komischen und absurden Story der Tenor Mathias Klink; er kann auf dem Instrument mit rückwärtigem gut gefülltem Wäsche-und-Bar-Fach nicht nur einige Töne spielen, sondern verabschiedet sich beim Abgang von der Bühne von seinen Bass-Kollegen mit dezentem Winken. Die „Königin“ ist der Countertenor Hagen Matzeit, kurzfristig für den erkrankten Michele Angelini eingesprungen. Er verfügt nicht nur über eine Stimme vom tiefsten grummelnden Bass bis in den höchsten Sopran, sondern ist ein Erzkomödiant, der überdies auf seinen Stöckelschuhen auch unfallfrei laufen kann, wenn ihm auch das Aufstellen eines Liegestuhls mit großem Köln-Wappen nicht recht gelingt. Überdies distanziert sich der Geigenbauer Kress per Fußnote im Programm in aller Förmlichkeit vom unsachgemäßen Gebrauch von Kontrabässen. Wie recht er hat; sollte aber auch eine Ausnahme bleiben.
Für finales Lokalkolorit sorgte dann unangekündigt Biggi Wanninger, wortgewaltige Präsidentin der Stunksitzung, als „Kölsche Queen von Arkadien“ aus „Orpheus in der Unterwelt“ mit allerlei bissigen Bemerkungen zur Lage in Köln. Im persönlichen Gespräch beim anschließenden Freibier: „Hätte ich mir nicht träumen lassen, einmal vom Gürzenich-Orchester in der vollbesetzten Philharmonie begleitet zu werden.“
Der frühe Abend galt dann der Kinderoper mit der Wiedeaufnahme von „Hoffmanns Erzählungen“ mit neuem Sängerteam, da die Mitarbeit im Opernstudio auf zwei Jahre begrenzt ist. Die jungen Leute aus vielen Nationen machen ihre Sache prächtig, große Stimmen sind da schon zu vernehmen, denen eine glänzende sängerische Zukunft winkt. Dank einer großzügigen privaten Spende und zwei Sponsoren konnten jetzt acht fertig ausgebildete Sänger/innen aufgenommen werden, die sich in einer Art Postgraduate-Studium auf ihren Beruf vorbereiten. Sie beziehen ein Gehalt, erhalten vielfältigen Unterricht und stehen für Aufführungen in der Kinderoper und auf der großen Bühne zur Verfügung.
„Hoffmanns Erzählungen für Kinder“ | 16., 17., 18., 20., 21., 24., 26.1. je 11.30 Uhr, 19. 18 Uhr, 22.1. 14 Uhr | Oper Köln | 0221 221 284 00 | www.yeswecancan.koeln
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