Wind und Wetter haben ihr nichts anhaben können. Kein Regen, Schnee, Sturm, Hagel. Bloß dem Indianerpfeil von Sohn Maximilian war Freimut Büchels Solaranlage nicht gewachsen. Das spitze Geschoss – unbedacht in die Luft abgefeuert – traf in senkrechtem Winkel auf das Modul und durchschlug die Oberfläche. Ein Panel musste ausgewechselt werden. Weil Indianerangriffe in diesen Breiten aber eher die Ausnahme bilden, läuft Büchels Photovoltaik seitdem wieder ungestört – im nunmehr 18. Lebensjahr. Es ist die zweitälteste Solarstromanlage in Herne.
Manch trailer-Leser war noch nicht auf der Welt, als die Bundesregierung kurz vor der Wiedervereinigung 1990 eine erste Solar-Förderung beschloss: 1.000 Dächer sollten mit Stromzellen ausgerüstet werden. In Spendierlaune gewährten Kanzler Kohl und die Länderchefs bis zu 70 Prozent der Anlagekosten als Zuschuss. Nach zwei Jahren stand bundesweit eine Erzeugungsleistung als Ergebnis, die heute eine einzelne Freiland-Anlage liefert. Erst 1999 legte die mittlerweile rot-grüne Regierung um 100.000 Dächer nach. Und die Wochenzeitung „Zeit“ unkte: „Wer sich Solarzellen aufs Dach klebt, wird mit Fördermitteln überschüttet. Unter anderem trägt der Staat die gesamten Zinsen und übernimmt ein Zehntel der Kreditsumme – falls die Solaranlage nach neun Jahren noch funktioniert.“
Neun Jahre – darüber müssen etliche Solaristen auch im Ruhrgebiet heftig grinsen. Denn die regionalen Stromnetz-Betreiber listen reichlich Solardächer auf, die deutlich älter sind. Gelsenkirchens erster Sonnenstrom-Erzeuger ging Ende 1993 ans Netz. In Gladbeck schraubte der erste Privatier im Herbst 1991 seine Photovoltaik aufs Süddach. Noch ein Jahr älter ist Bochums Tabellenführer: eine 32-kWp-Anlage, die über lange Zeit auch die größte Installation der Stadt blieb. Und an der Uni Oldenburg produzieren Solarzellen, die inzwischen 36 Jahre auf dem Buckel haben, unverdrossen CO2-freie Energie.
Mit den langen Laufzeiten verbunden ist ein Erfahrungsschatz, der sich oft sehr knapp ausdrückt. „So gut wie keine Störung. Die Dinger laufen einfach“, berichtet Gladbecks Pionier Willi Hennes. Für 32.000 DM (heute etwa 16.000 Euro) ließ sich seine Familie vor 21 Jahren eine 2,9-kWp-Photovoltaik installieren. Das war eine Menge Geld – „und die Nachbarn haben uns für ein bisschen verrückt gehalten. Aber es war unser Anliegen, die Energie-Alternativen nach vorn zu bringen.“ Hennes hat seine Module nie geputzt, das überließ er dem Regen. Dennoch blieb die jährliche Stromerzeugung ziemlich konstant. „Ausgestiegen“ sei einmal der Wechselrichter, mit dem der Gleichstrom der Solarzellen in verbrauchs- und einspeisefähigen Wechselstrom gewandelt wird. Doch auch der musste nicht ersetzt, sondern lediglich repariert werden. Hennes: „Bisher hat sich die Anlage mehr als refinanziert. Wenn man eins und eins zusammenzählen kann, kommt man doch gar nicht daran vorbei.“
Fast alle Alt-Sonnenstromer hatten andere als ökonomische Ziele im Kopf. „Man wollte die Bewahrung der Schöpfung nicht nur predigen, sondern auch mit Taten unterstützen“, sagt Pfarrerin Kerstin Rödel. Ihre Gemeinde war schon 1994 mit dem Pfarrhaus in Bottrop-Grafenwald solartechnisch unterwegs. Ein Jahr vorher errichteten die Glaubensbrüder in Duisburg-Homberg erstmals eine Photovoltaik auf einem deutschen Kirchendach.
In Gelsenkirchen greift Ulrich Ochs zum Ordner mit den alten Unterlagen. Seine 1-kW-Anlage, 1993 in Betrieb genommen, unterstützt Selbstverbrauch und das örtliche Netz. Im Mittel etwa 800 kWh Jahresleistung – das ist auch nach 18 Jahren erstaunlich hoch. Die Rentabilität wird Ochs demnächst wohl noch verbessern können. Denn mit dem EEG-Gesetz von 2000 hatte Rot-Grün verfügt, so der Solar-Förderverein Deutschland (Aachen), dass die „Methusalixe“ unter den Solarstromanlagen noch bis Ende 2021 zum Pioniertarif von 50 Cent komplett einspeisen können. Ochs: „Das wusste ich noch gar nicht. Aber ich habe meinem Versorger ELE gleich mal eine Mail geschickt.“
Auf dem Bochumer Dach der Wessling-Umweltlaboratorien ist die erzeugte Strommenge über die Jahre geringer geworden. Regionalleiterin Dr. Birgitta Höwing muss mittlerweile konstatieren, dass von der großen 32-kW-AEG-/Siemens-/Nukem-Anlage über ihrem Kopf ein Modulfeld ausgefallen ist („Es wird zwar Strom produziert, aber der kommt nicht an. Auch Fachleute konnten den Fehler nicht finden“). Bis 2003 verzeichnen die Abrechnungen neben dem Selbstverbrauch jährlich etwa 15.000 eingespeiste Kilowattstunden, jetzt sind es noch 8- bis 9.000. Zum Minderertrag haben allerdings auch einzelne Bäume beigetragen, die das Süddach teilweise verschatten.
Dennoch: Die trailer-Recherche zeigt, dass der ganz überwiegende Teil der Solar-Pioniere mit den Alt-Anlagen und ihrer Arbeit mehr als zufrieden ist. Nur eines reue ihn, sagt der Gladbecker Willi Hennes: „Dass wir damals nicht gleich mehr gemacht haben.“ Ein Fehler, der in diesem Jahr korrigiert werden soll: Hennes plant den Bau einer weiteren 5-kW-Solaranlage – dieses Mal sogar mit einer Lithium-Speicherbatterie.
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