Wer Vereine mit Langeweile oder überdrehten Narren assoziiert, dessen Sichtweise ist einseitig. Klar, Köln ist vor allem für eine Vereinskultur bekannt – die des Karnevals. Jenseits von Alaaf gibt es jedoch durchaus künstlerische und kulturelle Verbände mit Anspruch, die sich seit Jahren aufrecht erhalten: So etwa der bereits 1839 gegründete Kölnische Kunstverein in der Hahnenstraße, eine der ältesten Institutionen für zeitgenössische, junge Kunst im Rheinland. Zu den bekanntesten hier ausgestellten Künstlern zählen keine geringeren als Max Ernst, Hans Arp und Paul Klee. Seit nunmehr über 175 Jahren partizipiert der Kölnische Kunstverein an der Definition von neuer Kunst. Die Arbeit des Kunstvereins wird von einer breiten Öffentlichkeit, seinen rund 2000 Mitgliedern und einigen Sponsoren getragen. Derzeit schmücken hier im Rahmen der aktuellen Ausstellung „Solito“ morbide Werke des französisch-kanadischen Künstlers Julien Ceccaldi. Dazu sagt die Assistenzkuratorin Juliane Duft:
„Unser Fokus liegt auf zeitgenössischer, experimenteller Kunst und solcher jenseits des Mainstreams. Wir wollen vor allem Künstlern eine Plattform bieten, die noch nicht etabliert sind. Diese Künstler verbringen dann meist ein paar Tage bei uns im Verein. Häufig, auch bei „Solito“, entsteht dann erst bei uns im Hause die entgültige Ausstellung oftmals auch als eine Art künstlerisches Experiment. Beispielsweise geht die Ausstellung „Solito“ von einem Comic des Künstlers aus. Die Skelett-Skulpturen sind erst bei uns in der Zusammenarbeit mit dem Künstler entstanden.“
In der aktuellen Ausstellung luken, schaurig-schön, eingebettet in Comics, Knochengerippe und Kadaver hinter Mülltüten hervor oder sitzen auf Toiletten. Der Protagonist in jenem märchenhaften Comic, ein 30-Jähriger lüsterner Mann, der noch Jungfrau ist, ist so darauf erpicht, sexuelle Genugtuung zu finden, dass er nicht davor zurückschreckt, sich dem Tod hinzugeben. Passend zu dieser künstlerischen Morbidität stellt sich die Frage: Sind Kunstvereine vom Aussterben bedroht? Oder: Wie funktioniert es, sich, fernab von staatlichen Instutionen, auf dem Kunstmarkt zu behaupten? Rutschen Vereine bald tot ins stille Örtchen? Juliane Duft:
„Unser Verein ist nicht vom Aussterben bedroht. Vielleicht liegt es daran, dass wir hier zentral in der Innenstadt liegen und bereits seit 1839 existieren. Man kennt uns. Ferner setzen wir uns sehr für unsere Projekte ein. Aber, dass Vereine sich rein durch Mitgliedsbeiträge tragen, halte ich für naiv. Natürlich haben wir auch Sponsoren.“
Künstlerische Behauptung jenseits des Mainstreams mit leichter öffentlicher Förderung, ohne seine Seele zu verkaufen, bleibt eine Herausforderung. Noch einmal Juliane Duft:
„Wir stellen für fast alle Projekte Anträge für öffentliche Förderungen. Das ist in Ordnung, sofern man dabei nicht zu sehr vom ursprünglichen Ziel abkommt, sich nicht verbiegt. Man muss schon sagen: Das oder das will ich. Dann schafft man das auch. Das Meiste wird auch von staatlicher oder städtischer Seite so akzeptiert.“
Ganz anders hingegen gestaltet sich die Arbeit bei Deutzkultur: Die rechtsrheinische Seite Kölns ist kulturell das Waisenkind der Domstadt. Als Antwort auf den hier herrschenden Mangel an kulturellen Angeboten in Köln-Deutz wurde deshalb unter dem Motto „Nicht jammern, sondern etwas tun“ und „aus einer „Schnapsidee heraus“, wie der erste Vorsitzende, Jens Hüttenberger, es beschreibt, der Verein im Jahr 2009 ins Leben gerufen.
Unabhängig vom Einkommen ist die Teilnahme an Veranstaltungen – Musik, Kunst, Fotografie, Literatur, Tanz, Filme oder Kabarett – für alle Interessierten solidarisch kostenlos. Deutzkultur, das inzwischen 100 Mitglieder zählt, finanziert sich größtenteils durch Mitgliedsbeiträge sowie durch einige Sponsoren. Studenten, Rentner oder Empfänger von Sozialleistungen zahlen die Hälfte. Alle Mitglieder arbeiten ehrenamtlich. Jens Hüttenberger:
„Wir finden einfach, dass Kultur für jeden zugänglich sein sollte egal, ob dieser Mensch Geld hat oder nicht. Es ist nicht immer einfach, aber es macht auch sehr viel Spaß, und das Ergebnis lässt sich zeigen.“
Deutzkultur versucht die gesamte kulturelle Bandbreite abzubilden, etwa mit der Veranstaltungswoche „SommerStart“. Bei aller Bewunderung für so viel Gemeinschaftsgeist: Wie ist es möglich, sich fernab von staatlichen Institutionen und Förderungen in der Kulturszene zu emanzipieren? Hüttenberger:
„Bis jetzt trug sich unser Verein. Allerdings sind wir sehr abhängig vom Wetter. Das von uns organisierte Festival „Open Air an der Drehbrücke“ beispielsweise ist sowohl größter Kostenfaktor als auch größte Einnahmequelle. Das funktioniert aber nur über sehr viel persönlichen Einsatz. Die Mitglieder haben finanziell ja eigentlich nichts davon. Im Gegenteil: Sie zahlen drauf für Veranstaltungen, zu denen sie umsonst gehen könnten. Unser Programmverantwortlicher, Gregor Roesling, opfert eine komplette Urlaubswoche, während die Kulturwoche läuft, damit er für die Künstler da sein kann. Und ganz wichtig: Während der Festivalwoche helfen im Schnitt zwischen 25 und 30 Vereinsmitglieder ehrenamtlich, bauen Bühnen und Bänke auf, stehen hinter der Theke und kümmern sich um Getränke. Manche von morgens bis in die Nacht. Das ist unglaublich, was diese Menschen in ihrer Freizeit leisten.“
Für den Kölnischen Kunstverein und für Deutzkultur stellt Mitgliederschwund kein Problem dar. Beide betonen aber, wie wichtig Vernetzung ist. „Sie ist eigentlich das A. und O.“, so Hüttenberger von Deutzkultur, „kalt aquirieren wir kaum Künstler. Das Meiste läüft über Kontakten und Netzwerken“.
Beide Vereine zeigen, dass Interessensgemeinschaften in der Kunst- und Kulturszene weder verstaubt noch bedroht sein müssen. Im Gegenteil: Dass lokale Institutionen es schaffen können, ihre Interessen durchzusetzen, mit Niveau, auch für jüngere Menschen und sogar mit experimenteller Kunst.
Kölnischer Kunstverein: https://koelnischerkunstverein.de/startseite.htm
Deutzkultur: https://www.deutzkultur.de/
Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema
Aktiv im Thema
koelnischerkunstverein.de | Den Kölnischen Kunstverein gibt es seit 1839. Sein Schwerpunkt liegt auf der Förderung zeitgenössischer Kunst von KünstlerInnen aus dem Rheinland.
koeln-freiwillig.de | Helfen, aber wie? Die Kölner Freiwilligen Agentur vermittelt Tätigkeiten in Kultur, Sport, Ökologie, Jugend und Soziales. Schirmherren sind u.a. Navid Kermani und Jürgen Becker.
koelnerkulturpaten.de | Viele Kulturschaffende haben zwar gute Ideen, oft nicht das nötige Wissen oder die finanzielle Ausstattung für ihr Vorhaben. Die Kölner Kulturpaten vermitteln Hilfe.
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