Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
16 17 18 19 20 21 22
23 24 25 26 27 28 29

12.605 Beiträge zu
3.828 Filmen im Forum

José F.A. Oliver
Foto: Dörthe Boxberg/Stadt Köln

Das Unsagbare sagbar machen

08. Dezember 2021

José F.A. Oliver erhält Heinrich-Böll-Literaturpreis – Literatur 12/21

Er sei ein Menschenfreund, einer der herausragendsten Lyriker und Essayisten unserer Zeit, seine Werke reich an Sprachmagie und von analytischer Prägnanz. Mit diesen Worten küren die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker und die Jury des Heinrich-Böll-Literaturpreises den diesjährigen Preisträger José Oliver. Der 1961 in Hausach im Schwarzwald geborene Autor bringt in seinen Gedichten, Essays und Kurzprosa das Nomadische seiner andalusischen Heimat, Themen zu Migration und Integration sowie kulturpolitische Themen zur Sprache. Doch auch vermeintlich Unsagbares – das, was zwischen dem Geschriebenen oder Gesagten passiert – schafft Oliver auf beeindruckende Weise sagbar zu machen und den Leser in die Kraft des Nicht-Wortes hineinspüren zu lassen.

Oliver ist Beobachter, Aufklärer und Vermittler zugleich. Dass die Wurzeln dieser Funktionen durch seine Kindheit und seine Eltern, die aus Andalusien damals in den Schwarzwald kamen, mit seiner Sprachmagie eng verbunden sind, liegt nahe. „Du musst auf die Wörter schauen, dann erzählen sie dir eine Geschichte!“, lehrte ihn schon seine Mutter. Doch auch sein Vater, ein ehemaliger Gastarbeiter aus dem andalusischen Málaga, beherrschte das Spiel mit den Wörtern. Oliver ist ein Poet der Gastfreundschaft und wandert dichterisch zwischen spanischer Kultur, Temperament und Anekdoten aus seiner Familie die Zeilen auf und ab. Mal erzählend, mal singend. Seinen Vater würdigt er in dem Gedicht „Vaterskizze – ein Kühlschrank-Betracht“ als besonderen Gastgeber und huldigt darin auch einer der ersten Gerätschaften, die er in Deutschland besaß: dem Kühlschrank. Ein simples Manifest, stets und zu jeder Zeit Gäste in Empfang zu nehmen. Bei dieser rührseligen und unterhaltsamen Hommage hat man gleich ein wohliges Gefühl in Geist und Magen.

Die große Gabe der „Meersprachigkeit“

Doch nicht nur seine Werke zeugen von immenser Bedeutung, besonders in unserer heutigen Zeit, auch Oliver selbst schien schon in frühen Jahren seiner Zeit voraus zu sein. Nicht unwesentlich ist hierbei sein bilingualer Hintergrund, oder wie er es lyrisch beschreibt: seine Meersprachigkeit. Das Gendern sei für ihn dadurch schon immer selbstverständlich gewesen – und auch, wenn in modernen Diskursen von der „Woher kommst du?"-Frage zurecht abgeraten wird, so scheint Oliver diesen Teil seiner Geschichte in seinen Werken und in seinem ganzen Habitus besonders zu akzentuieren und als eine große Gabe gekonnt einzusetzen.

Am Donnerstagabend vor der offiziellen Preisvergabe im Wallraf-Richartz-Museum sitzt Oliver voller Lebensfreude und Selbstironie über den reichen Schatz seiner Werke gebeugt in der Zentral-Bibliothek, in der auch das Heinrich-Böll-Archiv beheimatet ist. Er liest an diesem Abend aus seinen Essays und Gedichten und lässt dabei Magie im ganzen Raum verströmen. Seine Anekdoten sind herzerwärmend und unglaublich unterhaltsam, und seine Literatur besteht aus nachhaltig klugen und wichtigen Zeugnissen, die über den Abend hinaus hochliterarische Momente der Poesie schenken.

Christina Heimig

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Drachenzähmen leicht gemacht

Lesen Sie dazu auch:

Ein Leben, das um Bücher kreist
„Roberto und Ich“ von Anna Katharina Fröhlich – Textwelten 06/25

Bücher in Form
Der Deutsche Fotobuchpreis in Köln

Gespenster zum Gähnen
Junges Buch für die Stadt Köln 2025

Die Spielarten der Lüge
„Die ganze Wahrheit über das Lügen“ von Johannes Vogt & Felicitas Horstschäfer – Vorlesung 05/25

Im Fleischwolf des Kapitalismus
„Tiny House“ von Mario Wurmitzer – Literatur 05/25

Starkregen im Dorf der Tiere
„Der Tag, an dem der Sturm alles wegfegte“ von Sophie Moronval – Vorlesung 05/25

Ein Meister des Taktgefühls
Martin Mosebachs Roman „Die Richtige“ – Textwelten 05/25

Unglückliche Ehen
„Coast Road“ von Alan Murrin – Literatur 04/25

Über Weltschmerz sprechen
„Alles, was wir tragen können“ von Helen Docherty – Vorlesung 04/25

Verlustschmerz verstehen
„Als der Wald erwachte“ von Emma Karinsdotter und Martin Widmark – Vorlesung 03/25

Cool – cooler – Aal
„Egal, sagt Aal“ von Julia Regett – Vorlesung 03/25

Aus dem belagerten Sarajevo
„Nachtgäste“ von Nenad Veličković – Literatur 03/25

Literatur.

HINWEIS