Freitag, 7. Juni: Es ist ein globales Phänomen, dem der schwedische Filmemacher Fredrik Gertten im gerade bundesweit angelaufenen Film „Push – Für das Grundrecht auf Wohnen“ nachspürt. Gemeinsam mit seiner Protagonistin Leilani Farha, der UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf Wohnen, macht er im Film Parallelen zwischen Städten wie New York, London, Madrid oder Berlin offenkundig. In den meisten Großstädten dieser Welt wird bezahlbarer Wohnraum immer knapper, weil der Finanzmarkt diesen als Anlageform für sich entdeckt hat. Superreiche kaufen Wohnungen, Häuser oder z.T. auch ganze Viertel, nehmen den Leerstand dann aber billigend in Kauf, weil sie die Objekte nur als Kapitalanlage betrachten. Die normale Arbeiterschicht kann es sich dagegen in Folge kaum mehr leisten, in der Nähe ihres Arbeitsplatzes zu wohnen. Dieses unsichtbare Immobilienmonster, das derartige Entwicklungen global vorantreibt, ist in Ansätzen auch schon in Köln aktiv. Ausländische Investoren kaufen Grund und Boden auf, um diesen nach ihren, lediglich auf den schnellen Profit bedachten Überlegungen, umzugestalten. Die Leidtragenden sind auch hier die einfachen Bürger, die aus ihrem Veedel verdrängt werden. Mindjazz Pictures, der deutsche Filmverleih von „Push“, veranstaltete anlässlich der Köln-Premiere zu diesem Thema eine Podiumsdiskussion mit Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen.
Franz-Xaver Corneth, seit 2007 Vorsitzender des Mietervereins Köln, belächelte den Ansatz von Leilani Farha, die im Film einen runden Tisch mit Oberbürgermeistern von Großstädten initiiert, als naiv: „Diese Finanzmarktprobleme kann man nicht mit Gesprächen lösen, hier müssen Gesetze und Kontrollen her“, so Corneth. Deswegen befürwortet er auch die Entwicklung in Berlin, wo die Kommune mittlerweile Planungsrecht habe, was als wichtiges Instrument das Vorkaufsrecht der Stadt für viele tausend Wohnungen beinhalte. Auch Josef Wirges, der Bezirksbürgermeister von Köln-Ehrenfeld, pflichtet Corneth hier bei. Er favorisiert eine Milieuschutzsatzung, mit der beispielsweise das Gelände, auf dem sich auch das Cinenova-Kino befindet, als Gewerbegebiet ausgewiesen werden könne. Dadurch könnte verhindert werden, dass der ausländische Investor hier wie gewünscht Studentenwohnungen errichtet. Auch andere wichtige Einrichtungen, die Ehrenfeld ausmachen, wie beispielsweise das Restaurant Herbrand‘s, könnten dadurch geschützt werden. Für Martina Borck, Geschäftsführerin des Cinenova, steht das Problem seit 2015 auf der Tagesordnung, als das Areal von der Aachen-Münchener verkauft wurde und der neue Besitzer nur noch auf Gewinnmaximierung aus ist. Mit Räumungsklagen und zusätzlichen Schikanen sollen die Kinobetreiber gezwungen werden, ihren Mietvertrag vorzeitig zu kündigen. Aber Borck zeigt sich angesichts der in kürzester Zeit mit einer Petition gesammelten 19.000 Unterstützerunterschriften optimistisch: „Wir werden jedenfalls weiterkämpfen, dass wir hierbleiben können.“
Auch Martin Schmittseifer von „Jack in the Box e.V.“ weiß, dass unangreifbare Hedgefond-Firmen für die Problematik verantwortlich sind. Auch in Köln habe sich mit „SwissLife“ ein großer Pensionsfond für rund 240 Millionen Euro Wohnraum gekauft. Künftig müsse man darauf achten, dass eher gute als große Investoren in der Stadt zum Zuge kommen. „Ein städtebaulicher Vertrag mit derart geringen Vorgaben wie in Ehrenfeld wird es in dieser Form in Zukunft sicherlich nicht noch einmal geben“, ergänzte Schmittseifer und konstatierte damit, dass auch die Stadt Köln aus ihren Fehlern gelernt habe. Hanswerner Möllmann kämpft bereits seit acht Jahren in der Bürgerinitiative Heliosgelände in Ehrenfeld. Ihn habe die „Komplexität der Zusammenhänge, die im Film deutlich wurde, regelrecht geflasht“. Er ist mehr denn je der Meinung, dass bürgerliches Engagement wichtig sei und dass auch die Politik ein Stückweit in die Entwicklungen eingreifen müsse. „Der Markt richtet es nicht, der Markt richtet es zugrunde“, brachte Möllmann die Zusammenhänge auf den Punkt. Zum Abschluss pochte Bezirksbürgermeister Wirges darauf, dass man in Köln nicht nur 30%, sondern 70% geförderten Wohnungsbau benötige. Eine Lösung könne auch darin liegen, eigene Wohnungsbaugenossenschaften ins Leben zu rufen, wie die Beispiele von Hilden und Freiburg bereits erfolgreich gezeigt hätten. Wirges schloss mit den Worten, dass es wichtig sei, „das Grundrecht auf Wohnen endlich wieder in den Griff zu bekommen.“
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