
Waltz with Bashir
ISR/F/D 2008, Laufzeit: 87 Min., FSK 12
Regie: Ari Folman
Darsteller: Sprecher: Ari Folman, Ori Sivan, Shmuel Frenkel, Roni Dayg, Dror Harazi
Der Regisseur Ari Folman hat einen wiederkehrenden Alptraum. Als er der Ursache auf den Grund gehen will, konfrontiert ihn das mit seiner Zeit als Soldat in der israelischen Armee.
Nach zahlreichen Dokumentarfilmen und zwei Spielfilmen legt der israelische Regisseur Ari Folman mit „Waltz with Bashir“ einen ungewöhnlichen Zwitter vor: Zum einen handelt es sich um eine Untersuchung des Massakers von Sabra und Schatila, das christliche Phalange-Milizen 1982 in dem libanesischen Flüchtlingslager verübten. Der Film dokumentiert die Recherchearbeit inklusive zahlreicher Interviews. Zugleich liefert der Film aber auch Traumsequenzen und in Rückblenden Folmans Erinnerungen an seine traumatische Armeezeit, die nicht selten in surreale Bilder aufgehen. Um bestehende Kategorien vollends zum Einsturz zu bringen, ist der gesamte Film gezeichnet – ein Zeichentrickfilm.
Gleitendes grafisches Erzählen
So überraschend das zunächst klingt – es lag in der Luft, speziell bei einem Thema des Nahen Ostens. Bereits 1996 veröffentlichte der amerikanische Zeichner Joe Sacco „Palästina“, eine Comicreportage, die die Bedingungen in den palästinensischen Flüchtlingslagern untersuchte. Vor ein paar Jahren verband Marjane Satrapi mit „Persepolis“, ihrer autobiografischen Geschichte über den Iran, dokumentarische Geschichtsstunde mit persönlichen Alltagserlebnissen. Im letzten Jahr verfilmte sie ihren Comic äußerst erfolgreich als Zeichentrickfilm (Folman macht es andersherum: Der Comic zu seinem Film erscheint Anfang nächsten Jahres). Es gibt also einige Vorbilder grafischer Erzählungen, die Politisches dokumentarisch wiedergeben. Erst im letzten Jahr ist der Comic „Blutspuren“ von Rutu Modan erschienen. Die israelische Zeichnerin erzählt darin vom gewöhnlichen Alltag der israelischen Jugend, deren Leben jedoch täglich von Bombenattentaten überschattet wird. Hier fällt Politisches mit Privatem zusammen. Es gibt einen guten Grund dafür, dass sich diese Art des Erzählens für die genannten Themen anbietet. Mit dem grafischen Erzählen ist man in der Lage, komplexe und widersprüchliche Sachverhalte zu vereinfachen beziehungsweise symbolisch und assoziativ zu erfassen, ohne Realismus gegen Poesie ausspielen zu müssen. Die Übergänge vom Einen zum Anderen gelingen im animierten Film so gleitend wie kaum anderswo. Ari Folman schwärmt geradezu von der kompletten Freiheit durch die Realisierung des Stoffes als Animationsfilm, der im Übrigen von Anfang an als solcher geplant war. Und er betont, dass „Waltz with Bashir“ nicht auf Rotoscope-Verfahren beruht, also das auf Projektion basierte Nachzeichnen der gefilmten Bilder, wie es beispielsweise bei „Waking Life“ und „A Scanner Darkly“ von Richard Linklater der Fall war. Folmans Drehbuch wurde zwar rudimentär mit Schauspielern im Studio durchgespielt und auf Video aufgenommen, das Filmmaterial diente aber nur als Orientierung, so wie auch Comiczeichner gerne Fotografien als Grundlage ihrer Arbeit verwenden.
Kriegstrauma als Traum
Doch ein großer Teil des Films spielt sich im Fantastischen ab. Wenn Ari mit seinen Interviewpartnern spricht, um das Trauma aufzuspüren, das er als sich am Massaker mitschuldig fühlender israelischer Soldat erfahren hat, sehen wir eine gewöhnliche Gesprächssituation. Die Szenen der Recherche gleiten aber immer wieder ab in Aris Erinnerungsarbeit, die surreale visuelle Formen annimmt. Das posttraumatische Stresssyndrom, unter dem Ari leidet, ist eine normale Reaktion auf ein furchtbares Ereignis. Bei Ari äußert es sich in einem immer wiederkehrenden Alptraum. Als er den Hintergründen seines Traumas näher kommt, versucht ihn seine Erinnerung immer wieder in die Irre zu führen – abzulenken. Das ist nicht der einzige Moment, in dem im Film ein Vergleich zur Shoah gezogen wird. Folman, der die vierjährige Arbeit am Film seine Therapie nennt, findet für dieses Trauma die richtigen Bilder, die nicht realistische Bilder sein müssen. Eine realistische Abbildung könnte daneben nur zum pathetischen Schauerkino werden. Stattdessen stellt er sich der Absurdität des Krieges, wie es nur wenige Antikriegsfilme bislang vermochten (Jean Luc Godards „Les Carabiniers“ gelang dieser Tanz). Folman zeigt den Krieg so, dass man nichts gemein haben will mit ihm. Hier gibt es nichts Heroisches: keine Beschwörung von Kameradschaft, keinen hehren Freiheitskampf und natürlich auch keine Erfurcht erweckenden Bilder von Kriegsmaschinerie. Der Protagonist gerät gleich im ersten Einsatz unvorbereitet in eine absurde Situation voller Blut und Leichen, ohne dass er irgendwelche Hintergründe davon kannte. Als nächstes gerät er in einen Hinterhalt, in dem alle seine Kameraden erschossen werden, der Rest der Einheit flieht und lässt ihn allein und hilflos zurück. Kriegsmythen werden in „Waltz with Bashir“ sicherlich nicht gestrickt. Was ein Kritiker wohlmeinend aber verfehlt kindlichen Cartoon-Stil nannte (kindlich ist der Zeichenstil nun wirklich nicht und mit Cartoons hat der Film ganz objektiv nichts zu tun), ist in Wahrheit eine wie in Zeitlupe durch Raum und Zeit gleitende Traumreise, die zu einer Reise ins eigene Ich wird. Krieg als Trauma kann man kaum adäquater erfassen.
(Christian Meyer)

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