Donnerstag, 17. Oktober: Unter dem Label „Artist Talks“ hatte man am Donnerstagnachmittag im Wallraf-Richartz-Museum in Köln Gelegenheit, Werkstattgesprächen mit vier der diesjährigen Preisträger des Film Festival Cologne zu lauschen und sich im Anschluss mit eigenen Fragen an den Gesprächen zu beteiligen. Nanfu Wang, ausgezeichnet mit dem Phoenix Preis für den besten Dokumentarfilm, und August Diehl, später mit dem International Actors Award prämiert, machten mit jeweils rund 45minütigen Interviews den Anfang. Ab 15 Uhr stand dann Regie-Legende Abel Ferrara ("Bad Lieutenant") Rede und Antwort, der mit seinem neuesten Film „Tommaso“ auch im Festivalprogramm präsent war. Der US-italienische Filmemacher, der mittlerweile mit Frau und kleiner Tochter in Rom ansässig ist, trotzte den Gegebenheiten der Location und führte das Interview mit Filmkritiker Daniel Kothenschulte in unverkrampftem Rahmen vor der Bühne im Stehen. So war der Regisseur näher am Publikum, dessen Fragen und Anmerkungen ihm ebenso wichtig waren wie das geführte Filmgespräch Kothenschultes. Ferrara berichtete von einschneidenden ersten Filmerfahrungen mit Werken von Scorsese und Bertolucci, die für ihn als Filmstudent die Messlatte direkt hoch angesetzt hätten.
Auch, wenn er selbst mit interaktiven Kinoerlebnissen groß geworden sei, habe er ein entspanntes Verhältnis zu den Sehgewohnheiten unserer Tage. „Es stört mich nicht, wenn jemand meine Filme auf dem Monitor seines Smartphones anschaut. Die Kraft des Filmemachens ist auch auf noch so kleinen Bildschirmen und auch noch in Schwarzweiß spürbar“, erläuterte Abel Ferrara. Mit Schauspieler Willem Dafoe verbindet ihn eine langjährige Arbeitsgemeinschaft, in Rom sind die beiden darüber hinaus fast Nachbarn. Da sich die beiden sehr gut kennen, war es naheliegend, dass Ferrara Dafoe in der autobiografisch angehauchten Rolle in „Tommaso“ besetzte. Mit den Hollywood Studios will Ferrara nichts mehr zu tun haben, nachdem er vor 30 Jahren mit einem Remake der „Invasion der Körperfresser“-Geschichte dort wenig erbauliche Erfahrungen gemacht habe. Für die anwesenden Filmstudenten hatte Ferrara folgenden Rat: „Der Regisseur ist das schlagende Herz einer Filmproduktion. Trotzdem ist das Ganze eine Gemeinschaftsarbeit, das wird sich nie ändern. Folgt euren Visionen und eurer Fantasie, und seid in der Lage, diese in die Tat umzusetzen.“
Im nächsten Block sprach Nicolas Winding Refn („Drive“) über seine illustre Karriere. Der gebürtige Däne war in einem Künstlerhaushalt aufgewachsen und mit seiner Familie bereits im Alter von acht Jahren nach New York ausgewandert. Da ihm seine Mutter immer gesagt habe, er sei ein Genie, hätte es ihm nie an Selbstvertrauen gemangelt. In der Tat hat er sich bis heute eine gewisse süffisante Arroganz bewahren können, die Teil seiner öffentlichen Person geworden ist. Winding Refn ist ein eifriger Nutzer sozialer Netzwerke und hat das Potenzial erkannt, das sich darin verbirgt. „Picasso und Dalí waren die ersten, die verstanden haben, dass Kunst, der Künstler und die Medien miteinander existieren müssen. Sich selbst als Marke zu verkaufen und sich dabei zu objektifizieren ist der Schlüssel zum Erfolg. Kreativität ist ohnehin die Bloßstellung des Künstlers selbst“, erklärte Nicolas Winding Refn beim „Artist Talk“. Auf seinen Lorbeeren, die er mit seinem Filmdebüt „Pusher“ 1996 direkt ernten konnte, hat sich der Filmemacher jedoch nie ausgeruht. Mit den meisten neuen Filmen wollte er immer wieder neue Richtungen einschlagen und hat damit auch schlechte Kritiken und Ablehnung in Kauf genommen. „Unsere Gesellschaft giert nach dem schnellen Erfolg, ein Scheitern ist keine Alternative. Am Ende geht es nur um das Geld. Wenn man mit einem Film aber kein Geld verliert, wird es sich am Ende immer wieder auszahlen und man wird die Gelegenheit erhalten, wieder etwas Neues zu wagen“, so die Erfahrungen Winding Refns in der Filmindustrie. Auch mit seiner letzten Arbeit, der Serie „Too Old to Die Young“ für ein Streamingportal, hat er Grenzen ausgetestet. „Alles, was man im Medium Fernsehen eigentlich nicht macht, habe ich trotzdem ausprobiert“, so Winding Refn. Unter anderem für diese Innovationslust wurde er nun mit dem „Filmpreis Köln“ ausgezeichnet.
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