Nicht einfach war es, einen leidlich nahtlosen Übergang von der Kölner Offenbach-Hype 2019 zum Beethoven-Jubiläum 2020 in Bonn hinzubekommen. Die Kölner Offenbachgesellschaft inszenierte dazu eine Staffelstab-Übergabe auf einem Rhein-Schiff, und das „Zillchen“, die Bühnengemeinschaft Cäcilia Wolkenburg, aktivierte noch einmal ihren Baas, den Chef alias Jürgen Nimptsch, als Offenbach aus ihrer gleichnamigen und sehr erfolgreichen Produktion des Vorjahres. Der lugte gleich zu Beginn als Kölner Komponist hinter dem Vorhang raus und übergab dem Beethoven, gekleidet wie auf dem berühmten Bild von Joseph Stieler, eine 200-Jahre-Geburtstagstorte. Und musste sich dann rasch umziehen, um den windigen Gefängnisdirektor Eckstein zu spielen und zu singen. Aber warum denn nicht 250 Jahre?
Es ist schon ganz erstaunlich, was Lajos Wenzel, Cäcilia-Autor und Regisseur, immer wieder einfällt. Hatte er im Offenbachjahr die Erfindung des Can Can thematisiert, wo Frauen mit Krampfadern eine Kneippkur machten und dazu ihre Röcke lüfteten, nahm er sich im Beethovenjahr die berühmte und einzige Oper des Bonners vor und machte daraus eine turbulente Bühnenshow – wenn auch immer wieder knapp am Original-Libretto vorbei.
Denn die Geschichte spielt eigentlich in Spanien, wo jemand ohne Gerichtsverfahren eingekerkert ist und sogar umgebracht werden soll, damit der Minister bei der anstehenden Überprüfung davon nichts merkt. Aber die Frau des Gefangenen verkleidet sich als Mann, um dem geliebten Gemahl zu helfen. Eine echte Befreiungsoper also, die jüngst in der Bonner Oper sogar als Erdogan-Anklage ge- oder auch missbraucht wurde. Flugs hatte Lajos Wenzel als Gefängnis den Klingelpütz in Köln ausersehen, die ganze Geschichte in die 68er, die Zeit der Jugend-Revolte verortet – darum auch die Torte zum 200sten. Aus dem Ehemann Florestan (Johannes Fromm) wird „Bömmel“, und die jetzt doppelt verkleidete Ehefrau (Dirk Pütz) ist „Leo-Nora“. Doppelt, weil beim Zillchen der eherne Grundsatz besteht: „Keine Weiber auf der Bühne.“ Also erst als Frau umziehen, und danach als Mann. Puhh.
Apropos Bömmel: Ebenfalls haben sich die Black Fööss, Ur-Gruppe des Kölner mundartlichen Karnevals, in diesem Jahr, also vor 50 Jahren, gegründet; sie stehen inzwischen seit dieser Zeit auf der Bühne. So hat der Autor das Jubiläum und die Bandgründung prima kombiniert, Beethoven und den Gitarristen „Bömmel“ Lückerath, ein langjähriges Bandmitglied. Ludwig Van (Henning Jäger) war auf dem Weg nach Bonn, wo sein 200. Geburtstag gefeiert werden sollte, schaute aber dumm aus der Wäsche, als er in Köln aus der Kanalisation gekrochen wa, und das ausgerechnet vor dem Klingelpütz mitten im Getümmel rundum des sagenumwogenen ehemaligen Stadtgefängnisses am Hansaring. Die Strippen im Hintergrund zieht der korrupte Gefängnisdirektor, der den klassischen Kölner Karneval vor der dubiosen Meute schützen möchte, ein anderes Mädel verliebt sich in den vermeintlichen schmucken jungen Kerl, die allgemeine Verwirrung nimmt zu. Die sehr originell gekleidete Hippies (Kostüme von Judith Peter) fahren in einem echten alten orangen VW-Bus vor und qualmen alles was brennbar ist. Und demonstrieren lautstark für ihre Freiheitsbewegung, für offene Liebe, für freies Rauchen, für ihre Musik.
Thomas Guthoff hat hier einen wunderbaren Cocktail an Musik kreiert, eine spritzige Nummern-Revue, bestehend aus Original-Beethoven-Zitaten, Fööss-Liedern, und Themen quer durch die klassische Musikgeschichte und Schlager der 70er, von Abba bis zum Musical. Alles gerecht verteilt, ohne Bevorzugung einer einzelnen Richtung; man musste aber schon genau hinhören. Und auch Beethoven kommentierte immer mal wieder zum besseren Verständnis der Handlung.
Dirigent Bernhard Steiner, sonst bei den Bayer-Philharmonikern zu Hause, war erneut in Hochform und animierte das große Orchester der Bergischen Symphoniker zu einem sehr lebendigen und präzisen Sound. Mit von der Partie waren auch wieder die Rocker der „Westwood Slicker“. Nur schade, dass Dirigent und Musiker hinter der Bühne – bis auf eine kleine Szene – unsichtbar blieben.
Nach der Pause ging es weiter, jetzt in der Blech (im Gefängnis). Natürlich ertönt das berühmte Fidelio-Sextett, wenn auch originell modifiziert. Auch der Gefangenchor wird in hoher musikalischer Güte gesungen wie all die vielen Arien und Chöre. Nicht umsonst hat der KMGV international einen blendenden Ruf; aber auch tanzen können die Herren ganz hervorragend. Zum Schreien komische Ballettszenen, witzige Dialoge in „abgespecktem“ Kölsch, traumhafte Slapstick-Szenen, listige Anspielungen auf die lokale Politik mit Intrigen und Klüngel – das alles ist kaum gleichzeitig zu erfassen bei rund hundert singenden und tanzenden Akteuren auf der Bühne. Leider waren viele Aufführungen bereits vor der Premiere ausgebucht – ein untrügliches Zeichen des guten Rufes vom „Zillchen“. Aber es gibt eine TV-Ausstrahlung am 22. Februar im WDR.
Ein Knüller war gegen Ende die Szene, wo man dem völlig ertaubten Beethoven ein Hörgerät verpasst hat und ihm so per Schallplatte seine eigenen Werke vorspielen konnte; großes Kompliment hier für die präzise Synchronisation mit dem Orchester So verwandelte sich der Muffkopp, Muuzepuckel und Griesgram, wie er beschimpft wurde und der er ja offensichtlich auch war, in einen fröhlichen Rheinländer, der nur den einen Fehler gemacht hat, den Fidelio in Spanien und nicht am Rhein spielen zu lassen. Und der den frisch gegründeten Black Fööss den Rat gibt, nur in der Muttersprache, also auf Kölsch zu singen. Und die haben das bis heute sehr erfolgreich beherzigt. – Fazit: Ein rundum toller Abend, gut auch für ein paar Tränchen, und mit ganz viel Kölschem Herz.
„Fidelio am Rhing“ | R: Lajos Wenzel | bis 25.2. | Oper Köln | 0221 221 284 00
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