Während wir in der documenta-Halle in Kassel 2012 auf Julie Mehretu warteten, saß eine bescheidene, alterslose Etel Adnan auf der Fensterbank vor den Räumen und baumelte unbeschwert mit den Beinen, und sofort war die Welt etwas anders. Die Sensation dieses Ortes waren ihre Bilder, die trotz ihrer Kleinheit einen ganzen Raum mit hellem Leuchten, Kolorit und der Intensität ihres Auftrags erfüllten. Frisch und unverbraucht bedeckten knappe Farbblöcke die Leinwände, hielten sich in der Balance und oszillierten zwischen abstrakter Malhandlung und landschaftlicher Erfahrung.
Damals war Etel Adnan nur als Dichterin berühmt. 2021 ist die aus Beirut stammende, lange in den USA und Frankreich ansässige Kosmopolitin im Alter von 96 Jahren gestorben und seither wird sie erst recht auch als Künstlerin verehrt. Derzeit ist eine Werkschau in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf zu sehen, aber der Funken will nicht mehr so recht überspringen. Alles wirkt gesettled und kunsthistorisch klassifiziert. Jedes Bild ist als Kostbarkeit für sich gehängt, dazu kaum chronologisch, was andererseits Sinn macht, denn eine Entwicklung gibt es in der Malerei von Etel Adnan nur bedingt. Indem außerdem Leporellos und Zeichnungsblöcke sowie Wandteppiche und eine Keramikwand gezeigt werden, verdeutlicht sich der Austausch von Zeichen der arabischen und der westlichen Welt weiter. Der Pinselstrich bleibt, mitunter als Faktur, beweglich, ineinander verzahnt oder aufeinander aufsetzend, dann wieder gegeneinander gesetzt. Einige Formmotive kehren in elementarer Reduktion wieder, etwa der Mount Tamalpais in Kalifornien. Man sollte diese Bilder auch als gesellschaftliche Statements verstehen, die vor spezifischen Erfahrungen von Frieden und Krieg, sozialen Verwerfungen und Flucht entstanden sind. Vor allem geht es um Heimat und die Suche nach Identität, vorgetragen mit den Mitteln der Farbe und des händischen Auftrags mit dem Pinsel, der Dramatik von Farbfeldern auf engem und doch so weitem Raum zueinander: Noch privater, emotionaler und öffentlicher, sachlicher zugleich kann Malerei kaum sein.
Etel Adnan – Poesie der Farben | bis 16.7. | K20 Kunstsammlung NRW in Düsseldorf | 0211 838 12 04
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