Aus Quartett werde Trio: Der stark gefragte norwegische Gitarrist Eivind Aarset (57) tourt als Eivind Aarset 4tet mit Audun Erlien (41) am Bass, Erland Dahlen (47) am Schlagzeug und theoretisch Wetle Holte (45), einem weiteren Drummer mit allerlei Aufgaben, dessen Abwesenheit Aarset im Stadtgarten-Konzertsaal nach den ersten Stücken nur mit einem vagen Hinweis auf einen „change of plans“ kommunizierte.
Aarset hat in verschiedenen Konstellationen und als Session-Musiker eigentlich alle Betriebsformen der Gitarre durchgenommen und verinnerlicht, er konnte und wollte sich aber nicht endgültig auf eins festlegen. Stattdessen hat er sich der Suche nach neuen Klängen und freien Musikformen verschrieben. Optisch erinnert er erstmal an Eric Clapton, da braucht es kaum noch die innige Beziehung zur E-Gitarre. Er sitzt schwarz gekleidet mit einem etwas ramponierten Instrument vor einem Gerätekoffer, auf dem alle erdenklichen analogen und digitalen Effektgeräte und Regler aufgereiht sind, die den Rig zu seinen Füßen noch wesentlich ergänzen – so stellt man ihn sich auch zuhause vor, wenn er experimentiert. Hier ein bisschen drehen, dort ein bisschen, dann ist der Klang für den Moment richtig. Aber auch hier: nichts Endgültiges. Was er an Klängen vorlegt, unterliegt in den langen, dynamischen Stücken ständigem Wandel.
Schon mit den ersten Klängen werden minimalistisch nordische Breitengrade heraufbeschworen. Sanfte Gitarrentöne erheben sich langsam aus dem Nichts und schichten sich zu stabilen Tönen, bis sie durch neue abgelöst werden. Die weiten Klang-Landschaften bestehen fern vom Alltag und erhalten etwa mit Glocken, einem tiefen warmen Bass und vor sich her werkelnden Percussions einen spezifischen Charakter zwischen Natur und Folklore. Statt reiner Klangmalerei herrscht ein hochentwickeltes Bewusstsein für die Wirkung von Klängen. Und auch das norwegische Bewusstsein dafür, was im Jazz und in der Musik schon alles da gewesen ist und nicht mehr wiederholt werden muss. Das Setup der Band ist darauf ausgelegt, allen Instrumenten viele Ausdrucksfarben abzugewinnen. Die Kompositionen sind unkompliziert und unaufgeregt. Das Improvisatorische obliegt im Wesentlichen Eivind Aarset, der dabei verlässlich den Ideen und Stimmungen hinter den Stücken nachgeht, die – vielleicht abgesehen von etwas „new stuff“ an diesem Abend – bei ECM und Jazzland veröffentlicht sind.
Aus den grundlegenden Szenenbeschreibungen erhebt sich immer wieder stärker rhythmusbetonte Musik, die zu einem vorbestimmten Muster oder Groove findet und stufenweise an Strenge und Intensität gewinnt. Bei der dominierenden meditativen Stimmung kommen die schnelleren und härteren Fusion-Plateaus umso mehr zur Geltung, wo die Musiker mit Beimischungen von Rock bis Metal den Saal erbeben lassen. Diese mitreißenden und bejubelten Höhepunkte wirken verdient und substanziell – die beständige Kontrolle, die die drei über ihre Instrumente und das Material haben, beeindruckt. Etwas Improvisation sicher, Zufälle: nein. Wenn Aarset sich gelegentlich als Kind der 70er Jahre erweist, ändert das nichts am modernen Rahmen, den Dahlen am Schlagzeug setzt. Nach den Höhenflügen können die Stücke auch wieder zur Ruhe finden oder nahtlos zum nächsten springen, wo man sich wundert, wie genau das Timing immer klappt. Dass der erfahrende Studiogitarrist Aarset die ganze Zeit einfach dasitzt, als würde er zuhause ein wenig vor dem Computer jammen, stört nicht. So sieht Musikproduktion heute aus, und im Prinzip wurde hier mit mobiler Studiotechnik gearbeitet, die das Klangspektrum bereichert und – abgesehen vom unersetzbaren Fehlen Wetle Holtes – an CD-Einspielungen erinnert. Nicht oft wird auf der Bühne so fleißig reproduziert. Ab und zu stand Aarset auf, um sich ergeben beim Publikum zu bedanken und seine Musiker und den Tonmischer namentlich vorzustellen.
Nicht nur für Gitarrenspieler gibt es viel Technik abzuschauen – Aarset gesteht ihnen auch den ein oder anderen Leckerbissen zu, wenn es gerade irgendwie passt –, sondern der flinke und dynamische Drummer Erland Dahlen, der auf weit über 100 Platten zu hören ist, drei Soloalben herausgebracht hat und viele Einflüsse mitverarbeitet, hat gerade ohne den zweiten Drummer, mit dem er sich alle Stücke aufteilt, den kompliziertesten Job. Er operiert am Rande der menschlichen Möglichkeiten. Wenn man nebenbei Xylophon, Samples und Rhythmusmaschine bedienen muss, dazu Percussions hineinmischt, kann nicht in jedem Moment für das Schlagzeug da sein, solange keine Lücken entstehen. Die Ausdrucksfähigkeit seiner Apparatur steht dem Gitarrenspiel kaum nach und die rhythmusintensiven Stellen gehen bis in den Bereich des Waghalsigen, womit sich aber der Top-Bassist Erlien nie in Verlegenheit bringen lässt, der in solchen Momenten – wohl auch aus Erleichterung, dass Dahlen den Abend mehr als rettet – zu Grinsen anfängt. Zugespielte elektronische Drum-Patterns, wohl von ihm programmiert, dienen auch mehrfach als Ausgangspunkte von Stücken.
Danish Vibes
Am folgenden Abend (8.11.) sitzt das Publikum im 45-Grad Winkel, kann links auf der großen und rechts auf der kleinen Bühne dänische Musik bei der Showcase-Veranstaltung „Danish Vibes“ begutachten. 20 Minuten haben die vier ungleichen Ensembles jeweils Zeit, ihre Live-Programme vorzustellen und einen kleinen Eindruck von der dortigen Musikszene zu geben. Dabei ist vorab klar: Dem einen Zuschauer gefällt jenes, dem anderen eher dies. So richtig dänisch beginnt es dann auch mit Basco feat. Jullie Hjetland, ein seit 2004 bestehendes dänisch-schottisches Quartett plus Sängerin, die für ihr Projekt „Nordic Visions“ tragische und märchenhafte Geschichten aus der nordischen Erzähltradition mit traditionellen Instrumenten zu spannungsvoller Folkmusik verarbeiten, die zuhause auch schon ausgezeichnet wurde. Ihr toll arrangierter Titel „Litti Kirsti“ ist live großartig und kommt gut an.
Es folgt Janne Mark, die die Kirchenlied-Tradition im Jazzstil erneuert und unter anderem eine Eigenkomposition zu Ehren von Hildegard von Bingen vorträgt. Übrigens natürlich in dänischer Sprache und von den erstklassigen Instrumentalisten mitgetragen, die aus der Langsamkeit des Sets eine Tugend machen. Der Kontrabassist und Bandleader Kenneth Dahl Knudsen wird anschließend als Vielreisender anmoderiert, dessen Ensemble mit einem nach einer Marokkoreise komponierten Stück aus dem zuvor eher Altbewährten herausfand. (Sein Ensemble klebte auch ein wenig an den Notenblättern, angeblich handelte es sich vorwiegend um eingesprungene Musiker.) „Wenn ich in ein anderes Land komme, suche ich zuerst Kontakt mit den lokalen Musikern“, erklärt er. Auf dem aktuellen Album „Tété“ habe er im Sinn gehabt, den „fun in life“ wiederzuentdecken, wie es seine Mutter vor ihrem Tod angeregt habe. Zu Abschluss wird noch ein berührendes „Lullaby“ gespielt.
Dass für die letzten 20 Minuten noch eine Überraschung oder ein Höhepunkt vorgehalten wird, ahnt man zu diesem Zeitpunkt. Mambe & Danochilango schießen dann mit weltmusikalisch informiertem Party-Kuduro und Cumbia-Rap etwas übers Ziel hinaus. Das von einem radiotauglichen Backingtrack und einem Perkussionisten unterstützte Kopenhagener Duo mit dem barfüßigen kolumbianischen Energiebündel Mambe muss es qua seiner musikalischen Ausrichtung als seine Aufgabe sehen, das gemischte Sitzpublikum mit tanzbaren Produktionen wie „Levanta la mano“ in kurzer Zeit von 0 auf 100 zu bringen. Seit einer EP im Jahre 2015 wird neben weltweiten Live-Gigs ein Album vorbereitet, vielleicht klappt damit ja auch der Durchbruch. Den Loudness War im Stadtgarten haben sie auf jeden Fall gewonnen. Das „Danish Vibes“-Programm soll am 22.11. auch in Hamburg präsentiert werden mit dem Ziel, dänische und deutsche Musiker und Branchenprofis näher zusammenzubringen und den von deutschen Konzertagenturen und Labels vertretenen Ensembles neue Möglichkeiten zu eröffnen.
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