Ein Putzeimer und ein Schrubber stehen noch im Eingang des MAPh, des Museums für Analog-Photographie. „Ich habe einen Moment lang gedacht, alles würde vernichtet“, erzählt Wim Cox, der sich eine Woche zuvor den Wassermassen gestellt hat, die nach einem Unwetter über die Treppenstufen ins Innere seines Museums flossen.
Vielen Kölnern ist dieser Ort noch als Treffpunkt der Kunstszene bekannt; früher traf man gut und gerne 200 bis 300 Besucher im Klingelpütz 29 an, gleich gegenüber vom Garten des Kardinals. Die Menschen füllten nicht nur den Hinterhof, sondern auch Gehsteig und Straße, jeder wollte die launischen Eröffnungsreden von Wim Cox hören, wenn er wieder einen Künstler mit seinem Werk vorstellte, der nicht die große Aufmerksamkeit des Kunstbetriebs bekam. Über 15 Jahre hinweg öffnete Cox für mehr als 50 Ausstellungen den „KunstKellerKlingelpütz“, in dem Malereien ebenso wie Plastiken zu sehen waren. Kostenlos stellte er die Räume zur Verfügung. „Die Künstler konnten hier machen, was sie wollten“, erinnert er sich und erzählt von turbulenten Fluxus-Veranstaltungen. Noch heute sind die inzwischen weiß gekalkten Wände mit Nägeln übersät. Oben, in den Atelierräumen des Fotografen, standen derweil die langen Tische, an denen während der Vernissagen kräftig der Wein floss.
Ein Ort mit Vergangenheit, denn hier existierte die Fotowerkstätte Hugo Schmölz; Vater Hugo und Sohn Karl Hugo waren vor und nach dem Zweiten Weltkrieg die bedeutendsten Architekturfotografen Deutschlands. Wim und sein jüngerer Bruder Paul Cox hatten hingegen als Söhne eines niederländischen Filmemachers in den frühen 60ern ihr Elternhaus verlassen. Während Paul in Melbourne sein Glück fand und zu einem der bekanntesten Filmregisseure Australiens wurde, zog es Wim nach Köln, wo er das Handwerk der Fotografie mit all seinen visuellen Geheimnissen erlernte. Zunächst arbeitete er im Atelier von Schmölz & Ullrich, später übernahm er die Firma und erwarb das gigantische Archiv der Schmölz-Fotografen. Beides liegt heute in den Händen seines Sohnes Maurice.
Warum muss es ein Museum für analoge Fotografie geben? Weil in einer Fotografie die Zeit enthalten ist, und zwar nicht nur die historische Realität jenes Moments, in dem der Auslöser der Kamera betätigt wird, sondern auch jene Zeit, die es braucht, um zu fotografieren und das Material zu entwickeln. „Alles, was heute der Computer erledigt, ist den Prozeduren des analogen Fotografierens entnommen“, erklärt Wim Cox. Licht und Chemie regelten Kontraste, Vergrößerungen oder Bildausschnitte. Ein Geschäft für Spezialisten während der 50er, bei dem ein einzelnes Bild Tage der Bearbeitung bedurfte, um es in der unvergleichbaren Qualität herzustellen, die an diesem Ort Tradition hat. So unterscheidet Cox die Arbeit mit der Kamera denn auch von der Benutzung mobiler Geräte, wenn er sagt: „Das Handy registriert, während man für das Fotografieren zunächst einmal einen Standpunkt suchen muss. Mit der Frage nach der Perspektive beginnt die Kunst der Fotografie.“
Fotobeispiele hat er genug in seinem Museum. Die Besucher wollen ja auch sehen, was die rund 800 Kameras können, die hier seit 2015 ausgestellt werden. Schmunzelnd bekennt Cox: „Ich bin kein Sammler, aber ich kann nichts wegschmeißen.“ Ein nachvollziehbarer Gedanke, wenn der Betrachter diese einäugigen Wunderwerke der Technik sieht. Die älteste ist eine Fotobox aus dem Jahr 1889, und sie ist noch ebenso funktionstüchtig wie ihre Nachbarn. Allein das Filmmaterial für sie existiert nicht mehr. Besucher zeigen sich meist besonders beeindruckt von den Holzkameras und den in Mahagoni gearbeiteten Kassetten, in denen die Fotoplatten aufbewahrt worden sind. Noch in den 70ern arbeitete Cox mit solchen Modellen. Schwerer sind nur die eisernen Plattenkameras, die nur zwei muskulöse Männer bewegen konnten. Ein Besuch im MAPh bleibt auch im Gedächtnis, weil Cox bei einer Führung den technischen Aspekt des Mediums entfaltet und dadurch seine ästhetische Dimension erst so richtig bewusst macht. Wer hier war, hat fortan einen anderen Blick für ein fotografisches Bild.
„Geballter Irrsinn“ mit Pfeffer und Salz, Foto: Wim Cox
Bevor Besucher das Kellergewölbe verlassen, gibt es sogar noch einen Nachschlag. Denn im Grunde gibt es im Klingelpütz 29 noch ein Museum, das mit „geballtem Irrsinn“ aufwartet, wie Cox lachend erklärt. Es handelt sich um das 2007 eröffnete „Pfeffer- und Salzstreuer Museum“. Welche bizarren Formen der menschliche Geist zu erschaffen weiß, wenn es darum geht, Pfeffer und Salz aufzubewahren, ist hier im Wechsel von Entzücken und Fassungslosigkeit erlebbar. Nicht nur Schweine, Hühner, Pinguine oder Kamele stellen ihre Körperformen als Vorbild zur Verfügung, es gibt auch obszöne menschliche Varianten zu bewundern. Eine blauweiße Abteilung beherbergt nur niederländische Gefäße, die fürstlichen silbernen Streuer wirken imposant und an den Designklassikern des 20. Jahrhunderts lässt sich rekonstruieren, wie Abstraktion funktioniert. Aus aller Welt stammen die Gefäße – Wim Cox, der selbst gar nicht mehr sammelt, werden sie von Menschen zugetragen, die sein skurriles Museum begeistert.
Museum für Analog-Photographie | Klingelpütz 29 | Kontakt über wim@coxfoto.de
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