Es hat schon etwas bezeichnendes, die zehnte Ausgabe der c/o pop mit Omar Souleyman beginnen zu lassen. Als dieser das Festival am Mittwoch im Tanzbrunnen eröffnete, in seinen markanten traditionellen Kaftan gekleidet, die Augen durch eine dicke Sonnenbrille vor dem strahlenden Sonnenschein der letzten Sommerstunden Kölns geschützt, scharrten sich die ersten Gäste der Jubiläumsauflage des Kölner Musikfestivals entweder verwirrt oder euphorisch tanzend um die Bühne. Meist ging das eine in das andere über. Und auch wenn man das Gefühl hat, dass die Begeisterung für die Musik des Syrers oft ironisch gebrochen zelebriert wird, scheint er einen Nerv zu treffen.
In seiner Heimat als Hochzeitssänger gestartet und mittlerweile auf den großen Bühnen der Welt zuhause, spielt Souleyman eine Mischung aus arabischer Folklore und EDM. Volksmusik und EDM? Nicht gerade die Mischung, die man als Festival-Opener vermuten würde. Was den Hype um Omar Souleyman genau ausmacht, kann man, wie das bei den meisten Hypes so ist, nicht recht erklären. Sicherlich spielt die politische Lage in seiner Heimat eine Rolle. Aber die Faszination liegt auch in der Musik des sich unpolitisch gebenden Künstlers begründet.
Seine arabischen und kurdischen Liebeslieder spielt er härter und schneller, als man das aus der klassischen arabischen Volksmusik gewohnt ist. Sie werden von seinem Partner am Synthesizer über einen quengelnden Soundteppich geschickt. Man könnte das die Verwestlichung der arabischen Volksmusik nennen. Oder die Arabisierung des EDM? Vielleicht ist es gerade das Kompilieren von arabischen und westlichen Klischeebildern, von Kaftan und Synthesizer, von Volksmusik und EDM, das Souleyman so wichtig macht. Bei all den Diskussionen über kulturelle Konflikte empfindet man es auch als heilsam, einfach zusammen zu tanzen und sich selbst nicht so ernst zu nehmen. Doch die zwei Grundpfeiler von Souleymans Musik, Eklektizismus und Ironie, sollten auch in der Folge eine große Rolle spielen.
Der zweite Act des Abends löste weniger ambivalente Gefühle aus. Moderat, seit Jahren feste Größe in den elektronischen Gefilden, lieferten ab, was man sich von ihnen erwartet hatte. Das Trio, bestehend aus dem DJ-Duo Modeselektor und dem Sänger Apparat (Sascha Ring), überzeugte durch ihre ernsthaft anmutende und monumentale Inszenierung an der Schnittstelle von elektronischer Musik, die von tiefen Bässen getragen wird, und der gefühlvollen Stimme Rings, die dem Ganzen eine poppige Note, aber auch melancholische Akzente verleiht. Selbst das neue Album „III“, welches auf Platte recht glatt und poppig wirkt, gewinnt live durch die elektronischen Ausfransungen und der pompösen Inszenierung neue Qualitäten.
Während der Mittwoch von den beiden Headlinern im Tanzbrunnen bestimmt war, bedeutete der Donnerstag auch der Startschuss des Festivals im Belgischen Viertel rund um den Stadtgarten. Am Vortag konnte hier vielleicht noch Noga Erez von sich reden machen. Doch über 30 Acts in 11 verschiedenen Locations bedeuteten am Donnerstag vor allem die Qual der Wahl. Und so war der Entschluss, auf das Konzert des dritten großen Headliners, AnnenMayKantereit, zu verzichten, die erste schwierige Entscheidung, die getroffen werden musste. Als Kind des Festivals, von den Feuilletons des Republik gefeiert und verrissen, und von ihren Fans vergöttert und in den Olymp der Charts und Preisverleihungen geführt, kann der Band niemand ihre Relevanz absprechen. Doch geht es bei der c/o pop vor allem um die Bands von morgen. Die frischen Verheißungen des Underground. Gab es hier die AnneMayKantereit von morgen zu entdecken?
Die Münchner Band Friends of Gas werden dies sicher nicht sein. Und das ist vielleicht auch ganz gut so. Ihr düsterer und aggressiver Postpunk wird kaum den Gefallen einer an den Charts ausgerichteten Masse finden. Aber für einen dunklen, rauchigen Keller, wie es das Studio 672 um kurz nach 7 bot, ist die Band prädestiniert. Sängerin Nina Walser besticht mit ihrer heiseren und nach 3 Flaschen Whisky klingenden Stimme. Die Texte so mantrahaft wie minimalistisch. Gerade genug um zu spüren, dass die Wut und die Abgefucktheit hier, in den so meisterhaft reduzierten, Punshline-artigen Sätzen und Stücken ihre maximale Plausibilität erreichen. Und wie perfekt das alles auch inszeniert wird! Sängerin Walser blickt während ihres Vortrags stur auf den Boden und macht sich kaum die Mühe ein verschüchtertes „Danke“ zwischen den Stücken in das Mikro zu flüstern. Im Gegensatz dazu der stierende Blick von Gitarrist Thomas Westner gen Decke und die geradlinigen Bassläufe von Martin Tagar, dessen Chanel-Shirt, so schön konträr zur Musik stehend, das Gesamtbild der Band mit einem erhobenen Mittelfinger abrunden.
Fast schon logisch, dass die Band Somme Partel, die wenig später schräg gegenüber im Zimmermanns spielten, gegen dieses erste Highlight nur alt aussehen konnte. Bestehend aus australischen und deutschen Musikern, schafften sie es trotz nöligem Gesang, der an King Krule erinnerte, und einigen Ausflügen in härtere Gefilde nicht, ihrem im Endeffekt recht braven und glatten Indie-Pop wirkliche Ecken und Kanten zu verleihen.
Auf dem Weg zu Voodoo Jürgens, der in der Volksbühne am Rudolfplatz spielen sollte, ging es zum Kölner Trio Sparkling auf der Open-Air-Bühne am Hans-Böckler-Platz. Und das lohnte. Messerscharfe Riffs, krachende, rasende Drums und hingerotzte, gesellschaftskritische Lyrics, die gerne auch mal gerappt werden, ergeben ein fulminantes Live-Erlebnis. Irgendwo zwischen britischem Post-Punk und Hip-Hop kann man das Ganze dann ansiedeln. Oder man nimmt sich ein Vorbild am Kölner Publikum und vergisst die Schubladen und tanzt einfach zu dem frischen und packenden Sound der Band.
Auf die Idee Voodoo Jürgens in die Volksbühne am Rudolfplatz zu stecken, muss man auch erst mal kommen. Zu groß scheinen die Unterschiede auf den ersten Blick: Hier das feine, schnieke und bürgerliche Ambiente des Theaters, dort der Vokuhila-tragende Sänger mit dem Goldkettchen, der mit seinem Wiener Schmäh die Halbwelt Österreichs besingt. Und doch geht das Konzept voll auf. Für den gemeinen Piefke sind die Texte kaum zu verstehen, und vielleicht macht genau das den Reiz dieses Schmäh-Revivals im Schlepptau von Wanda und Bilderbuch aus: die neu gefundene Faszination für die Exotik des fernen Landes hinter den Alpen. Jedenfalls wissen diese Österreicher wie man eine Show auf einer solch altehrwürdigen Bühne anzugehen hat: Ohne Respekt und mit viel Leidenschaft und Energie. Und so lösten sich die Gegensätze an diesem Abend auf, an dem Voodoo Jürgens mit seinen schnappsgetränkten Millieu-Studien irgendwo zwischen Schlager und LoFi-Pop das Theater zu begeistern wusste. Prosit!
Die Sonne war längst untergegangen als zum Ende des Abends das Gloria Theater lockte. Hier sollten die Größten von den Kleinen spielen. Solche Acts, die kurz vor dem Durchbruch stehen und sich schon eine kleinere, wenn auch verschworene Fangemeinschaft erarbeitet haben. Dazu zählt auch die Singer-Songwriterin Tash Sultana. In ihrer Heimat Australien ist sie längst ein durch Youtube und Facebook durch die Decke geschossenes Musik-Phänomen. Aber auch in Deutschland wusste sie ihr Publikum zu begeistern. Hauptverantwortlich sind ihre einnehmende Bühnenpräsenz und ihr eklektischer Sound, der von Indie über Reggae, Folk, Soul bis hin zu Hip-Hop und Jazz reicht. Mal beatboxend, dann wieder Syntie- oder Trompete-spielend oder einfach mit Gitarre und Looper bewaffnet, gibt sie die virtuose Alleinunterhalterin auf der Bühne und lässt eine Stimmung aufleben, die nicht mehr weit von Stadionrock entfernt ist. Pop at its best!
Und auch die Franzosen von La Femme konnten mit ihrem psychedelischen und hypnotischen Sound für Begeisterung sorgen. Auch hier liegt der Schlüssel zum Erfolg im Zusammenbringen vieler Elemente. Irgendwo zwischen Cold-Wave, Punk und Krautrock entsteht ein Konvolut an Verweisen und Zitaten, der als Ganzes eine neue, spannungsreiche und frische Idee von dem gibt, wie Pop im Jahre 2017 auszusehen hat.
Und so gingen die ersten beiden Tage des c/o pop verheißungsvoll zu Ende. Der Freitag mit Bands wie Jadu Heart und James Vincent McMarrow, sowie der Samstag mit Acts wie Woman, Perfume Genius und den zahllosen Bands, die während der Chic Belgique auftraten, sollten zeigen, ob das Festival dem positiven ersten Eindruck gerecht werden konnte...
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