„Welche Superkraft erwerben die Frauen mit fünfzig? Sie werden unsichtbar! Man verschmilzt mit der Umgebung, wird eine Silhouette und dann zu einem Nichts. Gestern Fantasie, heute Phantom.“ Seite um Seite klagt die Erzählerin in Camille Laurens‘ neuem Roman „So wie du mich willst“ über die Gleichgültigkeit, mit der die Männer den Blick von den Frauen abwenden, die sich jenseits der Menopause befinden. Dass Camille den gleichen Vornamen wie die Autorin trägt, die sie ersann, gibt ihrer sarkastischen Wutrede eine zusätzlich süffisante Note. Aber angesichts der Wucht dieser Tirade möchte man ihr zurufen: „Alles klar, verstanden, verstanden.“ Dieser scheinbar monomanische Romanbeginn ist jedoch nicht zu unterschätzen, denn die folgende Handlung enthält überraschende Wendungen und steigert sich kontinuierlich in eine subtile Reflexion der Geschlechterverhältnisse unserer Tage.
Ausgangspunkt ist eine Internetbeziehung. Die 47-jährige Camille hat sich auf Facebook gegenüber einem jungen Mann als 24-Jährige ausgegeben. Camille manipuliert geschickt das Begehren des jungen Mannes. Sie weiß, dass Liebe eben auch bedeutet, in der Vorstellung einer anderen Person zu leben. Nur was geschieht, wenn es zu einer Begegnung in der realen Welt kommt? Kann sich eine intellektuelle Beziehung in einer Gesellschaft behaupten, die erbarmungslos aufs Äußere setzt? Illusionslos, aber humorvoll lässt sich Camille auf ein Rendezvous ein.
Im wirklichen Leben zählt Camille Laurens zu den festen Größen der französischen Literatur und ist aktuell Mitglied der Académie Goncourt. Das Sujet, jemanden kalkuliert verliebt zu machen, findet sich schon bei Kierkegaard und Choderlos de Laclos. Aber wie treffend passt er doch in Zeiten von Diversity und Body Positivity. Ohne sich explizit in die Facebook-Konversation zu begeben, erfasst sie zielsicher das Wesen digitaler Kommunikation. Das Beste an diesem Roman ist jedoch die Hellsichtigkeit, mit der Camille Laurens über das Begehren reflektiert. Ohne abgeklärt zu wirken, verfügt sie über eine erfahrene Sprache, die die körperliche Liebe und die Gefühlssensationen, die sie auslöst, zu würdigen versteht, und die doch stets unsentimental bleibt.
Camille Laurens: So wie du mich willst | A. d. Franz. v. Lis Künzli | dtv | 208 Seiten | 23 €
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