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Identitätsfragen
Cartoon: Holtschulte

Bunt, jeck und rechtsblind?

30. August 2018

Zwischen Populismus, Bringschuld und klarem Nein. Eine Spurensuche in Köln

Sie sind wieder wieder da: Rassistische Bemerkungen sind erneut gesellschaftsfähig geworden. AfD-Politiker Björn Höcke bezeichnete das Mahnmal in Berlin für die ermordeten Juden Europas als „Mahnmal der Schande“, und eine rechtspopulistische Partei hat den Einzug in den Reichstag geschafft. Köln ist eine bunte und weltoffene Stadt ist, trotzdem haben auch hier Rechtsradikale Spuren hinterlassen, das Messer-Attentat auf Henriette Reker ist ein Beispiel; der von der rechtsextremen Kölner Bewegung „Pro Köln“ rassistisch geprägte Widerstand aus angeblich städtebaulichen Gründen um das geplante jüdische Museum auf dem Rathausvorplatz ein anderes. Oder die Diskussion um die Kölner Silvesternacht sowie das diskriminierende und irritierende von der Polizei geschaffene Wort „Nafri“, das alle nordafrikanischen Männer unter Generalverdacht stellte.

Köln kämpft seit jeher für ein offenes und tolerantes Miteinander. Eine Institution, die mit kulturellen Veranstaltungen, Dialogen, Bildungsarbeit, Workshops und Seminaren vor allem gegen Antisemitismus und Rassismus kämpft, ist die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V. In den 1950er und 60er Jahren entstanden in Deutschland als Antwort auf die vernichtenden Folgen des zweiten Weltkrieges und des traumatischen Holocausts zahlreiche Initiativen, die sich mit Antisemitismus befassten. Die 1958 gegründete Kölnische Gesellschaft ist eine der ältesten und größten, ist Kölns jüdische Gemeinde doch auch die älteste nördlich jenseits der Alpen und die jüdische Synagogengemeinde mit über 4567 Mitgliedern eine der mitgliederstärksten in Deutschland.

 „Antisemitismus zu bekämpfen, ist ganz klar vor allem aufgrund der deutschen Geschichte immens wichtig: Deutschland hat zwei Weltkriege angezettelt und über sechs Millionen Menschen auf dem Gewissen“, sagt Professor Dr. Jürgen Wilhelm, der seit 20 Jahren nun schon Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft ist. „Wir leben in einer Welt, in der es aktuell leider wieder salonfähig geworden ist, Sätze wie ein Björn Höcke oder Alexander Gauland von sich zu geben, die populistische Vorurteile in den Raum werfen, nur um Stimmen zu erhaschen. Wir wollen mit unserem Dialog vor allem junge Menschen erreichen, um gegen diesen neu aufblühenden Rassismus und auch Antisemitismus anzukämpfen. Oder, um es positiv zu formulieren: eine offene, transparente Gesellschaft zu erhalten.“

Wirft man einen genaueren Blick auf Köln, sind die Stadt mit dem Dom und das Judentum tatsächlich seit jeher eng verwoben: Seit über 2000 Jahren existiert jüdische Kunst und Kultur in Köln. Der jüdische Friedhof, in den Friedhof Melaten eingebunden, der erstmals 1928 Opfer einer Schändung wurde und dessen Trauerhalle 1938 zerstört wurde, lässt einen melancholischen Blick auf die Vergangenheit erhaschen. Das verloren wirkende Straßenschild „Judengasse“ in der Altstadt lässt das einstige jüdische Viertel nur noch erahnen. Die „Germania Judaica“ am Josef-Haubrich-Platz, u.a. vom Schriftsteller Heinrich Böll 1959 gegründet, die „Kölner Bibliothek zur Geschichte des Deutschen Judentums“, ist die größte wissenschaftliche Spezial-Bibliothek zur Kultur des deutschsprachigen Judentums in Europa. Auch wenn Böll, der Gründungsmitglied der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit war, und Bundeskanzler Konrad Adenauer in den 50er Jahren Toleranz predigten, hat auch das klüngelige „Bützchen-Bützchen“-Köln blinde rechte Flecken: Fraglich bleibt, wie es um den aktiven Widerstand gehen den Nationalsozialismus bestellt war. Selbst der Karneval war teilweise antisemitisch gefärbt, sangen die Pappnasen doch damals linientreu und fröhlich u.a. in dem Lied „Hurra, die Jüdde trecke fott“ die erstaunlichen Zeilen: „(...) Mir wääde jetz in Deutschland, Die Jüdde endlich quwitt. (...) Mett dä Jüdde es jetz Schluß, Se wandere langsam uss. (...)“ Immerhin wird all dies im NS-Dokumentationszentrum detailliert festgehalten. Und so blind manche sich auch in der NS-Zeit verhielten, umso akribischer ist offenbar die heutige Aufarbeitung in Köln, etwa im Verein „Arsch huh, ZÄNG, ussenander! Gegen Rassismus und Neonazis“, der viele Künstler vereint.

Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gibt es deutschlandweit inzwischen an über 80 verschiedenen Standorten. Jene in Köln ist die größte im Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Doch warum der Schwerpunkt auf christlich-jüdisch? Dazu sagt Jürgen Wilhelm:

„Bei uns liegt der Kern auf jüdisch zunächst einmal natürlich aufgrund des grausamen Genozids an über sechs Millionen Juden, der ja nun mal leider von Deutschland ausging. Da sehen wir uns in der Schuld. Der Schwerpunkt auf christlich-jüdisch ferner, weil diese beiden Religionen seit Jahrtausenden eng miteinander verbunden sind. Jesus wurde ja von den Christen zu ‚Christus‘ gemacht, er war urspründlich Jude. Die beiden Religionen existieren seit Jahrtausenden und beide glauben an den gleichen Gott. Und leider leider keimt trotz Holocaust und Shoa seit AfD, Höcke und Gauland wieder ein salonfähiger, hochrassistischer Antisemitismus auf. Meistens ist es eine versteckte, teilweise sogar offene und rechtsradikale Judenfeindlichkeit. Es ist dieses Konglomerat aus Rassismus, Antisemitismus und auch angeblicher Israelkritik, auch wenn eine gewisse Stellungnahme zu der israelischen Regierung natürlich durchaus verständlich ist.“

Antisemitimus muss ohne jede Frage bekämpft werden. Jedoch besteht die Gefahr, diesen Widerstand zu instrumentalisieren gegen neu zugezogene Menschen aus dem arabischen Raum, wie es die AfD tut: Angeblich Deutschland vor Antisemitismus bewahren zu wollen, um auf diese Weise Flüchtlinge aus dem Land zu ekeln oder fiese Hetze gegen diese zu betreiben. Auch das ist ja leider Realität: Dass der angebliche Kampf gegen Antisemitismus für die eigenen, rassistischen Machtzwecke im islamfeindlichen Diskurs von populistischen Parteien instrumentalisiert wird. Eine Perversion in der Perversion.

Eine einfache Lösung gibt es aber wohl in punkto blinde rechte Flecken und Interreligiösem  nicht. Im Gegenteil – alles wird immer komplizierter. Wilhelm: „Es ist nun mal so: Ein Gauland bekommt sogar Applaus. Wir wollen junge Menschen erreichen, können aber immer nur einen Teil erreichen. Dass man nicht immer die mediale Aufmerksamkeit erhält wie ein Sarrazin, ist traurig, aber die Realität. Menschen sind empfänglich dafür, wenn man populistische, einfache angebliche Lösungen anbietet, aber die gibt es nicht.“

Funktioniert dieser interreligiöse und interkulturelle Dialog nur zwischen Juden und Christen? Wie steht es um Muslime? Gibt es beispielsweise Projekte mit muslimischen Flüchtlingen? Wilhelm:

„Wir haben keine direkten Projekte mit Flüchtlingen, aber nur, weil das bei uns den Rahmen sprengen würde. Dafür arbeiten wir aber mit vielen Institutionen zusammen, die diesbezüglich etwas tun. Aus meiner Sicht ist es so: 95 Prozent der muslimischen Menschen, die aus Kriegs- und Krisenländern wie Syrien als Flüchtlinge zu uns nach Deutschland kommen, haben keine Intention, Islamismus nach Deutschland zu importieren und hier eine Scharia aufzubauen, wie von der AfD und Co propagiert wird. Das ist ja gar nicht das Motiv. Meines Erachtens sind auch gar nicht die Religionen selber das Problem, sondern vielmehr ihre Radikalisierung sowie politische und wirtschaftliche Motive. Schaut man sich beispielsweise den Konflikt zwischen Israel und Palästina an: ein schwieriger, komplizierter Konflikt. Da sagen die Palästinenser auch nicht: Wir hassen alle Juden, wir hassen die jüdische Religion. Stattdessen regen sich darüber auf, dass ihnen Rechte abgeschnitten werden, über den Gaza-Streifen, über die israelische Siedlungs-Politik. Da gibt es auch keine einfache Lösung. Aber zu sagen: Sieh mal da – nur die Religion ist Schuld, ist zu einfach.“

Ein Projekt, das Flüchtlinge hingegen mit einbezieht ist das bundesweit initiierte Programm „Demokratie leben!“ des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das lokale Initiativen, Vereine und Menschen in ganz Deutschland unterstützt, die sich für ein vielfältiges, gewaltfreies und demokratisches Miteinander einsetzen. Seit August 2015 gibt es auch in Köln einen Ableger, das sich im Aufbau befindende Projekt „Partnerschaft für Demokratie Köln“. Hier wagt man sich schwerpunktmäßig an Stadtbezirke mit sozialen Brennpunkten wie etwa Chorweiler, Kalk und Mülheim heran, um dort Ideen und Initiativen zu unterstützen, die sich gegen Menschenfeindlichkeit und extremistische Orientierungen richten und stattdessen Demokratie und Vielfalt stärken.

Neben weiteren ähnlichen Projekten positioniert sich das antifaschistische Aktionsbündnis „Köln gegen Rechts“ konsequent via Aufklärungsarbeit, kulturellen Veranstaltungen und Demonstrationen gegen jegliche Form von Rassimus. „Wir wollen aufklären und klar Nein zu Rassismus und Rechtsradikalismus sagen. Das ist leider gerade wieder dringend nötig. Wir wollen keine AfD dulden“, so Kim Wolnosc vom Bündnis Köln gegen Rechts.

Einerseits eine nachvollziehbare und sehr lobenswerte Haltung, andererseits jedoch stellt sich die Frage: Muss man nicht als Demokratie, die sich für gleiche Rechte für Alle, Pluralismus und Meinungsvielfalt ausspricht, auch eine vielleicht von der eigenen Meinung abweichende tolerieren? Kim Wolnosc:

„Mich stört dieses ,muss´ daran. Ich muss gar nichts. Wir verstehen uns als demokratische, gewaltfreie Initiative. Ich bin ganz klar für Meinungsfreiheit, aber das bedeutet aus meiner Sicht auch, dass man Nein zu einer Demonstration, einer Veranstaltung oder einer Rede sagen darf. Dass man nicht jede Meinung gutheißen muss, erst recht nicht, wenn es eine Meinung ist, die gegen Menschenrechte verstößt, rassistisch ist oder Vorurteile schürt. Meinungsfreiheit bedeutet auch, dass man nicht alles dulden muss.“

Trotzdem, bei allem Respekt für linkspolitisches Engagement: dessen Methoden sind auch nicht durchweg repressionsfrei. Man bedenke nur die (Gegen-)gewalt bei manchen Demonstrationen. Kim Wolnosc verneint dies, aber er kann auch nur für sich und seine Initiative sprechen:

„Wir sind der Meinung, dass es ein Klischee ist, dass uns von Rechten, diversen Politikern und der Polizei ständig in den Mund gelegt wird. Da wird schon vorher ganz viel Hysterie und Panik geschürt, bevor überhaupt etwas passiert ist. Dadurch wird ein riesiges Klischee erschaffen. Nämlich das des ewig prügelnden Linken. Und das eigentliche Thema – dass da vorne jemand äußerst rassistische Sätze von sich geben darf, dass in die Stadt einmarschiert und auf das Übelste gegen Flüchtlinge gehetzt werden darf, das geht dabei unter. Andererseits habe ich auch viel Gewalt, die von Polizisten ausgeht, beobachten können. Erschreckend viel. Ich kann nur für unser Bündnis sprechen – und nicht für alle Linken und antifaschistischen Gruppen. Aber unser Bündnis ist friedlich.“

Kölle Alaaf und seine blinden rechten Flecken: Eine simple „Lösung“ gibt es nicht. Aber gäbe es sie, wäre die Welt auch zu einfach und zu populistisch. Es lebe die Komplexität und die Vielfalt.

Links zu den Initiativen:

Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V.: http://www.koelnische-gesellschaft.de/ueber-uns/

Bündnis „Köln gegen Rechts“: http://gegenrechts.koeln/

Projekt „Partnerschaft für Demokratie Köln“: https://www.stadt-koeln.de/leben-in-koeln/soziales/demokratie-leben


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