choices: Herr Holl, der größte Kölner Skandal nach 1945 aus Ihrer Sicht?
Kurt Holl: Was mich persönlich über die Jahre hinweg am meisten empört hat, ist keine einzelne Affäre wie der Müllskandal. Es ist die Art, wie die Stadt Köln – egal welche ihrer parteipolitischen, kulturellen, wirtschaftlichen oder klerikalen Autoritäten – mit ihrer NS-Geschichte umgegangen ist. Die NS-Zeit ist nicht nur verdrängt worden, man hat die Aufklärung lange aktiv behindert, zum Teil sogar massiv unterdrückt. Nur ein Beispiel: In der Polizei durften noch bis weit in die 1970er Jahre hinein Massenmörder Dienst tun. Und dann der fehlende Respekt vor den Opfern, egal ob es Juden, Edelweißpiraten oder Kommunisten waren. Es war in Köln sehr schwierig, ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen.
War das nicht anderswo auch so und keineswegs typisch kölsch?
Der erste Bundeskanzler war ein Kölner. Man kann wohl sagen, das damalige Klima wurde bundesweit von diesem kölnisch-klerikalen Mief geprägt. Besonders unerträglich: In der Adenauerzeit wurde Köln quasi als Widerstandsnest gegen den Faschismus gefeiert.
Wegen der Häufung von Korruptionsaffären gilt Köln heute als Skandalstadt Nr. 1, die hiesige Politische Klasse als besonders korruptionsanfällig.
Ich denke, dass diese Form der Korruption nicht Köln-typisch ist. Vergleichbares gibt es sicherlich auch in München, Hamburg oder Berlin. Typisch für Köln ist eher, dass hier seit den 1950er Jahren praktisch eine große Koalition von SPD und CDU besteht. Die Netzwerke zwischen Politik, Verwaltung und Wirtschaft sind entsprechend eng. Die Häufung der Skandale ist eher ein Indiz dafür, dass manche Bindung brüchiger wird.
Sehen Sie Möglichkeiten, wie Köln in Zukunft seriöser werden kann?
Beim Stichwort „seriös“ habe ich sofort die Herren in den teuren dunklen Anzügen mit Seidenkrawatte vor Augen, die wegen der Skandale von sich reden machen. Seriosität als ernsthafte und nicht nur gespielte Verantwortung für das Allgemeinwohl setzt voraus, dass die Kontrollmechanismen von unten funktionieren. Das vermisse ich in dieser Stadt. Eine kritische Öffentlichkeit gibt es kaum.
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