Rote Sessel auf grauem Beton. Heute wird die Orangerie im Volksgarten in ein Kino verwandelt, die Snacks stehen bereit: „Butterfly Soul“ (2012) heißt der erste Film, der am Tanzfilmabend von ZAIK (Zentrum für Austausch und Innovation Köln) in Zusammenarbeit mit dem deutschen Tanzarchiv Köln gezeigt wird.
Die Rillen der roten Dachziegel sind so fein wie das hellgrüne Kleid der Tänzerin. Sie steht auf ihnen, dann läuft sie durch den langen Flur eines verlassenen Gebäudes, verschwindet in einem der sich abzweigenden Räume und taucht wieder auf, ganz leicht. – Der zwölfminütige Film des französischen Regisseurs Éric Oberdorff (Compagnie Humaine) beschäftigt sich visuell mit dem Spiel aus Licht und Schatten, so zart wie ein Gedicht oder die Flügel eines Schmetterlings. Fast ein bisschen zu zart, doch ohne sich in Schwerelosigkeit zu verlieren. Denn zögernd blickt sich die Tänzerin in den Räumen um, in denen sich bunte Tapeten von den Wänden lösen; der Putz bröckelt. Der Film wirkt ein wenig unfertig, noch nicht ganz vollendet, die Suche der Tänzerin ist auch die des Regisseurs. Er versucht, die Fragilität einer Künstlerpersönlichkeit darzustellen und gibt sich den Schritten der Tänzerin Cécile Robin Prévallée hin, folgt ihnen behutsam. Dieses Dokument ihrer individuellen Bewegungsforschung untermalt von der Musik des Komponisten Merakhaazan ist eine poetische, leichte Kost.
Ebenfalls auf der Suche ist Michael Maurissens, der Regisseur des zweiten Beitrags. In seinem 49-minütigen Dokumentarfilm „The Body as Archive“ (2016) geht er mehreren Fragen nach. Zum Beispiel: Wie manifestiert sich das Wissen, das Tänzer und Tänzerinnen kreieren? Wo kann man kinetisches Wissen verordnen? Eine filmische Recherche, die der Bewegungsrecherche von zeitgenössischen Tänzern gleichkommt.
Trommelwirbel! In rasantem Schnitt wird ein Schlagzeugspieler dargestellt, dann Tänzer in schwarzer Kleidung vor weißer Wand. Die ersten Sekunden zeigen den Unterschied zum vorherigen Film: Hier wird auf Kontraste gesetzt und das scheinbar Gegensätzliche vereint: fachliches Wissen und Tanz, in einem Rhythmus, der vom Kölner Komponisten Gregor Schwellenbach vorgegeben ist. Der Zuschauer lernt, wie Bewegungen entstehen, und dass nicht der Körper sie speichert, wie gerne angenommen, sondern das Gehirn. Neurologen erklären, Tänzer visualisieren und dabei treffen viele unterschiedliche Meinungen und Perspektiven aufeinander. Während Bücher und Texte das Gefühl geben, Wissen besitzen zu kommen, sind Bewegungen flüchtig und schwer einzufangen. Und während die einen Tänzer meinen, diese könne und solle man nicht archivieren und nur am eigenen Körper erfahren, halten andere an dem gesammelten Wissen fest, um auch seine kommunikative und kulturelle Bedeutung zu unterstreichen. Es wird die Rolle des Körpers als Archiv hinterfragt, dessen Ausdruck der Tanz ist und welcher wiederum filmisch archiviert wird.
„Das Ziel war es, einen Film zu machen, der sich in sich selbst schließt und sich selber in Frage stellt“, so auch Maurissens, der gemeinsam mit Gregor Schwellenbach vom Leiter des Deutschen Tanzarchiv Köln Thomas Thorausch nach den Filmvorstellungen auf die Bühne geladen wird, um über seine Arbeit zu sprechen. Der „gestaltete Klang“, wie Schwellenbach seine „musikalische Akzentsetzung“ im Film nennt, habe das Ziel gehabt, so abstrakt zu sein, dass jede Bewegung daraus entstehbar sei, keine Art von Tanz ausschließe und die Tänzer auf der Suche nach Strukturierung begleite. Weder Rhythmus noch Melodie bestimmen den Soundtrack, doch die Töne folgen der Sinnlichkeit von Bewegungen und dem Drang zum Lernen. Die Verknüpfung des gesammelten Wissens im Laufe der Recherche war jedoch nicht einfach: „Der Film dient als Gespräch, wobei sich die Menschen darin noch nie getroffen haben“, so Michael Maurissens. Und das auch darüber hinaus, denn der Abend floss in angeregten Gesprächsrunden aus.
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