Diese Stadt befindet sich fast unablässig im Feiermodus. Nicht alleine, dass die Tradition des Karnevals um das unsinnige Spektakel am 11. November ausgedehnt werden muss. Die Brauereien freut auch eine Riesenparty wie der erfundene Event „Jeck im Sunnesching“, der am letzten Wochenende in Köln alles auf die Beine brachte, was unter 30 ist. Dem setzt die Choreografin Stephanie Thiersch nun eine lupenreine Idee der 60er Jahre entgegen. Am 3. September startet sie den „City Dance Köln“, einen zwölfstündigen Spaziergang mit über 300 Tänzer, Musikern, Chören und Orchestern durch den Norden der Domstadt. Anlass ist das 30-jährige Bestehen der Kölner Philharmonie.
Die Idee entwickelte Stephanie Thiersch in San Francisco im Gespräch mit Anna Halprin, eine der weltweit prägenden Persönlichkeiten des Modern Dance. Sie hatte vor 50 Jahren den City Dance an der Westküste der USA erfunden. Die glückseligen Verschmelzungsfantasien der Hippies sind für Thiersch jedoch ziemlich out. Von Anna Halprin hat sie gelernt, dass Unterschiede und Gegensätze ein notwendiger Bestandteil der Aktion sind. So unterschiedlich wie die Ethnien und die Generationen wird die Musik von Jazz und Rock bis zu klassischer Musik sein.
„Was ist die Stadt? Was ist eine Gemeinschaft und welche Aufgabe hat die Architektur?“, das sind die Fragen, die Thiersch ins Zentrum der Aktion rückt. Morgens geht es im Rheinpark mit einem Frühstück, ersten Tänzen und Yoga, los, dann setzt der Trupp mit der Gondel auf die andere Rheinseite über. Weiter geht es am Areal des Zoos, das früher die „Goldene Ecke“ war, ein Vergnügungspark, in dem neben Tieren auch exotisch anmutende Menschen ausgestellt wurden. Auf der Grünfläche zwischen den Autotrassen laden 100 Lindy Hop-Tänzer – deren Leidenschaft einer Mischung aus Charleston und Rock’n’Roll ist – zu einem Zwischenstopp ein.
Immer wieder gibt es Interventionen, die sich mit der Stadtgeschichte beschäftigen, so dass sich die Passanten wie von selbst dem Lindwurm anschließen sollten. Danach geht es in die Gräben des Fort X im Agnesviertel. Chöre, Orchester und Tanzgruppen vom Butoh bis zum Mambo laden ein, ihre Kunst anzuschauen und auszuprobieren. Die City-Runner kreuzen derweil das Terrain, indem sie Pfade über Dächer, Vorgärten und Mauern im Großstadtdschungel eröffnen. Auf dem Ebertplatz werden Tanz-Battles vorbereitet und dort soll auch das große Picknick stattfinden. „Wir wünschen uns, dass jeder etwas mehr zu Essen mitbringt, damit kräftig getauscht werden kann“, sagt Stephanie Thiersch. Das Finale ist auf dem Bahnhofsvorplatz mit dem „Dance for All“ angesetzt, zu dem der PolizeiFrauenChor und der Schwullesbische Chor aufspielen. „Den Spuk der Silvesternacht werden wir weghexen“, erklärt Thiersch. Immerhin dürften dann Hunderte Menschen auf dem Platz sein, und man darf gespannt sein, ob sich die Vision von Kunst und Volksfest realisieren lässt.
City Dance Köln | Sa 3.9. 6.30-18.30 Uhr | www.citydance-koeln.de
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