Die Folgen der Landwirtschaft für das Artensterben sind unübersehbar: In 63 deutschen Landschutzgebieten ist ein drastischer Insektenschwund zu beklagen, wie ein Forscher:innenteam aus den Niederlanden, Großbritannien und Deutschland darlegte. Die Landwirtschaft trägt zu diesem Sterben bei, wovon auch andere Arten betroffen sind: So ist der Lebensraumbestand von Schmetterlingen durch agrarwirtschaftliche Maßnahmen in Großbritannien seit 1976 um 41 Prozent zurückgegangen.
Noch drastischer fällt der Schwund bei Vögeln aus, wie britische Ornitholog:innen anhand eines „UK Farmland Brid Indicators“ nachwiesen: Seit 1970 sind die Bestände der Agrarvögel im Vereinigten Königreich um mehr als die Hälfte eingebrochen. Europaweit sind seit 1980 die Hälfte der Vögel verschwunden, wie Zahlen des WWF belegen. Doch das Artensterben ist ein globales und durch Menschen verursachtes Problem, wie Ökologen warnen. Laut einem Bericht des Weltbiodiversitätsrates (IPBES), eine Einrichtung der UNO, sind von geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten weltweit rund eine Million vom Aussterben bedroht.
Noch nie war das Ausmaß des Artensterbens so groß. Die Folgen beschränken sich nicht nur auf Umweltfragen, wie Forscher:innen prophezeien. Der Verlust der Biodiversität führe zu düsteren gesellschaftlichen Auswirkungen: Politische und sozialwirtschaftliche Konsequenzen sind zu befürchten, darunter auch ein drastischer Anstieg von Fluchtursachen. Noch könnten Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Umso lauter werden die Stimmen in Europa, die nachhaltige und umweltschonende Landwirtschaft fordern. Die EU pumpt zwar jährlich knapp 60 Milliarden Euro in die Agrarökonomie, Standards zum Schutz der Biodiversität fehlen jedoch weiterhin.
Subventionen für Qualität statt Quantität
Hoffnung macht ausgerechnet ein Land, das sich zuletzt für einen Ausstieg aus der EU entschied. Denn Großbritannien hat ein Landwirtschaftsgesetz verabschiedet, das sich europaweit vorbildlich auswirken könnte. Agrarsubventionen sind demnach daran geknüpft, dass Landwirte bodenschonend ackern, pfleglich mit den Tieren umgehen oder eine bessere Luft- und Wasserqualität beachten. Großbritanniens agrarpolitischer Sonderweg ersetzt damit das EU-Subventionsprinzip, das sich an der bewirtschafteten Fläche orientierte.
Bereits vor diesem Landwirtschaftsgesetz hat die Naturschutzorganisation Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) ein Projekt initiiert, das über die Landesgrenzen hinaus Beachtung fand. In Südengland erwarb die Organisation einen Ackerbaubetrieb, in dem Weizen und Raps produziert wurden. Alles konventionell. Dieses Prinzip wurde zum Teil beibehalten, statt einen kompletten Ökobetrieb zu etablieren. Denn das Ziel der RSPB lautete, Ideen und Methoden für die Landwirtschaft zu entwickeln, die pragmatisch Biodiversität mit agrarökonomischer Effizienz verbinden. Der Betrieb erhielt daher den Namen „Hope Farm“.
So kombinierte die Organisation konventionelle Landwirtschaft mit innovativen Methoden. Bei der Bewirtschaftung der Flächen setzten die neuen Eigentümer etwa auf die herkömmliche Fruchtfolge. Hinzu kam der Einsatz von anderen Weizenarten und Fruchtsorten, deren hohe Kosten sich jedoch nicht alle Betriebe leisten können. Um eine pragmatische Vorbildfunktion zu bewahren, sparten sie eine kleine, vegetationsfreie Fläche als mögliche Brutplätze aus. Erste Effekte wurden bereits untersucht: Seit der Übernahme der Farm zwitschern 16 Vogelarten auf dem Gelände. Zuvor waren es noch zehn.
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