„Je höher du kommst, desto weniger Frauen triffst du“, sagte einmal Wangari Maathai, die kenianische Friedensnobelpreisträgerin. Zitate und Feststellungen wie diese über die in unserer Gesellschaft tief verankerte Ungleichstellung der Geschlechter erwähnt Autorin Chimamanda Ngozi Adichie in ihrem Kinder- und Jugendbuch „Warum ich Feministin bin“. Basierend auf ihrem gleichnamigen TED-Talk (englischer Originaltitel: „We Should All Be Feminists“) veröffentlichte der Fischer Sauerländer Verlag 2022 eine illustrierte Ausgabe von Adichies Manifest – für Leser:innen ab 12 Jahren.
Das Bild der männerhassenden Feministin hält sich immer noch in vielen Köpfen – dass Feminismus jedoch nichts anderes als Gleichberechtigung für Frauen bedeutet, ist eine Tatsache, deren ständige Erläuterung nicht nur ermüdend ist, sondern auch die immer noch herrschende Notwendigkeit für Aktivismus im Bereich der Geschlechtergleichstellung deutlich macht. In ihrem Jugendbuch deckt die gebürtige Nigerianerin Chimamanda Adichie längst veraltete Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit auf, kritisiert die gravierenden Unterschiede in der Sozialisierung von Jungen: und Mädchen: und erzählt gleichzeitig von ihren eigenen Erfahrungen als heranwachsende Frau in einem patriarchalen System – Mansplaining, Diskriminierungen, das Gefühl nicht genug bzw. zu viel zu sein – kurz: von der schieren Unmöglichkeit, als Frau alles richtig zu machen. Auch thematisiert sie, wie problematisch es ist, dass vielen Männern ihre sexistischen Denkmuster nicht bewusst sind. Die Vorrangstellung des Mannes mit all seinen Privilegien ist die eine Seite der Medaille, die andere sind Bilder von toxischer Männlichkeit – Gefühle unterdrücken, keine Schwäche zeigen, finanziell sehr gut aufgestellt sein. Sprachsensibel und prägnant zeigt Adichie, dass im Kern niemand von patriarchalen Gesellschaftsstrukturen profitiert. „Ich bin wütend. Wir alle sollten wütend sein“, schreibt die afrikanische Autorin. Indem sie anerkennt, dass die Wut, die viele Frauen spüren, ihre Berechtigung hat und nichts ist, was hinuntergeschluckt oder beiseitegeschoben werden sollte, bestärkt sie junge Mädchen: darin, ihre Gefühle zu spüren, die eigene Stimme zu finden und Raum einzunehmen.
Als Kinder- und Jugendlektüre sendet das Buch eine wichtige Botschaft an seine Leser:innen, während die modernen und ausdrucksstarken Illustrationen von Nursima Nas dem Geschriebenen noch mehr Tiefe verleihen. Die Portraits der jungen Chimamanda geben dem Buch eine persönliche Note und lassen das Erzählte nahbar wirken. Wir begleiten die Autorin auf ihrem Lebensweg, sehen sie mit Hürden, Herausforderungen und Ungerechtigkeiten konfrontiert, doch dazwischen finden sich stets Blumen und farbenfrohe Muster, welche die Erzählungen dynamisch darstellen und an eine Welt glauben lassen, in der die Chancengleichheit siegt. „Warum ich Feministin bin“ ist ein ehrliches Mutmachbuch, das sich nicht scheut, die oft normalisierten Erscheinungsformen des Patriachats aufzudecken und als solche zu benennen.
Chimamanda Ngozi Adichie: Warum ich Feministin bin | Aus dem Englischen von Alexandra Ernst | Fischer Sauerländer Verlag | ab 12 Jahren | 64 S. | 14 €
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Über Weltschmerz sprechen
„Alles, was wir tragen können“ von Helen Docherty – Vorlesung 04/25
Verlustschmerz verstehen
„Als der Wald erwachte“ von Emma Karinsdotter und Martin Widmark – Vorlesung 03/25
Cool – cooler – Aal
„Egal, sagt Aal“ von Julia Regett – Vorlesung 03/25
Aus dem belagerten Sarajevo
„Nachtgäste“ von Nenad Veličković – Literatur 03/25
Der legendäre Anruf
Ismail Kadares Recherche über Stalin und Boris Pasternak – Textwelten 03/25
„Afrika ist mehr als Hunger und Krieg“
Autor und Influencer Stève Hiobi über sein Buch „All about Africa“ – Interview 02/25
Internationales ABC
„A wie Biene“ von Ellen Heck – Vorlesung 02/25
Zwei Freunde
„Am Ende der Welt“ von Anna Desnitskaya – Vorlesung 02/25
Wem gehört Anne Frank?
„Immer wenn ich dieses Lied höre“ von Lola Lafon – Literatur 02/25
Schrecklich komisch
Tove Ditlevsens Roman „Vilhelms Zimmer“ – Textwelten 02/25
Unsichtbare Krankheiten
„Gibt es Pflaster für die Seele?“ von Dagmar Geisler – Vorlesung 01/25
Mit KI aus der Zwangslage
„Täuschend echt“ von Charles Lewinsky – Literatur 01/25
Erinnerungskultur
Gegen Vergessen und für Empathie – ComicKultur 04/25
Ein wunderbarer Sound
Natalia Ginzburgs Roman „Alle unsere Gestern“ – Textwelten 04/25
„Schon immer für alle offen“
Marie Foulis von der Schreibwerkstatt Köln über den Umzug der Lesereihe Mit anderen Worten – Interview 03/25
Die Geschichte der Frau
Ein Schwung neuer feministischer Comics – ComicKultur 03/25