Isa und Ellida kennen sich nicht. Können sich nicht kennen. Die eine ist drei Jahre alt, die andere 129 Jahre. Verwandt sind sie trotzdem, die Protagonistinnen aus Wolfgang Herrndorfs nachgelassenem Roman „Bilder einer großen Liebe“ und aus Henrik Ibsens „Die Frau vom Meer“, die jetzt am Theater der Keller und am Theater Bonn die Bühne betreten.
„Die ist abgedreht. Tolle Figur, aber voll assi“, heißt es in Herrndorfs „Tschick“- Roman, schon dort taucht Isa kurz auf und bringt den beiden Jungs die Nummer mit dem Benzinschlauch bei. Isa ist aus einem psychiatrischen Heim geflohen und stürzt sich radikal in die Freiheit, immer an der Kante zwischen Natur und Zivilisation entlang. Natürlich sind die „Bilder deiner großen Liebe“ wieder ein Roadmovie wie schon „Tschick“, aber erwachsender, unbedingter. Mal fährt Isa mit dem Lastkahn, marschiert durch Wälder, an Bächen entlang, trotzdem ist die Stadt, das Dorf nie weit. Der 2013 gestorbene Wolfgang Herrndorf hat den Roman als Fragment aus Bruchstücken hinterlassen, den seine Freunde Kathrin Passig und Marcus Gärtner nach seinen Angaben in Form bringen durften. Inzwischen hat Robert Koall daraus ein Theaterstück gemacht. Was sie mit Ellida aus Ibsens „Die Frau vom Meer“ verbindet, ist nicht nur der unbedingte Wille zur Freiheit, sondern auch die Verbindung zur Natur. Auch die Ehefrau von Doktor Wangel wird für wahnsinnig gehalten und hat einen unwiderstehlichen Zug zum Meer. Hat sie doch vor langer Zeit einem Seemann Treue versprochen, dieses Wort gelöst und dann Wangel geheiratet. Doch nach dem Tod des gemeinsamen Kindes lebt das Paar nur noch nebeneinander her. Kontakt zu Wangels Töchtern aus erster Ehe kriegt Ellida auch nicht hin. Und dann kommt auch noch der Seemann zurück…
Das Bonner Theater hat gleich noch einen weiteren Aussteiger im Programm: David, der sich zu Beginn der Industrialisierung einfach in die Natur zurückzieht und dort nach den Heilversprechen einer besseren Zukunft sucht. Das Leiden am kapitalistischen Verwertungsprozess, die anarchistische Geste der Verweigerung – all das sind bekannte Muster des Protestes und lassen sich unschwer in der Geschichte des Widerstands verorten. Das neue Stück „Der Zorn der Wälder“ des jungen Autoren Alexander Eisenach hat aber noch ein bösartige Volte parat. David bleibt in seiner Einöde nicht lange allein, denn der Privatdetektiv Gordon Pritchet hat sich in bester Agatha-Christie-Manier auf die Suche nach einem verschwundenen Mr. Carson gemacht und verstrickt den Zivilisationsmüden in seine Ermittlungen. Ein klassischer Krimiplot verquickt mit einer Aussteigergeschichte? „Ich denke, einer der großen Missstände, die wir haben, ist sicherlich ein zu große Bequemlichkeit, was das Zumuten von gewissen Erzählformen angeht, was gewisse Themen angeht", sagte der 1985 in Berlin geborene Alexander Eisenach vor etwa einem Jahr im Deutschlandfunk. Das Theater kann ein paar Zumutungen brauchen.
„Bilder deiner großen Liebe“ | R: R: Bastian Kabuth | Do 16.3.(P) 20 Uhr | Theater der Keller | 0221 27 22 09 90
„Die Frau vom Meer“ | R: Martin Nimz | 30.3.(P) 19.30 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
„Der Zorn der Wälder“ | R: Martin Štorman | 10.3.(P) 20 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
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