HipHop, die vielleicht globalste aller Jugendkulturen, hat immer einen lokalen Flavour. Nicht nur in den USA, auch in Deutschland. In Berlin üben sich die Rapper in großer Schnauze und Kleinkriminellentum, während ihre Beatschmiede nicht genug von billig überdrehten Synthloops kriegen kann. In Frankfurt dagegen übernimmt man die größenwahnsinnigen Bilder der selbsternannten Finanzmetropole und mischt sie – zur Freude von Frankfurtern und Germanistikstudenten zugleich – mit lokalen Dialekten. Und in NRW? Schon hat man das Problem. Denn so sehr das Aufwachsen zwischen Rhein und Weser auch durch zentrale Abschlussprüfungen, WDR und Verkehrsverbund-Immobilität geprägt sein mag – für Jugendkultur ist die Peer Group wichtig, egal ob man diese im Internet oder im Club vor Ort findet. Bundeslandgrenzen spielen da keine Rolle. Klar, es gibt HipHop-Szenen: in Duisburg und dem Ruhrgebiet, in Wuppertal, in Köln – aber einen NRW-Sound? Fehlanzeige.
Stattdessen regiert die eigene Stadt. Nicht erst seit Eko Fresh mit „Grembranx“ die Ghetto-Fantasien von HipHop mit der eher gemütlich wirkenden Realität von Köln-Kalk kontrastiert, ist klar, dass HipHop aus der Rheinmetropole in der Regel gut über die ungeschriebenen Gesetze des Genres Bescheid weiß. Das ist auch bei Huss und Hodn nicht anders, selbst wenn sie neuerdings Retrogott & Hulk Hodn heißen. „Viele machen Ami-Rapper aus’m Magazin nach / Ich nicht, ich lad' mein Magazin nach“ ist eine von Retrogotts besten Zeilen. Auch auf ihrem neuen Release „Fresh und Umbenannt“ graben sie sich wieder durch die unterschiedlichen Rapgenres, sind mal derb-prollig wie die Gangsterrapper, mal wortspielverliebt wie Dendemann und loopen mehr alten Jazz, als man auf eine durchschnittliche Backpacker-Platte packen kann: Meta-Rap vom Feinsten. Das einzige, was die beiden nicht so ganz hinkriegen, ist sich von der unter deutschen Rappern allgegenwärtigen Homophobie zu verabschieden. Wenn Retrogotts prächtiges Gemächt im Mund einen anderen Rappers steckt, hat dieser ein Problem – Retrogott aber nicht. Das soll verstehen, wer will, aber es hat ja auch niemand behauptet, dass man Reimbattles mit Logik gewinnt.
Auch bei den 257ers kreisen die eigenen Reimskills nicht selten um die Größe der eigenen Geschlechtsteile. Zu ernst muss man das nicht nehmen, die drei jungen Herren aus „Ich wohn' in Essen, damit meine ich auch Lebensmittel“ tragen halt gerne so richtig dick auf. „Wir saufen Zaubertrank aus dem Fass“ rappen sie an einer Stelle, und dann: „Ich setz' die Schlafmittel ab und die Klobrille auf“. Verstehe. Ähnlich klamaukig geht es auf dem Rest ihrer Tracks auch zu, was aber eigentlich nur stilsicher ist. Gehört zum „perfekten Ruhrpott-Grinsen“ nicht dazu, dass man es mit reichlich Schenkelklopfen auf die Gesichter zaubert? Eben. Die passenden Backingtracks aus Eminem-Samples, Tarmcenter-geprüften Beats, Autotune-Exzessen und Dubstep-Wobblebässen verstärken den Eindruck noch. Das ist nervig, pubertär in allen Bedeutungen des Wortes, aber erfolgreich. Nicht umsonst spielen die drei im Sommer als Ruhrgebiets-Hauptact auf dem Dortmunder Juicy Beats.
Retrogott und Hulk Hodn: „Fresh und Umbenannt“ (Entbs) “
257ers: „HRNSHN“ (Selfmade)
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