Jede Wurst hat zwei Zipfel. Und der Teufel scheißt immer auf den dicksten Haufen. Bedächtiges Nicken und ein stummes Genau begleiten gern solche Weisheiten. Doch worum geht es eigentlich? Da ringt ein ambitioniertes Festival aktueller Musik rund um den Jazz um sein nackiges Überleben im müffelnden Zirkuszelt, keine Mittel mehr am Niederrhein, diesmal geht’s noch, aber die Zukunft birgt schwarze Wolken und rote Zahlen. Dort entschließt sich der Bundesverband der Musikindustrie, einen Preis auszuloben, den ECHO Jazz. Die Entscheider haben nämlich etwas erkannt, wie eine Presseinformation unterrichtet: „Die Jazzmusik ist schon heute in der Popmusik ein elementarer Bestandteil und erfreut sich einer wachsenden Popularität.“ Also: Die Rettung naht durch neue Besucherrekorde; auch beim Moersfestival?
Der Terminus Jazz wird hier wie der Begriff Obst aufgefasst. Äpfel und Birnen passen in den Korb. In Moers werden zu Pfingsten auch exotische junge Früchte präsentiert, über deren Geschmack wenig bekannt ist. Moers mutierte in den vergangenen fünf Jahren wieder zu einer Versuchsstation, die ein Schlaglicht auf die Weltszene wirft und zeigen will, wie die jungen Leute in Zeiten rasanter Technologie-Entwicklung auf die gute alte Musik reagieren, ob Neues geht, ob Bewährtes bleibt. Dazu kombinieren sich Musiker verschiedener Generationen zu Projekten. Ein Oldstar wie Terje Rypdal gastiert bei den jugendlichen Bläsern der Bergen Big Band. Peter Brötzmann wird einen hässlich dissonanten Wind aus seinen Saxophonen blasen, ein Mann der ersten Stunde des Freejazz am Niederrhein wie der Avantgarde-Musikus Fred Frith, bekannt für nackige Füße. Und im Zelt hängt der Himmel nicht voller Geigen, sondern Trapezkünstler werden zu den Klängen sardischer Gitarren ihre Kunststücke in hohen Lüften zeigen. In Moers werden dazu viele frische Kräfte des Jazz bis Rock auftreten, die Musikfreunde nur hier im Zelt erleben können – und meistens danach auch nie wieder sehen. Das ist so in der Versuchsanstalt.
Wen das „Event“ mit den Stars lockt, der ist in der Jahrhunderthalle genau richtig. Hier findet die erste Preisverleihung an erfolgreiche Künstler statt, und das Publikum entscheidet mit. Ein Kriterium für den Erfolg ist nämlich die „Wertschätzung durch Musikkäufer“, und die ist natürlich nicht durch Produktplatzierung in den Medien oder durch klassische Werbung erreicht worden, sondern erhebt sich jungfräulich als freie Meinungsäußerung der geneigten Musikfreunde. Dass hier Namen wie Paul Kuhn, Klaus Doldinger und sein Promi- Drummer Wolfgang Haffner auftauchen, und dass die blonde Diana Krall gleich zwei Preise bekommt, nämlich einen für ihre DVD, das ist regelrecht kuschelig. Wir freuen uns für alle. Es gibt aber auch mehrere Überschneidungen zwischen Moers und dem ECHO Jazz, wer hätte das gedacht. Die Prominenteste ist der amerikanische, von Country und Blues beeinflusste, sehr nette Gitarrist Bill Frisell. Er bekommt einen Preis und spielt in Moers. Da passt zufällig die amerikanische Rätselfrage zum Unterschied zwischen einem Jazzmusiker und einem Bluesmusiker, deren erste Lösung lautet: Der Jazzmusiker spielt viele Noten vor wenigen Zuschauern.
Moersfestival I 21.-24.5. I www.moers-festival.de
Öffentliche Preisverleihung am 5.5. in der Jahrhunderthalle Bochum
Karten an CTS-Vorverkaufsstellen I www.jahrhunderthalle-bochum.de
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