Nicht Briten sind die geduldigsten Schlangesteher, sondern noch schnell das letzte Wegbier wegzischende Punks. Unter der gelb prangenden Aufschrift „Turbinenhalle“ feiern viele ihre eigene Party oder schnorren noch kurz das Eintrittsgeld zusammen. An der Schleuse wird kurz und freundlich kontrolliert, danach ist man mitten im Getümmel. Innen schlägt einem die vertraute Wolke aus Qualm und Bier entgegen, das Schlagzeug der City Rats aus Tel Aviv lockt. Die Garderobe ist fast leer und die Bierpreise erschwinglich und fair. Gäbe es einen separaten Himmel für Punks, so ungefähr müsste er aussehen. Bloß das golden glänzende Pils würde umsonst fließen.
Am Freitagnachmittag, dem ersten Tag von Punk im Pott, ist es bereits ordentlich voll, aber das Publikum ist es noch nicht. Abgesehen von denen, die schon bei der dritten Band selig aneinandergekuschelt in der Ecke schlummern. The Bottrops demonstrieren die gute Akustik der großen Halle. Kaum zehn Minuten Umbau und die Duisburger Dödelhaie verkürzen die Wartezeit auf Bambix. Bei soviel Lokalkolorit und solidem, deutschen Saufpunk will der Funke bei dem Trio aus den Niederlanden nicht so recht überspringen. Das tut der Stimmung auf der Bühne allerdings keinen Abbruch. Die Ignoranz gegenüber wunderbaren Geschichten, wie sie Frontfrau Wick mit „Hell and Back“ oder „Johan“ erzählt, drückt sich am fehlenden Pogo aus. Da im Punkhimmel neben Anarchie aber auch Gnade waltet, will ich mal nicht so sein.
Supernichts haben dann wieder leichteres Spiel, liefern mit „Wir hassen die Ramones“ und „Ingo Dubinski/Andie MacDowell“ fremde und eigene Hits ab, die artig mitgegröhlt werden. Die nachfolgenden Kassierer machen die Halle dann brechend voll. Brechend voll ist auch der Zustand, in dem der nackte Wölfi und seine Jungs überhaupt nur zu ertragen sind. Slime und Rasta Knast heben das Niveau wieder erheblich und versöhnen auch diejenigen, die zu später Stunde etwas mehr vom Punkrock-Paradies erwarten als Fäkalsprache.
Wie der erste verläuft auch der zweite Tag von Deutschlands größtem Indoor-Punkfestival laut offizieller Polizeimeldung ohne Zwischenfälle. Rangeleien finden auch eher bei An- und Abreise statt. Mittendrin fühlt sich auch wohl, wer ohne prachtvollen Iro oder Nietengürtel angereist ist und sich nachts zum Duschen und Schlafen heimlich rausgeschlichen hat. Anschluss findet sich schnell. Ein netter Typ möchte mir seine Freundin für vier Bier verkaufen, während ein kleiner Minipunk Geld für seine Rückfahrt zum Bodensee sammelt. Ein Besucher aus Zürich flüstert mir zu, dass er sich vor angeblich anreisenden Schweizer Neonazis fürchtet. Die scheinen aber lieber daheim geblieben zu sein. Angesichts der verstärkten Übergriffe im Ruhrgebiet im Dezember - im Anschluss an das Pressure Air-Festival im Oberhausener Druckluft und an einem S-Bahnhof in Bochum - ist die Harmonie eine angenehme Überraschung.
Punks zum Liebhaben in der Oberhausener Turbinenhalle. Foto: Maxi Braun
Musikalisch ist der Samstag zunächst eher wechselhaft. Montreal sind im Vergleich zu den vorangegangenen Das Pack und Emscherkurve 77 vielleicht etwas brav, liefern aber ordentlich ab. Auf die Ähnlichkeit von Wilde Zeiten mit den Toten Hosen hinzuweisen ist überflüssig. Vermehrte, alles andere als wohlwollende „Campino“-Rufe sprechen für sich. Mit Toxoplasma, Sondaschule, den Lokalmatadoren und Vier Promille ist die nervige Performance von Eisenpimmel aber dafür schnell vergessen.
Trotz Antifa-Parolen und „Nieder mit dem Staat und den Bullen“-Slogans, die auf Jacken, Bandshirts und Button prangen, bleibt es insgesamt fast ein bisschen zu gediegen. Die meisten Besucher übernachten in umliegenden Hotels und nicht im Bahnhof, einige trifft man sogar bei MacDonalds. Auch Antiimperialisten haben mal Hunger. Dabei ist in der Halle für alles gesorgt. Die Organisation ist insgesamt ziemlich beeindruckend. Auf der Habenseite das günstige Bier, die vielen Theken, das entspannte und geduldige Turbinenhallen-Personal. Abzüge gibt es für den straffen Zeitplan und die Bullis am Rand, die wenig dezent darauf hinweisen, wenn eine Band ihre Spielzeit zu überschreiten droht. Wir sind eben doch nicht im Himmel wo die Ewigkeit regiert, sondern noch immer in irdischen Gefilden.
Aber eine solche Veranstaltung, wie Alex Schwers und sein Team sie seit 1999 ohne nennenswerte Zwischenfälle und Pannen, aber stets mit gigantischer Stimmung schaukelt, verdient Respekt. Dies liegt nicht zuletzt an den aus ganz Deutschland und den angrenzenden Ländern angereisten Fans. So viel an diesem letzten Wochenende des Jahres 2012 auch getrunken, gefeiert und gepoged wurde, so sehr hat sich die Szene selbst gefeiert. Ein schönes Statement für die Ideale, die hinter dieser Subkultur ursprünglich steckten und noch stecken und trotzdem ein unterhaltsamer und unbeschwerter Jahresabschluss.
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