Die Schriftstellerin Toni Morrison hat das Zusammenstellen eines Kanons einmal mit dem Bauen von Kanonen verglichen. Und auch wenn dieser Vergleich ein wenig dramatisch ist, steckt in ihm ein Funke Wahrheit. Wann immer Kuratoren in öffentlich finanzierten Kultur-Institutionen sich für oder gegen Künstler entscheiden, stecken dahinter nicht lediglich Geschmacksurteile, sondern auch das Ringen um eine bestimmte Form der Außendarstellung. Das gilt selbst für die demokratischste aller Kunstformen – die Popmusik. Nicht umsonst unterhält die Bundesregierung mit der „Initiative Musik” ein Förderprogramm für Künstler, die zwar bereits ein wenig etabliert sind, aber für die Produktion eines neuen Albums noch ein wenig Anschubfinanzierung brauchen. Schaut man auf die Liste der geförderten Künstler, wird man jedoch eine relativ homogene Gruppe an Indiebands, Elektro-Pop und Songwritern finden. Kurzum: Musik, die dem Geschmack des Bürgernachwuchses entspricht.
Auch bei den Pop-Angeboten, mit denen Konzerthäuser seit Längerem um ein junges Publikum werben, herrscht das gleiche Bild. Egal, ob es sich um das Pop-Abo im Dortmunder Konzerthaus oder das New Fall-Festival in der Düsseldorfer Tonhalle handelt – man setzt auf Ästhetiken, die vertraut sind oder die sich schnell erschließen lassen. Das hat nichts mit der Qualität der Künstler zu tun, die von den Weilheimer Indie-Urgesteinen The Notwist bis zum Glasgower Elektronikeklektiker Rudi Zygadlo reichen. Sondern damit, dass man fast ein wenig konservativ wirkt. Die gleichen Institutionen, die sich ansonsten trauen, ihr Publikum auch mal herauszufordern, setzen bei Pop auf den tendenziell kleinsten gemeinsamen Nenner. Popmusik ist hier gleich U-Musik, eine Sichtweise, die sich durch die Diversität des Materials Pop eigentlich schon längst überlebt haben sollte.
Besser funktioniert der Umgang mit dem Kanonischen beim Essener Swingfest, das dieses Jahr zum fünften Mal stattfindet. Das Swingfest begann gitarrenlastig, wie es seinen Wurzeln in der Drone-Rock und Doomszene entspricht. Mittlerweile ist es zur Spielstätte fast aller etwas sperrigen Spielarten experimentellen Instrumental-Pops geworden, gerade weil es seine Fühler nach den stilprägenden Musikern anderer Richtungen ausgestreckt hat. Philip Jeck z.B. ist einer der Pioniere des Turntablism. Seit Jahren collagiert er Platten, die er auf Flohmärkten oder in Charity-Shops findet, mit Hilfe zweier Plattenspieler zu Arrangements, die in ihrer Sogwirkung ihrem kulturindustriellen Ausgangsmaterial nicht nahestehen. Und mit Moritz von Oswald haben sie sich einen der deutschen Musikpioniere ausgesucht, der mit Palais Schaumburg nicht nur die NDW mitbegründet hat, sondern ihr mit seinen Tracks als Basic Channel oder Maurizio Berlin eine eigene Techno-Klangsignatur gegeben hat. Seit einigen Jahren arbeitet er mit dem Moritz von Oswald Trio daran, die Abstraktion von elektro-akustischer Musik mit kollektiver Jazzimprovisation zu versöhnen, ohne dabei die eigene Geschichte als Dubtechno-Producer zu verleugnen. So kann man seinen Kanon auch bilden – aus Respekt vor den Leistungen derjenigen, die sich etwas getraut haben.
New Fall Festival I 3.-7.10. I Tonhalle Düsseldorf I www.new-fall-festival.de
Denovali Swingfest I 5.-7.10. I Weststadthalle Essen I www.denovali.com/swingfest
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