„Alle müssen ihren Beitrag leisten!“, posaunt Christian Lindner im Januar 2024 bei der Bauern-Kundgebung vorm Brandenburger Tor. Adressiert sind hier mitnichten etwaige Millionen- und Milliardenerben. Und wenn Lindner fortfährt: „Wir dürfen es nicht länger tolerieren, wenn Menschen sich weigern, für ihr Geld zu arbeiten“, auch dann adressiert er mitnichten die, die nichts tun für Papas Nachlass. Vor allem aber wollen Lindner und seine FDP keine Steuern erhöhen. Also, eigentlich will Lindner vor allem nicht ran an die Erbschaftssteuer, aber wenn er das so sagen täte, würden ihn am Ende nur noch die 3,9 Prozent Millionäre wählen, und dann wird die Wahlurne endgültig zur – Urne.
Einmal im Jahr ein dickes Lob
In diesen Zeiten jedenfalls sollen vor allem die ihren Beitrag leisten, die nicht arbeiten können und wenig haben oder die am Limit arbeiten und wenig bekommen. Letztere darf man auch mal in der Talkshow loben. Und einmal im Jahr gibt’s ein dickes Lob fürs Ehrenamt – dann ist aber mal gut! Wobei, man kann noch hinterherschicken, dass wir da durchaus mal ranmüssen an die systemrelevanten Jobs. Denn „wir müssen“ heißt ja nicht „ich werde“, sondern „niemand muss wirklich“. Aber klingt halt engagiert. Engagiert sind derweil vor allem die, die viel tun für wenig Geld, was dazu führt, dass der Übergang vom Ehrenamt zu systemrelevanten Jobs fließend ist. Jobs mit Aufwandsentschädigungen, Verzeihung: Löhnen, die knapp am Grundeinkommen vorbeischrubben, was nachvollziehbar einen Aufreger darstellt und die Forderung nach angemessenen Arbeitslohn in den Raum stellen könnte. Stattdessen wird parteiübergreifend die „Anpassung“ des angeblich parasitären Bürgergelds gefordert. Managergehälter anzupassen wäre auch eine Option, aber das wird ja schon gemacht, also nach oben. Selbst dann, wenn Banker ihre Unternehmen in die Krise fahren. Hier rettet der Staat dann rasch mit hart erarbeiteten Steuergeldern – „systemrelevante“ Banker haben eben einen anderen Stellenwert als systemrelevante Pflegekräfte.
Banker sind keine Pflegekräfte
Und zum Glück ist ja Krise: Klima, Krieg und Haushaltsloch. Der Kanzler ruft die Zeitenwende aus, aber er wendet wenig. Statt endlich mal die mit in die Verantwortung zu nehmen, die arbeitsarm ihr Kapital vermehren, spart die Regierung zuallererst am Sozialstaat. Weil die, die weniger haben, sind ja die meisten, und bei den meisten gibt‘s halt mehr zu holen. Vor allem aber können sich die meisten schlechter wehren. Wählen sollen sie einen aber trotzdem, und deshalb spielt man sie gegeneinander aus. Nach unten treten – siehe oben. Indem Sozialneid geschürt und zugleich jede aufkeimende Gerechtigkeitsdebatte als Neiddebatte deklariert wird. Die CDU will derweil den Begriff „Bürgergeld“ durch „Neue Grundsicherung“ ersetzen, damit nicht der Eindruck entsteht, „jedem Bürger stehe Geld zu“ (ZDF Morgenmagazin, 19.3.). Dann sollte man aber auch gleich die Erbschaftssteuer umbenennen, damit nicht der Eindruck entsteht, alle Großerben zahlten Steuer auf die Erbschaft. „Die Union denkt den Sozialstaat von denjenigen her, die ihn missbrauchen“, resümiert Kevin Kühnert in derselben Sendung – und auch hier sind nicht etwa etwaige Millionenerben gemeint.
Zorn wohin?
Es ist irritierend, dass die Rhetorik von Sozialneid und Neiddebatte so weitreichend fruchtet. Warum lassen wir uns ausbeuten? Warum richten wir unseren Zorn nicht nach oben? Weil es leichter ist, nach unten zu treten? Weil wir Reichtum grundsätzlich als redlich verdient erachten? Weil wir davon träumen, selbst einmal redlich verdient reich zu sein?
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