Auch in Europa tauchten schon früh Werke der amerikanischen Komponistin Jessie Montgomery auf, darunter eines, das unter dem Titel „Records from a Vanishing City“ ein schwindendes Stadtviertel porträtierte. Urbaner Groove, Miles-Sound mit gestopftem Trompetensolo und Gershwins Klarinetten-Glissando zierten diesen Abgesang auf eine gentrifizierte Gegend – sehr aktuell auch in den Metropolen der Rheinschiene. Im Konzert zum Jahresausklang erinnert das WDR Sinfonieorchester und der Gastdirigent Andris Poga vor dem Silvesterfeuerwerk mit einem Vorspeisenbüffet aus rein amerikanischer Musik an zeitkritische und vernunftbetonte Töne aus den USA, die uns bald fehlen werden.
Das Orchesterlied „I want to go home“ kokettiert geschickt mit einem klassischen Spiritual, unterfüttert es aber mit warmem Streichersound, der einen reizvoll begleitenden Kontrapunkt liefert – ein Klang von anhaltender Fremdheit und mitfühlender Trauer aus der Distanz. „Five Freedom Songs“, so der Titel der Sammlung, wurde in Zusammenarbeit mit der Sopranistin Julia Bullock konzipiert, die jetzt auch an den Rhein reist. Aus der Programmnotiz der Komponistin: „Wir wollten einen Liederzyklus schaffen, der unser gemeinsames afroamerikanisches Erbe und die Tradition des Negro Spiritual ehrt und gleichzeitig mit nicht-traditionellen stilistischen Kontexten experimentiert. Jedes der fünf Lieder in diesem Zyklus stammt aus der historischen Anthologie Slave Songs of the United States (1867).“
Die New York Times bezeichnete die Komponistin Jessie Montgomery aufgrund ihrer kompositorischen Kompetenz in sozial ambitionierten Programmmusiken als „Zukunft der klassischen Musik“. Folgerichtig erhielt sie in diesem Jahr einen Grammy Award, wohl auch, weil Orchester im ganzen Land und darüber hinaus darauf brennen, ihre Werke zu spielen. Für drei Spielzeiten war sie jetzt als Mead Composer in Residence beim Chicago Symphony Orchestra eingebunden. Sie ist eine der meistbeschäftigten klassischen Komponistinnen Amerikas.
Ergänzt wird das Programm durch eine Suite aus Gershwins „Porgy and Bess“, die erste Oper mit der Auflage des Komponisten, Aufführung ausschließlich mit Schwarzen zu besetzen. Nicht fehlen darf natürlich auch der streitbare Leonard Bernstein: Er galt zu Lebzeiten als der größte tolerante Erklärer klassischer Musik.
Silvesterkonzert – Bernstein & Gershwin | Di 31.12. 18 Uhr | Kölner Philharmonie | 0221 28 02 80
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