Ein Medium wie die Fotografie haben sich die Menschen immer gewünscht, um ihr Leben zu dokumentieren und mit dem Blick auf die Bilder in die Vergangenheit schauen zu können. Allerdings hat die Fotografie über viele Jahrzehnte hinweg gar nicht auf diese Weise funktioniert. Fotografiert wurde zumeist, um zu repräsentieren, die Familie, die Firma oder den sozialen Stand, alles im Sonntagskleid. Man fotografierte so, wie sich einstmals die Fürsten malen ließen. Das Alltagsleben oder die Welt der armen Stadtbevölkerung war niemandem die Mühe eines Fotos wert. Schon deshalb ist das Werk des Kölner Fotografen Wilhelm Scheiner (1852 – 1922) ein Kleinod. Das Kölnische Stadtmuseum zeigt jetzt Kostproben aus den Jahren zwischen 1875 und 1905 unter dem Titel „Köln ungeschönt. Wilhelm Scheiner als Fotograf“.
Man würde seinen Talenten schmeicheln, bezeichnete man Wilhelm Scheiner als drittklassigen Maler. Trotzdem verdienten er und sein Vater Jakob Scheiner gut an den von ihnen gemalten Idyllen, die Köln in ein nostalgisches Licht rückten, das die bürgerliche Klientel der Malerfamilie schlichtweg entzückte. In einer Sache unterschieden sich die beiden jedoch.
Jacob fertigte noch Skizzen als Vorstudien für seine Bilder an, während Wilhelm dem technologischen Fortschritt aufgeschlossen gegenüberstand und mit einer Plattenkamera durch die Gassen der Domstadt zog. Er interessierte sich für die Architektur der Domstadt, ihre Straßen und Plätze, und übertrug die Motive dann später in seine Aquarelle. Die Gemälde zeigten dann Kinder im Sonntagsstaat, Frauen mit Hüten und Männer im vornehmen Gehrock, die mit gewölbter Brust über die Straße stolzierten. Die Fotografien der Altstadtgassen dokumentieren hingegen eine Realität, die ganz anders aussah. Angesichts der winzigen Wohnungen, in denen Großfamilien leben mussten, sieht man viele schmutzige Kinder in den Straßen. Die Männer sieht man bei der Arbeit, alte Frauen sammeln Pferdeäpfel vom Pflaster auf, Mütter stehen beim Milchmann an, und Prostituierte warten am Eingang zur Bordellstraße mit dem sprechenden Namen „Bischofs Fleischhöfe“ auf Besucher.
Die Ausstellung beeindruckt sowohl durch ihren dokumentarischen wie durch ihren ästhetischen Stellenwert. Scheiner verfolgte den Abbruch der Stadtmauer in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts, durch den Köln ein neues Gesicht bekam und er gibt uns eine Vorstellung vom sozialen Leben in den engen Gassen der Altstadt. Die Bevölkerungszahlen explodierten in jenen Jahren, so dass Kuratorin Rita Wagner einen interessanten Vergleich anstellen konnte: Während heute im indischen Mumbai 29 000 Menschen auf einem Quadratkilometer wohnen, lebten damals in Köln 39 000 Menschen auf der gleichen Fläche.
Die eigentliche Sensation der Ausstellung liegt in der Entdeckung des außerordentlich talentierten Fotografen. Gewöhnlich lehnten sich die Fotografen stilistisch an die Bildkompositionen den Maler an. Die Fotografie existierte noch nicht als eigene Kunstgattung, sieht man einmal von einem fotografischen Genie wie Eugène Atget ab. Der Katalog zur Kölner Ausstellung zeigt jedoch, dass Schreiner in Köln fast deckungsgleiche Aufnahmen wie sein Pariser Zeitgenosse schoß. Während in Scheiners Idyllen auf erbarmungswürdige Weise weder Perspektive, noch Farbwahl, Licht oder Gestalten stimmten, zeigt er in seinen Fotografien eine professionelle und sehr effektvolle Lichtführung. Wirken die Figuren seines Gemäldes des Deutzer Schützenfestes von 1890 wie aus Gips modelliert, erkennt man auf der fotografischen Vorstudie die Neugierde und die ansteckende Freude der Menschen an einer Kirmes. Scheiner besaß aber nicht alleine einen Blick für Straßenszenen, sondern er überzeugte auch als Architekturfotograf, der mit seinem Gespür für die Tiefe des Raums unseren Blick in die Bilder hineinsaugt.
Zur Ausstellung ist ein Katalog zum Preis von 18,90 € erschienen.
„Köln ungeschönt. Wilhelm Scheiner als Fotograf" | bis 24.4. | Kölnisches Stadtmuseum | 0221 22 12 57 89
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