Lange war der Stadtgarten, eine international bekannte Spielstätte für aktuelle und improvisierte Musik, im Lockdown. Konzerte wurden aber in der Außenspielstätte „Green Room“ gegeben. Seit September ist auch der Konzertsaal, seit Oktober das Jaki wieder geöffnet.
choices: Herr Michalke, man traut sich wieder in Konzerte. Wie ist die Lage bei Ihnen?
Reiner Michalke: Wir sind gerade in der Phase, wo wir alles wieder hochfahren und teilweise auch schon wieder zu viel hochgefahren haben. Das heißt, wir haben jetzt jeden Tag eine Veranstaltung, teilweise zwei. Wir merken schon, dass wir mit der Manpower ein bisschen an die Grenzen kommen, nachdem wir von null auf hundert gestartet sind.
Aber ganz auf null war das Angebot während der Pandemie ja nicht.
Wir hatten natürlich den Sommer draußen mit dem Green Room, der uns auch viel Spaß gemacht hat und für den wir auch relativ viel Zeit und Energie verwendet haben. Aber der Indoor-Bereich ist nochmal intensiver, gerade auch seit Oktober mit dem wiedereröffneten Jaki. Da ist schon ziemlich Druck drauf, weil es auch tagsüber nochmal eine ganz andere Belastung ist, wenn hier viele Proben stattfinden – das geht ja morgens schon los. Bands, auch die, die hier nicht unbedingt spielen, aber die hier proben und arbeiten. Dann geht’s in den Soundcheck, und am Abend geht es richtig los. Wir kommen wieder in den Normalzustand zurück. Man muss bedenken, dass viele Konzerte, die ja abgesagt bzw. verschoben worden sind, jetzt wieder reindrängen. Der Rückstau kommt zusammen mit den Musikern, die jetzt auf Tour sind.
Wie gut sind die aktuellen Hygienemaßnahmen durchführbar?
Eine große Herausforderung waren in diesem Jahr die sich ständig verändernden Hygieneschutzverordnungen. Im Moment klärt es sich immer mehr. Es gibt seit 1. Oktober eine neue Verordnung, die uns mehr Freiheiten einräumt. Wir arbeiten im Moment im Konzertbetrieb mit „2Gplus“, das heißt: genesen, geimpft oder PCR-Test. Und das läuft erstaunlich gut, die Leute wissen Bescheid und sind unglaublich kooperativ.
Das 2019 aus dem alten Studio 672 hervorgegangene Jaki, das eineinhalb Jahre komplett im Lockdown war, wurde im Oktober wiedereröffnet. Wie wird es angenommen?
Es war für uns überraschend, wie gut die Leute aufs Jaki reagiert haben. Am ersten Eröffnungswochenende war es so voll, dass wir nicht alle rein lassen konnten. Was bei uns an Reaktionen angekommen ist, war durchweg positiv, fast schon euphorisch. Das Jaki war ja vor dem Lockdown nicht mal ein halbes Jahr in Betrieb und ist insofern immer noch ein neuer Laden, auch für die Stadt. Den Klub haben wir zum ersten Mal in unserem Sinne so optimal eingerichtet, wie wir es uns immer gewünscht haben: Die Säulen sind raus, es klingt gut, die Bühne ist in der richtigen Höhe... Die Atmosphäre ist am Ende aber immer eine Mischung aus vielen Dingen, der Musik und vor allen Dingen den anderen Gästen.
Vom 19. bis 22. November findet das diesjährige Klaeng-Festival statt, das ja von Musikern, dem Kölner Klaeng-Jazzkollektiv, organisiert wird. Ist das dann im Ergebnis anders, als wenn Sie so etwas selber organisieren?
Das Klaeng-Festival ist ja eine gewachsene Institution in der Stadt. Wir sind der Austragungsort und unterstützen das Festival produktionstechnisch nach Kräften. Aber Klaeng kuratiert das Programm. Diese Co-Produktion funktioniert gut und wir schätzen auch das Programm als einen sehr guten, wichtigen Programmbeitrag. Daher freuen wir uns jedes Jahr drauf.
Wie beurteilen Sie die Bedingungen zur Entstehung von Musik jenseits von Kommerz in Köln?
Da ist die Frage, was ist Kommerz? Da würden die Kollegen von der Popkultur fragen, was meinen Sie jetzt? Die Grenzen sind hier immer fließend. Es gibt wirtschaftlich sehr erfolgreiche Jazzmusiker, zum Beispiel Till Brönner, und es gibt Popmusiker, die nichts verkaufen. Es ist also nicht nur vom Genre abhängig. Aber die Bedingungen in Köln, wenn wir es mal auf den Jazz konzentrieren, sind recht optimal. Es gibt relativ viele gut ausgestattete Spielstätten. Aber das Wichtigste, was Musikerinnen und Musiker für Improvisierte Musik brauchen, sind viele andere Musikerinnen und Musiker. Wenn man sich dieser Art von Musik verschreibt, dann will oder muss man sogar fast jeden Tag spielen. Und das vor Publikum. Wirklich gut zu improvisieren erfordert viel Übung, am besten in wechselnden musikalischen Besetzungen und immer vor Publikum. Das funktioniert in Köln fast bedrohlich gut – und es kommen immer mehr Musikerinnen und Musiker dazu.
Das ist interessant.
Ja, die Kölner Musikhochschule ist ja ein großer Magnet. Es ist zahlenmäßig immer noch die größte Musikhochschule in Europa, und so kommen halt jedes Jahr weitere Musikerinnen und Musiker dazu. Und die, die schon da sind, gehen ja nicht weg. Unser Job ist es nun, dafür zu arbeiten, dass diese Dynamik mit der Dynamik, gleichzeitig auch neues Publikum zu generieren, Schritt hält.
Konzerte im Stadtgarten werden ja lange im Voraus geplant. Wird dadurch Musik nicht sehr institutionalisiert und die Spontanität eingeschränkt? Sollte man nicht einfach sagen, spielt einfach wann und was ihr wollt, mit wem ihr wollt, sagt uns einen Tag vorher Bescheid, wenn ihr in guter Form seid?
Da muss man als Künstlerin und Künstler unterscheiden, ob ich vor Publikum spielen will oder ob ich das einfach für mich alleine mache. Wo kommt das Publikum sonst her? Wir sind ja als Veranstaltungsort ein Vermittler zwischen Publikum und Musikerschaft. Unser Job besteht darin, die Musik so zu präsentieren, dass sie auch eine Chance hat, gehört und mit Respekt wahrgenommen zu werden. Spielen kann man sonst ja auch im Proberaum. Der Musikertraum nach dem Motto: Das Publikum sitzt immer schon da, und ich komme nur noch dazu, bleibt leider ein Traum.
Gut, aber wenn jetzt jemand fest gebucht ist, kann der immer noch komplett sein angekündigtes Programm umwerfen und mit anderen Leuten spielen?
Das ist ja für denjenigen, der die Band leitet, selber das größte Problem. Er muss die Kollegen, wenn er die besten haben will, sehr früh buchen. Es gibt besonders bei Bassisten und Schlagzeugern immer wieder welche, mit denen alle spielen wollen.
Trotzdem müssen Sie das Gefühl kennen, dass eine Institution wie der Stadtgarten auch Gefahr läuft, der Musik, soweit sie mit Spontanität zusammenhängt, im Wege zu stehen.
Für das, auf was Sie abzielen, würde ich mir auch selber eine andere Location wünschen, sowohl als Zuhörer, wie auch als Musiker. Zum Beispiel ein kleines Café, in dem jeden Abend Live-Musik angeboten wird. Das Publikum weiß nicht wer spielt, ist aber schon da, folgt also dem eben erwähnten Musikertraum. Das Publikum hat keinen Eintritt bezahlt, mit der Folge, dass die Musiker auch keine Gage bekommen und sich im Gegenzug erst morgens überlegen, wer abends mit wem, was spielt. So etwa?
Es gibt doch in anderen Städten so etwas...
Außerhalb von New York ist das ganz selten. In Berlin vielleicht in der Donaustraße in Neukölln, aber auch da nicht jeden Tag. Wenn es genug Publikum dafür gäbe, gäbe es wahrscheinlich auch die Orte dafür. Aber jeder Gastwirt zahlt Miete, Personal usw. Das muss ja irgendwie erwirtschaftet werden.
Und das Publikum will vorher wissen, was kommt.
Es ist nicht nur das, sondern die Erfahrung der meisten Gastwirte ist die, dass wenn sie eine bestimmte Musik spielen lassen, nicht nur die Leute nicht kommen, sondern dass die Leute, die da sind, gehen. Wir reden ja nicht über eine Musik, bei der man mitsingen kann oder die man mal so nebenbei eben mithören kann. Die verlangt dann schon eine aktive Aufmerksamkeit der Zuhörerinnen und Zuhörer.
Wie sorgt das Stadtgarten-Team dafür, dass die Musik möglichst gut ist an dem Abend, wo sie stattfindet?
Was den Abend selber betrifft, sind es unglaublich viele Faktoren, die eine Rolle spielen. Das hat wiederum ganz eng damit zu tun, wie viele Leute sich an diesem Abend eingefunden haben. Unser Marketing ist natürlich sehr wichtig, das alleine reicht aber auch nicht immer aus. Und natürlich gibt es Abende, wo wir auch wenige Gäste haben, weil das Programm, das wir da angeboten haben, eben nicht so mehrheitsfähig ist wie andere. Das kann dann auch schon mal auf die Stimmung drücken bei Musikern, die nicht so abgebrüht sind. In der Regel wissen diejenigen, dass das, was sie machen, nicht auf so breite Zustimmung stößt und sind auch dementsprechend wenig frustriert.
Wie viel Prozent der Konzerte im ganzen Stadtgarten sind denn von Ihnen und dem Team persönlich verantwortet?
Aktive Einladungen sprechen wir ungefähr bei einem Drittel unserer Konzerte aus, ein weiteres Drittel sind Tourneen, an denen wir uns beteiligen, und weiteres Drittel sind Vermietungen an Konzert-Agenturen.
Sie haben ja zu Beginn der Pandemie den Musikern Ihre Unterstützung zugesagt, was hat der Stadtgarten unterm Strich für die Jazzszene in dieser schwierigen Zeit erreichen können?
Gerade der Green Room spielte eine ganz entscheidende Rolle. Open Air war ja für uns die einzige Möglichkeit während des Lockdowns Konzerte zu machen. Und da haben wir im doppelten Sinne davon profitiert, dass Köln so reich an Musikerinnen und Musikern ist. Weil niemand auf Tournee gehen konnte, waren die regionalen Künstlerinnen und Künstler im Programm erste Wahl und, wenn man so will, konkurrenzlos. Insofern hat sich eine ganz natürliche Situation ergeben, dass wir mit ihnen vier Konzerte in der Woche im Green Room gestaltet haben und damit nicht nur dazu beitragen konnten, dass sie spielen, sondern dass diese Musik auch weiter gehört wird. Denn ich habe aus Gründen der Sinnhaftigkeit auch immer im Blick: Für wen machen wir das? Ohne Zuhörerinnen und Zuhörer macht das Ganze keinen Spaß. Damit diese Flamme weiter brennt, war es für uns eine sehr angenehme Situation, draußen spielen zu können. Wir haben jetzt auch schon vereinbart, dass wir auch ohne Pandemie die nächsten Jahre den Green Room im Sommer bespielen werden. So hat uns die Pandemie ganz nebenbei einen neuen Spielort im Stadtgarten geschenkt.
Auf welche Kölner Musiker werden Sie im Ausland am meisten angesprochen?
Leute, die sich nicht so gut auskennen, nennen Karlheinz Stockhausen und Can. Dann kommt erstmal lange nichts. Einer, der sehr viel „draußen“ spielt, ist Pablo Held und die Mitglieder seines Trios, also Robert Landfermann und Jonas Burgwinkel. Inzwischen trägt auch unser Projekt „Nica“, welches sich ausschließlich mit artist development beschäftigt, erste Früchte.
Gab’s für Sie in letzter Zeit musikalische Neuentdeckungen?
Ich bin noch etwas geprägt vom Prequel-Festival in Monheim, da waren Sachen dabei, die mich wirklich angefasst haben, mit denen ich auch so nicht gerechnet hätte. Dann habe ich jetzt vor Kurzem einen Geiger gehört, Ashley MacIsaac aus Cape Breton, Kanada, das ist American Folk Music. Eigentlich nicht so meine Tasse Tee, aber wenn es richtig gut gemacht ist, hat das auch was.
Die künstlerische Leitung am Stadtgarten werden Sie im nächsten Jahr abgeben?
Schon vor viereinhalb Jahren habe ich entschieden, am 30.6.22 meine aktive Zeit hier zu beenden. Es gab auch die Überlegung noch früher aufzuhören, weil die Monheim Triennale sehr viel Aufmerksamkeit erfordert. Aber um meine Nachfolge ordentlich zu regeln, habe ich mich für einen längeren Zeitraum entschieden und werde Mitte nächsten Jahres aufhören. Gleichzeitig mit mir wird Gerhard Veeck, unser technischer Leiter, aufhören. Und ich denke, wir haben für alle Positionen gute personelle Lösungen gefunden.
Wer wird Sie denn beerben?
Es gab eine Findungskommission, die dem Vorstand einen Personalvorschlag gemacht hat, den der Vorstand bereits bestätigt hat. Ich denke, dass wir den Namen zu Beginn des kommenden Jahres öffentlich bekannt machen werden.
Haben Sie sich für Ihre letzte Saison noch etwas Besonderes vorgenommen?
Ja! Seit längerem läuft schon bei uns die Reihe „Past & Present“, mit der ich nochmal wichtige Musiker aus der Gründungsphase des Stadtgartens mit ihren aktuellen Arbeiten vorstellen möchte.
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