choices: Herr Helling, im Entwurf des neuen Integrationskonzeptes der Stadt Köln heißt es, Integration sei „in Köln nicht in erwartetem und gewünschtem Maß gelungen“. Warum?
Ossi Helling: Erst mit dem neuen Staatsbürgerschaftsrecht von Rot-Grün wurde in Deutschland Mainstream, dass wir ein Einwanderungsland sind. Vorher sind auch in Köln Einwanderer stets als Belastung empfunden worden. Es war z.B. nicht selbstverständlich, Migrantenjugendliche schulisch besonders zu fördern. Der Anteil ausländischer Jugendlicher in den Ausbildungsberufen der Stadtverwaltung lag seinerzeit bei 6 Prozent. Inzwischen ist er auf über 20% gestiegen. Angemessen wäre ein Anteil von 40-50%.
Was heißt angemessen?
Die über 300.000 Menschen mit Migrationshintergrund sind eine enorme Stärke für Köln, weil sie in der Regel bereits über Erfahrungen mit zwei Kulturen verfügen. Diese Bikulturalität, die im Übrigen in der 2000jährigen Geschichte Kölns schon mehrfach außerordentlich produktiv war, braucht Köln, um sich in der globalisierten Städtekonkurrenz zu behaupten. Es ist ein Skandal, dass hier geborene Kölner Jugendliche, deren Eltern vor 40 Jahren aus der Türkei eingewandert sind, noch immer befragt werden, wie oft sie in „ihrer Heimat, der Türkei“ Urlaub machen.
Im Kulturentwicklungsplan der Stadt Köln ist jetzt zu lesen, politisches Ziel sei, die Kategorien „Herkunftsland“ und „Integration“ aufzulösen.
Da zeigt sich ein gewisser Lernprozess der Kulturverwaltung: Noch vor einigen Monaten wurde im „Förderkonzept interkultureller Kunstprojekte“ sehr konservativ davon gesprochen, seitens der Migranten seien „Sprachkenntnisse und Anerkennung der Werte und Normen der Aufnahmegesellschaft“ notwendig. So als seien Werte und Normen etwas Statisches, über die schon immer die Mehrheitsgesellschaft allein befindet. Im jüngsten Ratsbeschluss zur „Akademie der Künste“ wird dagegen auf der Höhe der Zeit formuliert. Dabei wird das politische Ziel deutlich: nicht die Integration in bestehende Ordnungen, sondern die permanente Neudefinition und Überprüfung von Werten und Normen. Menschen, die in mehr als einem kulturellen Kontext zu Hause sind, haben es dabei wahrscheinlich leichter.
Was hat die Integrationskonferenz der Stadt mit der „Akademie der Künste der Welt“ zu tun?
Die Akademie kann dazu beitragen, alle kulturellen Institutionen in Köln umzukrempeln und interkulturell zu öffnen. Ensembles, Akteure und Programm-Angebote müssen kritische und neue Blicke auf die kulturelle Vielfalt in Köln ermöglichen, sie ausrichten auf breitere Schichten der Kölner Bevölkerung. Das hat dann auch viel mit Gesellschaftspolitik und erfolgreicher Integration zu tun.
Ist kulturelle Teilhabe für Deutsche wichtiger als für Menschen mit Migrationshintergrund?
Abgesehen davon, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund einen deutschen Pass haben, glaube ich inzwischen, dass kulturelle Teilhabe viel mehr mit „Bildung“ und einem existenzsichernden Einkommen zu tun hat. Bildungs- wie Kulturferne und Hartz IV entsprechen sich oft genug.
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