In den USA sind sie ganz große Namen: der afroamerikanische Jazztrompeter Wadada Leo Smith und der indisch-stämmige, Grammy-nominierte Jazzpianist Vijay Iyer („VID-jay EYE-yer“ ausgesprochen). Wadada Leo Smith wurde in den USA 2013 und 2015 zum Komponisten des Jahres, 2013 und 2016 zum Trompeter des Jahres gekürt. Vijay Iyer wurde vom Down Beat Magazine, Fachzeitschrift für Jazz, Blues und Roots Music, gleich drei Mal zum Künstler des Jahres gewählt (2012, 2015, 2016). Doch auch in Köln waren sie schon etliche Male in verschiedenen Locations zu Gast, in der Philharmonie jetzt zum dritten Mal, wie Iyer im Gespräch mit choices verrät. Überhaupt seien sie viel in Deutschland unterwegs und auch bei einem deutschen Label unter Vertrag. Ob das deutsche Publikum denn anders sei als das in den USA, wollen wir wissen. „Es hängt von den Umständen, vom Veranstaltungsort ab. Je nachdem kommen Einzelpersonen, Familien, Kinder oder sogar Großmütter“, erklärt der Jazzmusiker. „Jedes Konzert ist eine eigene Erfahrung. Wir lieben es, uns mit der Zuhörerschaft zu verbinden. Und wir lieben es, für die Leute hier zu spielen.“
In der Philharmonie betreten im ersten Part nur die zwei die dezent mit Farbakzenten erleuchtete Bühne. Ein pochender Synthesizer-Klangteppich liegt dem Spiel der beiden zugrunde, die nun Variationen einzelner Töne zelebrieren, die mal spacig, mal meditativ, mal perlengleich durch den Äther schwingen. Zart und gefühlvoll entlockt Wadada Leo Smith seiner Trompete jeden einzelnen Ton, den Vijay Iyer am Klavier mit gedämpften Kaskaden und fliegenden Läufen unterlegt. Mal minimalistisch, mal flirrend, mal trillernd – hier werden die Grenzen des Machbaren ausgelotet, die Zuhörer in eine musikalische Meditation entführt. Erinnerungen an das Köln-Concert von Keith Jarrett werden wach. Die beiden Avantgarde-Musiker präsentieren Ausschnitte aus ihrem 2015 eingespielten Album „A Cosmic Rhythm With Each Stroke“, das auch Reminiszenzen an indische Musik enthält. Doch nicht jeder lässt sich von der experimentellen Klangfarbe begeistern, einige Zuhörer verlassen den Saal.
In seiner Rede ans Publikum benennt Smith den Imperativ seiner Musik: „Befreie dich selbst!“ Diese will eine außergewöhnliche, mystische Transformation bewirken. Seine Botschaft lautet, dass die Menschen, die eine gemeinsame Reise auf dem wunderbaren Planeten Erde unternehmen, einander beschützen sollen. Solche Aussagen verwundern nicht, wenn man weiß, dass der Trompeter in der Tradition Bob Marleys und damit der Rastafarier steht. Der Glaube afrikanisch-stämmiger Jamaikaner bezieht sich auf die christliche Überlieferung in Äthiopien und die Erwartung eines neuen Messias. „Der Name ‚Wadada‘ kommt aus der äthiopischen Sprache Amharisch, der Sprache der Bibel, und bedeutet ‚Condition of Love‘. Ich habe ihn von Bob Marley“, erklärt uns Leo Smith.
Im zweiten Teil des Konzerts tritt Vijay Iyer mit seinem Trio auf, mit Stephan Crump am Bass und Justin Brown an den Drums. Gegenüber dem sphärisch-unruhigen Grenzgang zuvor fällt die Musik nun ab, der Jazz ist zahm und gefällig, ohne Spannung und Feuer. Der große Raum tut nicht gut, ein New Yorker Club wäre der intimere, bessere Rahmen. Erst die Soli von Stephan Crump, der seinen Bass abwechselnd zupft und streicht, und von Justin Brown, der eine große Variationsbreite am Schlagzeug offenbart, begeistern das Publikum wieder. Iyer hält sein Klavierspiel auf konstant hohem Niveau, doch liegt seine Qualität in der sensiblen, harmonischen Anpassung an die anderen. Als er zum Schluss seinen Held, Lehrer und Freund Wadada als unvorhergesehenen Gast hinzu bittet, wird der Zuhörer vollends belohnt. Nun loten die vier nochmals alle Möglichkeiten ihres Genres aus, unterstützt von einem nach wie vor dezenten Farbspiel der Scheinwerfer. Die anschließende Signierstunde zeigt, dass die beiden in Köln eine treue Fangemeinde besitzen und sich gerne mit ihren Zuhörern austauschen. Daher ist auf ein baldiges Wiedersehen zu hoffen.
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