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„MA" von Celia Rowlson-Hall
Foto: Ian Bloom

Sag es durch einen Tanz (1)

11. April 2019

Drei Tage Tanzfilmfestival Moovy – Festival 04/19

Das Moovy Tanzfilmfestival hat vom 29. bis 31.3. die Leinwand des Filmforums NRW mit kurzen und langen, stummen und virtuellen Tanzfilmen bespielt.

Tag 1: Johannes Duncker vom Kurzfilmfestival Köln bringt drei VR-Brillen vorbei, um die Gäste in verschiedene Filmwelten eintauchen zu lassen. In „Loops“ umgeben uns wabernde Farbstrukturen, die aussehen als wären sie dem Weltall entnommen. Sie reagieren auf das gesprochene Wort, um dann um uns herum neue Gestalt anzunehmen. Ich denke an Johannes 1, 1-4: „Am Anfang war das Wort und das Wort (…) und alles wurde durch das Wort. (…) In ihm war Leben.“

So ist „Loops“ ein visuelles, schöpferisches Gedicht.

Mejdah, gebürtige Tunesierin, ist das erste Mal beim Festival. Vorsichtig setzt sie die VR-Brille über ihr Kopftuch. Auch das ist ihr erstes Mal. „Tanz und Musik bewegen mich immer sehr stark, sodass ich bei Tanzstunden manchmal kurz stehen bleiben muss, um durchzuatmen, um nicht von meinen Gefühlen umgerissen zu werden“. Heute jedoch steht sie mit der VR-Brille auf dem Kopf fest auf beiden Beinen. Die meisten der anderen Besucher setzen sich für diese neue Erfahrung lieber hin. Mejdah jedoch geht voll auf in der neuen Welt und weicht ruckartig unsichtbaren Personen aus, lacht laut auf vor Begeisterung und fegt ein paar Flyer vom Tisch. Was sie sieht: Ein Paar, zum Greifen nah, das tanzt, liebt und lebt in verschiedenen Jahrzehnten. Ganz schön nah wird es in „Through You“ von der bezaubernden Lily Baldwin, multipler Künstlerin aus New York.

Mejdah in VR, Foto: Marielena Wolff

Lily Baldwin bestätigt mir aus New York meine Vermutung der Interpretation: „Ja, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Nähe verteilt über ein ganzes Leben – du bist erst Liebhaber, dann eine Erinnerung und dann verbrennt dich deine Liebe bei lebendigem Leib und setzt dich frei.“

Mal fühlt man sich von der Darstellerin im Raum angesprochen, als wäre man ihr Partner. Mal ist man eher ein unsichtbarer Geist im edlen Wohnzimmer und kann sich ungeniert alle Details wie den schlafenden Mann oder die Reste vom Festessen auf dem schick gedeckten Tisch anschauen. Und dabei Hunger bekommen.

„Ich habe sogar Gerüche wahrgenommen“, sagt Tamara Gigauri mit strahlenden Augen. Sie ist Tänzerin an der Deutschen Oper am Rhein. „Du spürst was die Darsteller spüren.“ Ihre Kollegin aus Korea, Chin-a fügt hinzu: „Und der Fokus ist so ganz anders. Nicht nur einer, platt, wie auf der Leinwand. Es geht in alle Richtungen. Und ich war schwerelos.“

Bevor wir nun den Boden unter den Füßen verlieren, begeben wir uns in die ersten Vorstellungen im mit roten Kino-Sesseln bestuhlten Saal des Filmforums. Ágota Harmati und Loránd János, Festivalleitung, künstlerische Leitung und Jury, eröffnen zum dritten Mal das Festival in Köln. Warum gerade hier? Weil Köln für seine Größe Großes ins Sachen Tanz und Film abliefert. Es gibt viele Kompanien und Spielstätten, wenn auch noch immer kein eigenes Tanzhaus. Und – Köln ist Medienstadt.

„The Ferryman" von Gilles Delmas

Der Vorhang geht auf und „The Ferryman“ von Gilles Delmas eröffnet uns altertümliche Welten wie aus finsteren Märchen. Wir sind Zeugen von traditionellen Ritualen, die die Fixpunkte des Lebens wie Geburt oder Tod begleiten aber auch Verbindung zur unsichtbaren Welt schaffen. Halb Mensch, halb Hirsch ist Damien Jalet, der wie ein erschöpftes und doch starkes Tier durch sagenhafte, vulkanische Kulissen stolpert. Die sanfte Stimme von Marina Abramović erzählt die Geschichte seiner Reise, die uns von Bali bis nach Schottland führt.

Wir sehen ein süßes Babyschweinchen, das bald darauf seinen Kopf zur Ehrung der Götter abgerissen bekommt. Brutal-real, so wie Rituale nun mal sind. Im nächsten Moment sind wir Zeugen der sanften, aber kräftigen Geste eines Mönches, der in einem Tempelgarten einen gigantischen Gong schlägt. „The Ferryman“ legt sich nicht auf eine Kultur fest und liebkost unsere Iris mit der Darstellung von Körpern in ungewohnten Posen. Delmas teilt mit uns die Botschaft, dass wir den Kontakt zur Natur, den Göttern und dem Opfertum vielleicht nicht ganz so achtlos und leichtfertig der Ausweitung der Zivilisation opfern sollten. Denn sonst steht der Hirschmensch am Ende verloren in einem Wald, der nur noch aus Strommasten besteht. Und der hungrige Geist verliert, eingelullt von Entertainment, den Bezug zu seiner eigentlichen Natur.

In „Gatha“ werfen sich zwei Brüder nieder, immer wieder auf dem Weg zum Gipfel des heiligen Berges. Regisseur und Choreograf Chenglong Tang zeigt in seinem Kurzfilm aus China starke Bilder aus Tibet, die in China verboten sind und präsentiert eine Tanzszene der Brüder, die in Sachen Sound, Optik und Bewegung ihresgleichen sucht.

 Ich beginne Tag 2 mit einer Verabredung zum „Coffee with Pina“.

Pina blutet. Im Koreanischen hat das Wort „Pina“ die Bedeutung „ich blute“. Irgendwie wirkt Pina Bausch in jeder Geste der anlässlich ihres 10. Todestages gezeigten Dokumentation, als würde sie ganz still und elegant bluten für das was sie von innen nach außen transportieren will. In ihren Tänzen liegt reine Leidenschaft. Ich denke an das Zitat einer Freundin: „Leidenschaft ist für die, die den Blues ertragen können.“

Es folgen elf Kurzfilme, die eine internationale Bandbreite von akustischen, motorischen und visuellen Stilen und Möglichkeiten zeigen. Orientalisch, mystisch, staubig und biblisch wird es in „Shivta“ vom israelischen Choreographen und Tänzer Or Schraiber. Zwei Wanderer werden von den schmeichelnden, glatten Worten der schönen Hure Babylon verführt und verenden nach einem Trancetanz in den Wüstenruinen.

Danach präsentiert sich „Scalamare“ – glatt und stilsicher wie eine Hochglanzwerbung. Doch der erste Eindruck täuscht. Denn inhaltlich ist die optische Perle nicht dem Verkauf gewidmet, sondern wirkt irritierend – wie eine Auster, die man mit Schale im Mund zerbeißt. Es geht um ein Paar, das seine Flitterwochen an dem Ort feiert, wo alles vor 40 Jahren begann. Mit Lachen, Tränen und Sarkasmus versucht das Paar Szenen von damals zu wiederholen, aber merken bald, dass es nicht möglich ist. Stattdessen wird der Film surreal und verdichtet die Ahnung von einer nur noch kurzen gemeinsamen Zukunft. Regisseur Jiří Kylián, der gemeinsam mit Jan Malir gleich zwei Kurzfilme beisteuert, wählt Schatten als Darstellungsform. Schatten als Ausdruck des Moments, der gerade noch da war und jetzt schon nur noch ein Schatten ist. Drehort ist ein Monument für gefallene Soldaten, das direkt am Meer errichtet wurde. Die Vergänglichkeit ist implizit. Als Kylián seinen eigenen Schatten in abstrakter Optik über die zahlreichen Stufen fallen sieht, realisiert er die feine Linie zwischen Leben und Tod und beschließt an diesem Ort Scalamare” zu drehen.

In „Maura“ geht es unter der Regie von Manfred Borsch auch um die Liebe, um die Liebe der Maura Morales, einer freischaffenden Künstlerin aus Kuba. Gezeigt wird der Weg, den eine junge Liebe geht und tanzt, um zu bestehen. Zwei Tänzer finden sich auf Kuba, wo Touristen die Veränderung befürchten und die Einheimischen sie nicht kommen sehen. Kuba ist Mauras Heimatort und Ort der verklärten, politischen Ideologien. Ihr Tanz- und Dokumentarfilm schafft Bilder, die einen Kuba riechen und den bunten, abbröckelnden Putz der Straßen, in denen performt wird, fühlen lassen.

Weiter zu Teil 2: Der dritte Tag
Marielena Wolff

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